Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman


Скачать книгу

flüstert Hermann zurück und verläßt das Krankenhaus.

      *

      Mit einer Taxe fährt Rudolf Hermann vor dem Grundstück vor, das er seiner Familie geschaffen hat. Ein weiter Park, gut gepflegt mit breiten, kiesbestreuten Wegen, Blumenrabatten und blühenden Büschen.

      Hinter hohen Bäumen versteckt das Wohnhaus, im englischen Landhausstil erbaut und mit allem Komfort der Neuzeit eingerichtet. Langsam, den Hut in der Hand, geht er die breite Auffahrt hinauf. Der Abend­wind spielt mit seinem Haar, das so dicht wie früher und nur an den Schläfen schlohweiß ist.

      Er atmet die würzige Luft in tiefen Zügen. Er hat sich vorbereitet auf das, was geschehen muß.

      Die Halle, mit der breiten Treppe, die nach oben führt und ein gewundenes Geländer trägt, ist schwach erleuchtet. Keiner der Angestellten ist sichtbar.

      Er bleibt ein paar Minuten lauschend stehen, dann steigt er in das erste Stockwerk empor, geht über den jeden Laut dämpfenden Teppich und klopft an die Tür zum Schlafzimmer seiner Frau an.

      »Wer ist da? Hat man denn keine Minute Ruhe in diesem Haus?«

      »Ich bin es – Rudolf«, sagt er, seine Stimme zur Festigkeit zwingend.

      Eine gewisse Zeit vergeht. Er hört Geräusche hinter der Tür, tapsende Schritte, und dann öffnet seine Frau.

      »Mein Gott«, sagt sie ärgerlich. »So spät suchst du mich auf?«

      Er sieht sie ernst und eindringlich an. Keine Frage nach dem Jungen. Sie sieht gepflegt wie immer aus.

      »Was starrst du mich so an?«

      »Ich habe mit dir zu reden, Stefanie, und erwarte dich in meinem Arbeitszimmer.«

      »Du lieber Gott.« Stefanie Hermann hält mit beiden Händen den seidenen Morgenrock über der Brust zusammen. »Hat das nicht Zeit bis morgen?«

      »Nein! Es muß jetzt sein, jetzt sofort.« Das klingt unnachgiebig, und erstmals versucht sie nicht ihren Willen durchzusetzen.

      »Ich komme«, erwidert sie kurz und schlägt ihm die Tür vor der Nase zu.

      Er wandert den Weg wieder zurück und sucht sein Arbeitszimmer auf. Ruhelos schreitet er hin und her. Ja, es ist ein bedächtiges, langsames Schreiten.

      »Nun, was gibt es so Welterschütterndes?« hört er hinter sich die Stimme Stefanies.

      »Weißt du eigentlich, wie das Unglück mit Lothar geschah?« fragt er ruhig.

      »Ungefähr ja, Steffen Gregor hat es mir am Telefon erklärt«, sagt sie und weicht seinen hellen Augen aus. »Sie waren bei Schöllers eingeladen. Ein Haufen gleichaltriger Freunde und Freundinnen. Sie haben getrunken, und dann haben sie eine blödsinnige Wette abgeschlossen, dabei ist Lothar an einen Baum gefahren. Der Wagen ist natürlich total kaputt, aber die Versicherung ersetzt ihn.«

      Hermann lächelt bitter.

      »Daß unser Sohn dabei das Leben verlieren konnte, daran denkst du wohl nicht?«

      »Mein Gott, ich habe mir doch schon bald die Augen aus dem Kopf geweint«, klagt sie weinerlich. »Damit kann ich das Unglück auch nicht ungeschehen machen.«

      »Nein – das kannst du nicht.« Er richtet sich steil auf. »Aber du hast dafür gesorgt, daß Lothar niemals an ernste Arbeit dachte, immer nur an sein Vergnügen. Hältst du das für richtig?«

      Empört fährt sie auf. »Soll das ein Verhör sein?«

      »Vielleicht eine – Abrechnung«, sagt er betont langsam.

      »Eine – was –?«

      »Jawohl«, fährt er unbeirrt fort, »eine Abrechnung. Ich bin schuld an diesem Unglück.«

      »Du –?« Ihre Augen werden kugelrund. »Hast du etwa den – den Wagen gesteuert?«

      »Natürlich nicht.« Beinahe hätte er herausgelacht. Es wäre ein unnatürliches Lachen geworden. »Du wirst das niemals verstehen und wenn ich mit Engelszungen redete. Du hast es mir sehr schwer gemacht, meine väterliche Autorität den Kindern gegenüber geltend zu machen. Und ich habe resigniert. Das ist schlimm. Schlimm vor allem für die Kinder –«

      »Du bist verrückt«, entfährt es ihr ärgerlich. »Um mir das zu sagen, bringst du mich um den Nachtschlaf?«

      Hermann möchte ihr sagen, daß er zum Umfallen müde ist, daß er seit vielen Stunden keinen Schlaf gefunden hat. Aber er unterläßt es.

      »Nein«, spricht er weiter. »Das wollte ich dir nicht nur sagen. Es geht noch um andere Dinge.«

      Und er beginnt mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkommt, die eintönig und monoton klingt und das, was er sagt, wie etwas Auswendiggelerntes. Daß er für das Projekt, fünfzig Siedlungshäuser für die Konservenfabrik Warta A.-G., infolge Geldknappheit die nötigen Maschinen nicht anschaffen konnte, da sie sich damals geweigert hatte, ihm von dem bereits zurückgezahlten Geld ihrer Mitgift einen Teil zur Verfügung zu stellen. Daß er die Häuser termingemäß nicht fertigstellen kann und das Projekt einer anderen Baufirma übergeben muß, wenn er nicht etwas retten will. Mit einem Wort, daß er am Ende ist.

      »Und dafür willst du mich verantwortlich machen?« schreit sie ihm entsetzt entgegen. »War es nicht mein gutes Recht, mein Geld für die Kinder zu sichern?«

      Er macht eine ziellose Handbewegung durch die Luft.

      »Darum geht es auch nicht mehr. Das ist jetzt auch zu spät. Alle Schritte sind eingeleitet. Das Hermann’sche Bauunternehmen hat aufgehört zu existieren.«

      Leichenblaß sinkt sie tiefer in den Sessel. »Nein, Rudolf«, keucht sie. »Das ist doch unmöglich. Diese Schande kannst du uns doch nicht antun? Nein, das überlebe ich nicht. Du, pleite –?«

      Sie läßt die Hände sinken. Ihre Augen funkeln ihn feindselig an.

      »Was soll denn aus uns werden? Man wird uns meiden wie die Pest. Man wird mit Fingern auf uns zeigen. Ach, hätte ich damals auf meine Mutter gehört…«

      »Ich habe mir alles reiflich überlegt, Stefanie«, sagt er mit geradezu unheimlicher Ruhe. »Wenn das letzte Geschäft abgewickelt ist, dann wirst du den Rest deines Geldes überschrieben bekommen. Soviel springt dabei gerade heraus. Das Haus und was dazu gehört überlasse ich dir ebenfalls. Es soll dir gehören.« Er schöpft tief Atem und setzt ruhig hinzu: »Wir werden uns trennen.«

      »Trennen?«

      »Ja!« Langsam lösen seine Hände sich von der Sessellehne. Er beginnt in dem kostbar eingerichteten Raum umherzuwandern. »Ich habe mich in diesem Haus immer nur als Gast betrachtet, dafür hast du gesorgt. Ich will es nicht mehr sehen. Ich beginne von vorn, ganz von vorn.«

      »Und – was soll ich den Kindern sagen?« Ihre Stimme zittert vor Erregung. Endlich zeigt sie eine Gemütsbewegung.

      »Ich selbst werde mit den Kindern sprechen – außer mit Lothar«, entscheidet er. »Von Lothar muß alles ferngehalten werden, was ihn aufregen könnte.«

      »Was – was werden die Leute dazu sagen?« wirft sie kläglich ein.

      Seine Mundwinkel ziehen sich verächtlich herab. »Wenn du wüßtest, wie gleichgültig mir das ist. Du bist ja nie verlegen um Worte. Dir wird schon das Richtige einfallen. Jedenfalls war mein Leben an deiner Seite alles andere als schön. Selbst die Kinder hast du mir entzogen. Jetzt kann ich nicht mehr. Jeder Mensch hat Anspruch auf ein wenig Glück. Ich werde es in der Arbeit suchen –«

      »Und die Kinder –?«

      »Sie werden sich entscheiden müssen. Gott allein weiß, wie sehr ich sie liebe. Ich bin überzeugt, sie werden bei dir bleiben. Sie lieben mich nicht.«

      Wortlos erhebt Stefanie sich und strebt der Tür zu. Von dorther sagt sie kalt: »Dann haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen.«

      »Wir hatten uns nie viel zu sagen«, entgegnet er spöttisch,