Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman


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gute Nacht!« Sie stürmte hinaus.

      In ihrem Zimmer ließ sie sich wie ein verzweifeltes Kind auf das Bett fallen, krampfte die Finger in die Decke. Warum regte sie sich eigentlich so auf? Wahrscheinlich aus Sorge um die ahnungslose, naive Angelika! Hatte nicht jedes Mädchen ein Recht darauf, aus Liebe geheiratet zu werden? Nicht aus Vernunftsgründen!

      Durfte sie wirklich schweigen?

      Wieder erlebte Bettina eine von wirren Träumen und langen schlaflosen Stunden zerquälte Nacht. Am Morgen fühlte sie sich wie gerädert. Es kostete sie große Überwindung, ihren Dienst beim Zahnarzt anzutreten. Zum Glück hatte der Doktor an diesem Nachmittag keine Sprechstunde. Bettina atmete auf, als sie endlich wieder zu Hause eintraf. Sie sehnte sich danach, allein zu sein.

      Zunächst bereitete sie sich und ihrem Großvater das Mittagessen. Doch sie hatten beide wenig Appetit und stocherten nur auf ihren Tellern herum. Rudolf Lühr war außerdem auffallend wortkarg.

      Nach dein Abwasch holte Bettina Prinz von der Weide, die inzwischen eingezäunt worden war. Wie gut, dass es Tiere gab!

      Bettina schwang sich in den Sattel und ritt in gestrecktem Galopp den schattigen Waldweg entlang. Sie jagte dahin, als könnte sie ihren quälenden Gedanken entfliehen. Diesen Gedanken, die sich ausschließlich um einen Punkt drehten: Ulrich und Angelika.

      Ob aus ihnen ein Paar wurde? Angelika Thiele war ein liebes, unkompliziertes Mädchen. Tobias hätte es bei ihr sicher nicht schlecht.

      Warum wurde ihr so heiß bei diesem Gedanken?

      Als sich Bettina nach einem ausgedehnten Ritt auf den Heimweg machte, entdeckte sie plötzlich vor sich unter den hohen Fichten eine Gestalt. Eine vertraute Silhouette. Ulrich! Im ersten Moment wollte sie den Hengst herumreißen und flüchten. Doch dann siegte ihr Stolz. Mit einem überlegenen Lächeln auf den Lippen ritt sie näher.

      Ulrich kam allein. Sein Gesicht wirkte bleich und angespannt.

      »Guten Tag, Betti.«

      »Guten Tag«, erwiderte sie und schämte sich fast ein wenig, denn ihre Stimme klang, als grüße eine hochnäsige Gutsherrin den letzten Holzknecht.

      Sie wollte vorbeireiten, doch Ulrich griff seinem Pferd in die Zügel und zwang es, stillzustehen.

      »Betti, ich muss mit dir sprechen.«

      »Haben wir uns noch etwas zu sagen?«

      »Eine ganze Menge, finde ich. Möchtest du nicht absitzen?«

      »Kein langes Gerede.« Sie blieb hoch aufgerichtet im Sattel sitzen.

      »Wie du willst.« Ulrich sah zu ihr in die Höhe. »Du hast dich sicher gewundert, als ich mit Angelika Thiele auftauchte.«

      »Keineswegs.«

      »Ich habe auch die Bekanntschaft mit Fräulein Thiele ganz bewusst herbeigeführt …«

      »Darauf wäre ich nie gekommen!«, spöttelte Bettina und wippte mit der Reitgerte.

      »Ich war so verzweifelt, weil Olaf Neumann mir ankündigte, eine Fürsorgerin würde dich bald aufsuchen. Dann muss natürlich herauskommen, dass du unsere Verlobung gelöst hast. Es liegt nur unendlich viel daran, den Jungen zu behalten, für immer.«

      »Ich weiß.«

      »Und darum startete ich diesen erneuten, verzweifelten Versuch. Aber es geht nicht.«

      »Was geht nicht?« Bettina hob die Brauen.

      »Ich kann Angelika Thiele nicht heiraten – selbst dann nicht, wenn sie einverstanden wäre.«

      »Oh, sie wäre ganz sicher einverstanden!«

      »Aber ich kann nicht, begreifst du?«

      »Warum denn nicht?« Bettina lächelte maliziös.

      »Ist das so schwer zu erraten?«

      »Ich habe keine Lust dir ein Quiz zu veranstalten.«

      »Betti, wenn ich dir erkläre, dass es mir ganz unmöglich ist, Angelika Thiele zu heiraten – nebenbei: Sie ist ein ausgesprochen sympathisches Mädchen, dann musst du doch begreifen, dass ich dich liebe.«

      »Ach nein!« Bettinas Augen wurden schmal und misstrauisch. »Ist das ein neuer Trick? Hast du Angelikas Bekanntschaft nur gesucht, um mir Sand in die Augen zu streuen? Um mir trickreich zu beweisen, dass ich die Auserwählte bin?«

      »Wie kann ein Mensch nur so verstockt sein!«, entfuhr es ihm zornig. Seine Augen funkelten.

      Angelika wollte das Pferd wenden, doch der Mann hielt es unerbittlich am Zügel fest.

      »Andere Menschen bedeuten dir nicht viel, wie?«, fauchte Bettina ihn an.

      »Was willst du damit sagen?«

      »Hast du dir denn keine Gedanken darüber gemacht, was Angelika empfindet? Du weckst in ihr Hoffnungen …«

      »Hoffnungen?«, fiel er ihr entgeistert ins Wort.

      »Jawohl – Hoffnungen! Sie himmelt dich an! Sie findet dich umwerfend! Sie ist verliebt in dich, aber du benutzt sie bloß, um mir irgendetwas zu beweisen! Je mehr ich dich kennenlerne, Ulrich Warner, umso unangenehmer wirst du!«

      Da lösten sich seine Finger kraftlos vom Zaumzeug des Pferdes. Seine Hände sanken schlaff herab.

      Bettina aber warf den Hengst herum und jagte den Waldweg entlang, mit wehenden Haaren und brennendem Gesicht. In den Baumwipfeln krächzte der Eichelhäher.

      Niedergeschlagen kehrte Ulrich zum Forsthaus zurück. Er fühlte sich krank und entmutigt.

      Tobias kam ihm entgegen. »Wo ist denn Betti, Ulrich? Wolltest du sie nicht holen?«

      Ulrich zwang ein unbekümmertes Lächeln auf seine Züge. »Betti hat heute leider keine Zeit.«

      »Oooch, schade! Es gibt auch keinen Kuchen. Opa sagt, Betti hat keinen gebacken.«

      »Wenn wir heimfahren, kehren wir in einer Konditorei ein und essen Schwarzwälder Kirschtorte mit Schlagsahne.«

      »Ach, die schmeckt nicht so gut wie Bettis Apfelkuchen. Opa ist auch so komisch. Haben wir sie geärgert?«

      Ulrich nahm den Jungen auf den Arm. »Ach wo! Weißt du, Erwachsene haben nicht jeden Tag gute Laune. Manchmal ziehen dunkle Wolken auf, das darf man nicht so tragisch nehmen. Morgen scheint wieder die Sonne.«

      »Bestimmt?«

      »Ich hoffe es.«

      »Da ist Prinz Schnubbel! Lass mich runter, Ulrich!«

      Ulrich war dem hübschen schwarzweißen Kater dankbar für die Ablenkung.

      Der pensionierte Forstmeister trat aus der Haustür.

      »Nun?« Er kaute an seiner kalten Pfeife.

      Ulrich ging rasch auf den alten Herrn zu, der ihm so freundschaftlich zugetan war. »Es war alles vergeblich. Bettina hat mich nur beschimpft. Allmählich gebe ich die Hoffnung auf. Sie liebt mich nicht mehr. Wenn Sie das wirklich geglaubt haben, Herr Lühr, dann war sicher der Wunsch der Vater des Gedankens.«

      »Ich kenne meine kleine Betti. Ich weiß genau, dass sie dich noch immer liebt, mein Junge. Aber erinnere dich daran, was ich dir erzählt habe. Lieber bockig!«

      »Meinen Sie? Wenn ich nur etwas mehr Zeit hätte! Wenn ich nicht bald heirate, verliere ich Tobias. Gegen die Behörden ist man so machtlos, besonders, wenn jemand die Finger mit im Spiel hat, der einem nicht wohlgesinnt ist. Was soll ich tun?«

      »Mir kribbelt es manchmal in den Fingern, Betti übers Knie zu legen.«

      Ulrich lächelte wehmütig. »Sie glauben, das würde helfen?«

      Der Alte zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Aber manchmal glaube ich, dass man irgendeine drastische Methode anwenden müsste, um Betti aufzurütteln und zur Vernunft zu bringen.«

      »Eine