Jeremy Bates

DIE KATAKOMBEN


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gut kennengelernt. Sie war in Deutschland als Tochter eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter geboren worden. Sie hatten sich scheiden lassen, als sie sechs war, und sie war mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester nach Frankreich gezogen. Vor zwei Jahren hatte sie ihren Abschluss an der École des Mines gemacht. Das war eine renommierte Ingenieurschule, das MIT Frankreichs. Sie hätte ihr Praktikum in jeder Firma ihrer Wahl machen können. Laut ihren eigenen Worten wollte sie es allerdings eine Weile ruhiger angehen lassen und verbrachte ihre Tage jetzt damit, in einem Blumenladen zu arbeiten, und ihre Nächte damit, das Netzwerk der Katakomben zu erkunden, die sich unter der Stadt erstrecken.

      Wir trafen uns zweimal die Woche, normalerweise montags und freitags. Am einen Tag brachte sie mir Französisch bei, am anderen brachte ich ihr Englisch bei. Eigentlich musste ich ihr nicht wirklich etwas »beibringen«. Sie sprach ziemlich fließend. Englisch war eine Voraussetzung für die Zulassung zu Les Mines gewesen und sie hatte es als Jugendliche gründlich gelernt. Sie sagte, sie suche nur nach jemandem, mit dem sie die Sprache sprechen konnte, damit sie nicht einrosten würde.

      Sie mochte mich – auf romantische Weise, meine ich. Das zeigte sie auch ziemlich deutlich. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen. Sie sah gut aus. Das hatte ich gleich gedacht, als ich sie zum ersten Mal sah. Aber ich war nicht auf der Suche nach einer Beziehung nach Paris gekommen; ich war gekommen, um einer zu entfliehen – oder zumindest den Folgen davon. Meine Ex hieß Bridgette Pottinger. Wir hatten uns an der NYU kennengelernt. In unserem Abschlussjahr zogen wir gemeinsam in eine winzige Wohnung in einer Nebenstraße der Bowery, nahe Chinatown. Ich bekam eine Stelle als Korrektor für den Brooklyn Eagle. Sie wurde zum Jurastudium an der Columbia zugelassen. Ein Jahr später machte ich ihr einen Antrag oben auf der Freiheitsstatue. Kitschig, ich weiß, aber zu dem Zeitpunkt hielt ich es für romantisch. Die Hochzeit war für den darauffolgenden Juli in einem Blockhaus am Lake Placid geplant.

      Am Abend vor der Feier kamen meine kleine Schwester, Maxine, und mein bester Freund, Brian, bei einem Bootsunfall ums Leben. Die Hochzeit wurde natürlich abgeblasen. Mein Leben versank in Chaos. Meine Eltern machten mich für Max’ Tod verantwortlich. Meine Freunde machten mich für Brians Tod verantwortlich. Bridgette und ich fingen an, uns auseinanderzuleben, und wir entschieden, dass es das Beste wäre, eine Beziehungspause zu machen. Ich hatte die Zeitung für einen Reiseberichtsjob hinter mir gelassen, in dem ich mit den Reiseführern für die Mittelatlantikstaaten half. Ich stand meinem Chef nah, sowohl beruflich als auch privat. Er wusste, was ich durchmachte, wusste, dass ich einen Neuanfang brauchte. Er erzählte mir, der Hauptsitz suche nach jemandem für die Umgestaltung einiger der europäischen Ausgaben und er schlug mich dafür vor. Einen Monat später befand ich mich in London und bekam ausführliche Informationen über einen verbesserten Paris-Führer. Die anderen Korrespondenten in Paris beschäftigten sich mit den Cafés und Restaurants und Hotels. Mein Auftrag war es, das Nachtleben abzudecken. Sie wollten den Führer aufpeppen, um die jüngeren Menschen besser anzusprechen.

      Und so weit, so gut. Meinem neuen Chef gefiel das Manuskript, das ich einreichte, und mir gefiel, was ich tat. Ich verbrachte meine Nächte damit, verschiedene Bars und Klubs zu testen und meine Tage, eine Meinung darüber auszuformulieren. Es gab viel zu tun und die Abgabetermine waren knapp, aber die Arbeit hielt mich beschäftigt, hielt mich davon ab, zu viel über meine alten Freunde nachzudenken, über meine Familie und, hauptsächlich, Bridgette.

      Trotzdem wäre es eine Lüge zu behaupten, ich wäre über Bridgette weg. Das war ich nicht. Im Hinterkopf hatte ich einen Plan. Nach vielleicht einem Jahr in Trennung würde ich in die Staaten zurückkehren, wäre ein bisschen weltgewandter, ein bisschen erwachsener, und Bridgette und ich könnten von vorne anfangen.

      Ich verzog das Gesicht. Danièles Geburtstagsparty. Gottverdammt. Wo zum Teufel hatte ich mich da reingeritten? Danièles Freunde – ein vielschichtiger Mix aus Bohemiens und jungen, qualifizierten Fachkräften – waren freundlich gewesen, der Alkohol war in Strömen geflossen und alle waren sturzbesoffen geworden … und dann … und dann war alles undeutlich geworden.

      Als ich am Samstagmorgen in Danièles Bett aufwachte, konnte ich mich kaum daran erinnern, wie ich dort hingekommen war. Voller Schuldgefühle verhielt ich mich wie ein Arsch und verschwand, ohne sie aufzuwecken. Ich verbrachte das gesamte Wochenende an meinem Laptop damit, meine neusten Bar- und Klubnotizen in irgendeine zusammenhängende Form zu bringen. Ich ging nicht ran, als Danièle am Sonntagnachmittag anrief, und wir sprachen bis früher am heutigen Tag nicht miteinander, als sie mir eine SMS schickte, um sich bestätigen zu lassen, dass die Unterrichtsstunde stattfinden würde.

      Beinahe hätte ich abgesagt, aber ich wusste, wie offensichtlich das ausgesehen hätte.

      Danièle kam mit einem Cappuccino aus dem Café zurück.

      Sie setzte sich mir gegenüber, nahm ihre Sonnenbrille ab – Fendi – und lächelte zögerlich. Ich räusperte mich. Ich hatte mich schon dazu entschieden, so zu tun, als wäre das eine ganz normale Stunde, und ich fragte: »Heute Französisch oder Englisch?«

      Ein Anflug von Überraschung legte sich auf ihr Gesicht, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf den Löffel richtete, mit dem sie ihren Kaffee umrührte. »Freitag war Französisch«, sagte sie. »Also ist heute Englisch dran, wenn das okay ist.«

      »Ist in Ordnung«, erwiderte ich. »Also …«

      Sie hob den Blick. »Ja?«

      »Ich versuche, ein Thema zu finden, über das wir sprechen können.«

      »Wie wäre es mit dem Wochenende?«, schlug sie schüchtern vor. »Montags fragst du mich immer nach meinem Wochenende.«

      »Hast du am Sonntag irgendwas gemacht?«

      »Am Sonntag?« Noch mehr Überraschung, vielleicht ein bisschen Enttäuschung. Sie zuckte mit den Schultern. »Nein, ich war den ganzen Tag zu Hause. Was ist mit dir, Will? Hattest du Samstag und Sonntag einen Kater? Oder hast du am Sonntag was Besonderes unternommen?«

      »Ich hab provenzalisches Huhn gemacht. Hast du es mal versucht?«

      »Klar hab ich das. Ich bin Französin. Was hast du sonst noch getan?«

      »Nicht viel. Gearbeitet. Das ist so ziemlich alles.«

      »Verstehe.«

      Ich runzelte die Stirn. »Du verstehst?«

      »Du willst nicht über Freitagnacht sprechen. Das verstehe ich. Das ist okay für mich.«

      »Ich hatte Spaß.«

      »Wirklich?«

      »Ja.«

      »Die ganze Nacht?«

      Ich fragte mich, ob ich rot wurde. »Ja.«

      »Du warst verschwunden, als ich aufgewacht bin. Ich dachte …«

      »Ich weiß, ich – wann bist du aufgestanden?«

      »Du bist sehr geschickt darin, das Thema zu vermeiden.«

      »Welches Thema?«

      »Uns.«

      »Ich vermeide es nicht.«

      Sie nickte stumm.

      Ich zündete mir eine Marlboro Light an, um mich zu beschäftigen. Das Trio am Tisch neben uns teilte sich eine Flasche Wein und lachte laut. Das ließ die Stille zwischen Danièle und mir umso länger und unangenehmer wirken.

      Ich entschied, dass es dumm war, zu versuchen, das, was zwischen uns passiert war, zu ignorieren, so zu tun, als wäre das hier nichts anderes als eine weitere Unterrichtsstunde.

      Wir hatten miteinander geschlafen. Jetzt tranken wir Kaffee.

      Damit war das ein Date, oder?

      Zumindest Danièles Meinung nach.

      »Ich mochte deine Freunde«, sagte ich und kam wieder auf Freitag zurück.

      Sie lächelte. »Sie mochten dich auch.«

      »Außer einem Kerl. Wie hieß er noch gleich? Patsy …?«

      »Pascal?«