Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman


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zweifle ich nicht. Aber ich kann Angelika Thiele nicht heiraten, weil ich sie nicht liebe.«

      »Ach!« Bettina stemmte beide Hände in die Hüften. »Und diese Prachtblüte aus der Serie deiner flatterhaften Freundinnen liebst du?«

      »Nein.«

      »Wie bitte? Und wo ist der Unterschied?«

      »Der Unterschied liegt, finde ich, auf der Hand. Angelika ist ein liebes romantisches Mädchen. Es wäre schäbig und gemein von mir, ihre Gefühle auszunutzen. Wenn Nina Berr und ich uns verbinden, handelt es sich um eine reine Vernunftehe. Nina weiß genau, woran sie mit mir ist. Ich habe keinen Hehl aus meinen Beweggründen gemacht. Trotzdem ist Nina Berr einverstanden, denn ich habe die finanziellen Mittel, ihr ein sorgenfreies Leben zu bieten.«

      »Auf so einen Kuhhandel lässt du dich ein? Ich kann es nicht fassen!«

      »Vergiss nicht, dass ich mich in einer Zwangslage befinde. Nina zu heiraten, ist momentan nicht nur die beste, sondern die einzige Lösung.«

      »Das ist Wahnsinn!«, keuchte Bettina. »Der arme Junge!« Sie spürte, dass sie die Tränen nicht mehr unterdrücken konnte. Ruckartig drehte sie sich um, setzte mit einem Flankensprung über das Geländer und stürmte in den Wald, in dem sie von jeher Trost und Beistand gesucht hatte.

      *

      Dieses Wochenende würde Bettina nie vergessen. Das stille Försterhaus verwandelte sich zusehends in ein Tollhaus. Die neue Verlobte des Besitzers veranstaltete einen Wirbel für drei oder vier. Ihr schrilles Lachen ging Bettina auf die Nerven, dass sie sich am liebsten die Ohren zugestopft hätte.

      Am Sonntagabend hielt sie es nicht länger aus. Heimlich stahl Bettina sich aus dem Haus. Wieder zog es sie machtvoll in die geheimnisvollen Tiefen des Waldes. Sie musste allein sein, um mit sich und ihren wirren, zwiespältigen Gefühlen ins Reine zu kommen.

      Das bleiche Licht des Mondes geisterte durch die Stämme und flutete über die kleinen Lichtungen. Eine zauberhafte Nacht! Doch Bettina sah die Schönheiten nicht. In ihrem Herzen herrschte das Chaos.

      Durfte sie es zulassen, dass Tobias, ihr innig geliebter kleiner Junge, so eine Mutter bekam?

      Am Rande einer Waldwiese ließ Bettina sich ins Gras sinken. Sie stützte den Kopf in die Hand, wie sie es schon als kleines Mädchen getan hatte, wenn sie schwerwiegende Probleme wälzte.

      Plötzlich hörte sie ein knackendes Geräusch. Sie blickte auf und erkannte Ulrich auf dem Waldweg. Sie wollte aufspringen, doch die Beine versagten ihr den Dienst.

      »Du bist mir gefolgt?«, fragte sie mit zitternder Stimme.

      Schweigend kam er auf sie zu. Dicht vor ihr ging er in die Hocke. Sie konnte seine Augen nicht deutlich wahrnehmen, aber sie spürte seinen Blick wie ein zärtliches Streicheln.

      »Ulrich«, begann sie und musste schlucken, denn ihre Kehle war plötzlich staubtrocken. »Ulrich, ich habe es mir überlegt, wenn du noch willst, heirate ich dich.«

      Er schwieg, in diesem Schweigen rauschten die Bäume ihre ewige Melodie. Grillen zirpten sehnsuchtsvoll. Ein Leuchtkäferchen landete im hohen hellen Gras.

      »Warum?«, fragte er endlich leise. »Warum willst du mich heiraten?«

      »Ach, weißt du, ich glaube, ich war eine dumme Gans. Was spielt es schon für eine Rolle, auf welche Weise man sich kennenlernt! Andere treffen sich zufällig beim Tanzen, oder in der Familie. Was soll’s. Irgendwie muss man sich ja begegnen.«

      »Ich liebe dich, Betti.« Diese Worte klangen wie ein Treueschwur. Ulrich ließ sich neben Bettina auf den Boden sinken. Unendlich behutsam nahm er sie in die Arme. Er küsste sie nicht. Sie saßen minutenlang stumm und regungslos beieinander. Nur ihre Herzen sprachen.

      »Und deine sogenannte Verlobte?«, fragte Bettina schließlich.

      Er winkte ab. »Kein Problem. Es wird ihr Herz nicht brechen. Ich werde Nina entschädigen. Das regele ich noch heute Abend.«

      »Du bist ganz sicher, dass Nina dich nicht liebt?«

      »Völlig sicher! Wie gesagt, es war ein Abkommen. Lass uns nach Hause gehen und es Tobias sagen.«

      Bettina schnellte in die Höhe. »Ja, der arme kleine Kerl hat lange genug gelitten! Komm!«

      Arm in Arm eilten sie den mondfahlen Weg entlang.

      Während Bettina sich mit Tobias zurückzog, um ihm die Angst zu nehmen und in seinen überquellenden Jubel mit einzustimmen, fuhr Ulrich die attraktive, plötzlich auffallend wortkarg gewordene Frau im roten Kleid in die Stadt zurück. Nina lehnte entspannt auf dem Beifahrersitz.

      »War ich gut?«, erkundigte sie sich mit einem spöttischen Lächeln.

      »Hervorragend! Einfach überwältigend! Der Erfolg spricht seine eigene Sprache. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass es so rasch klappen würde, an einem einzigen Wochenende!«

      »Manchmal habe ich schon geglaubt, ich habe ein bisschen zu sehr aufgedreht. Der nette alte Förster sah mich mitunter mit Blicken an, dass es mir eisig über den Rücken lief.«

      Ulrich fuhr den Wagen an den Straßenrand, stoppte, schaltete die Innenbeleuchtung ein und zog sein Scheckbuch aus der Tasche. Rasch füllte er ein Formular aus, überreichte es Nina und fragte: »In Ordnung?«

      »Oh, du bist sehr großzügig.«

      »Das ist mir die Sache wert. Danke, Nina.«

      »Ich habe zu danken. Das ist wirklich eine tolle Gage für eine unterbeschäftigte Schauspielerin. Falls ich wieder einmal so ein Patentekel darstellen soll, ich stehe jederzeit zu Diensten.«

      »So etwas wird nie wieder vorkommen. Ich musste zu dieser verzweifelten Maßnahme greifen. Nur so konnte Bettina ihren Stolz überwinden. Das brachte sie doch nicht übers Herz, Tobias so einer Schlange zu überlassen! Nochmals, danke, Nina. Du warst hervorragend, ehrlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man beim Fernsehen keine Verwendung für dich hat, zum Beispiel als zweite Horror-Mutter.«

      »Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Vielleicht heirate ich auch eines Tages. Mal sehen. Dir und deiner liebenswerten, wenn auch etwas störrischen Betti wünsche ich jedenfalls alles Glück der Welt.«

      »Danke.« Ulrich startete.

      *

      Zehn Tage später.

      Bettina stand im weißen Brautkleid vor dem Spiegel und kam sich verzaubert vor.

      Nach einem vorsichtigen Klopfen trat Ulrich ins Zimmer. In dem schwarzen Anzug sah er fabelhaft aus. Ihr Bräutigam! Bettinas Herz überschlug sich fast vor Freude.

      »Wie schön du bist, Betti!« Er sah sie so bewundernd an, dass sie weiche Knie bekam. Unvermittelt griff er nach ihren Händen. »Eine Frage noch.«

      »Ja?«

      »Bist du sicher, dass du mich nicht nur heiratest, um Tobias vor einer zweifelhaften Mutti zu bewahren?«

      Da schossen Bettina die Tränen in die Augen. Sie schlang beide Arme um den Hals des geliebten Mannes und flüsterte heiß: »Du bist zwar ein Gauner, aber der beste, der liebenswerteste, den sich eine Frau nur erträumen kann! Ich danke dem Himmel für den Zufall, dass du ausgerechnet meinen Namen aus dem Lostopf gezogen hast.«

      Ulrich drückte sie innig an sich, streichelte ihren Rücken, schluckte und begann: »Ich muss dir noch etwas erzählen …«

      Bettina richtete sich auf. Ihre Augen blitzten, denn unter den Glückstränen erblühte ein zauberhaftes Lächeln. »Was denn?«

      Abermals schluckte der Mann. »Ich weiß nicht recht … Nein, lieber nicht. Diese Geschichte hebe ich mir für unsere Goldene Hochzeit auf.«

      »Meinst du, dass du es so lange mit mir aushältst?«

      »Ja«, erwiderte er feierlich. »Ja, Betti. Und wenn wir hundert Jahre alt werden und wie verschrumpelte Äpfel aussehen, wir wollen