Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 6 – Liebesroman


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immer verlassen? Und wann?«

      »Sobald ich die Unterredung mit den Kindern hinter mir habe«, erwidert er gleichgültig und wendet sich von ihr ab.

      Die Tür fällt hinter ihr ins Schloß. Vor dem breiten Schreibtisch läßt er sich nieder, birgt das Gesicht in den Händen und verharrt regungslos.

      Grenzenlose Leere ist in ihm – und um ihn!

      *

      »Sind meine Kinder schon im Frühstückszimmer?« fragt Rudolf Hermann Susanne, das Hausmädchen, und diese nickt eifrig.

      »Nur die gnädige Frau ist noch in ihrem Zimmer.«

      »Danke!«

      Mit festen Schritten sucht Hermann das sonnige Terrassenzimmer auf. Vor dem tiefen Fenster ist der Frühstückstisch wie immer gedeckt.

      Cornelia, seine zwanzigjährige Tochter, eine zarte, bezaubernde Erscheinung mit unwahrscheinlich hellen Augen unter dichten Wimpern und einer rotbraunen Lockenfülle lehnt am Fenster. Sie ist die verschlossenste von seinen Kindern, unnahbar.

      Christian und Christiane, die Zwillinge, sitzen wie verschüchterte Hühner auf dem Ecksofa und flüstern aufgeregt miteinander.

      Beim Eintritt des Vaters verstummen sie schlagartig. Auch Cornelia dreht sich um.

      »Guten Morgen«, grüßt sie und geht auf ihren Platz zu. »Mama kommt später. Sie hat ihre Migräne. Kein Wunder bei den Aufregungen.«

      Rudolf Hermann läßt seine Augen zwischen seinen Kindern hin und her wandern. Wie reizend Christiane aussieht, mit dem dunklen Haar und den dunklen Augen. Ein Erbteil seiner verstorbenen Mutter. Christian sieht noch sehr unreif und unfertig aus. Er verspricht ein gutaussehender Mann zu werden.

      »Ich habe mit euch zu sprechen«, beginnt er, und er spürt, wie ihm seine Stimme nicht gehorchen will.

      »Können wir nicht erst das Frühstück einnehmen?« fragt Cornelia ruhig. Ihre Stimme schwankt ein wenig. »Oder – oder willst du uns etwas über Lothar sagen? Wie geht es ihm? Ist er schwer verletzt?«

      »Warst du auch auf der Party?« erkundigt Hermann sich.

      »Nein, ich bin einmal früh schlafen gegangen«, erwidert sie. Er sieht, wie sie die schmalen Finger ineinander schlingt. »Wäre ich doch mitgegangen. Vielleicht hätte ich das Unglück verhindern können!«

      Ihre Schultern zucken plötzlich, und Hermann geht auf sie zu, legt ihr die Hand auf das schimmernde Haar. »Es mußte wohl alles so kommen, Cornelia. Quäle dich nicht mit Vorwürfen herum.«

      Sie richtet die hellen Augen erstaunt auf den Vater.

      »Vielleicht bringen sie Lothar durch«, sagt er kummervoll. »Man muß abwarten.« Er läßt eine kurze Pause eintreten, bemerkt, wie sie erleichtert aufatmet und sich ihre Züge erhellen. Die Zwillinge fassen sich an den Händen. Irgendwie rührt dieses Bild Hermann.

      Er schaut schnell weg. Wie sehr er sie liebt! Was wird ihm die nächste Stunde bringen? Wird er sie verlieren? Alle drei verlieren?

      »Ich habe etwas sehr Ernstes mit euch zu besprechen. Ihr seid alt genug, um das zu verstehen.« Kurze Pause. Drei Augenpaare hängen gespannt an seinem Mund.

      »Zunächst muß ich euch sagen, daß wir bettelarm sind, das heißt – ich! Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Die Gründe dazu brauche ich euch wohl nicht auseinanderzusetzen, ihr würdet dafür kaum Verständnis haben.«

      »Doch, Papa«, läßt Cornelia sich vernehmen. »Ich würde mich bemü­hen, es zu verstehen.«

      Lange sieht er seine älteste Tochter an. »Gut«, entscheidet er, »dann sollst du es wissen.«

      Und er breitet abermals die Zusammenhänge, die zu seinem Zusammenbruch geführt haben, vor einem Menschen aus, diesmal vor seinen Kindern. Nichts beschönigt er. Er gibt sich bei allem selbst die Schuld. Stumm hören die Kinder ihm zu.

      »Und wenn Mama dir das Geld gegeben hätte, dann wäre das alles zu verhindern gewesen?« wirft Cornelia in einer Atempause ein.

      »Ja«, sagt er kurz, mehr nicht. Aber dieses eine Wort hängt wie ein Verhängnis in der Luft.

      Hermann fährt fort. »Mama und ich trennen uns. Ich kann ihr ein Zusammenleben mit mir nicht mehr zumuten. Sie ist einen großzügigen Lebensstil gewohnt, den ich ihr nicht mehr bieten kann. Das seht ihr wohl ein. Nun liegt es an euch.« Seine Stimme wird unsicher. Es würgt in seinem Hals, als säße da ein Kloß. »Ich liebe euch. Ich liebe euch mehr als ihr denkt. Wenn ihr bei eurer Mutter bleiben wollt, ich nehme es euch nicht übel. Ich kann euch nichts bieten. Mutter dagegen hat ihr ganzes Geld. Auch das Haus soll sie haben. Ihr braucht euch nicht sofort zu entscheiden. Ich lasse euch Zeit, bis – bis ich das Haus für immer verlasse. Ihr findet mich in meinem Zimmer«, setzt Rudolf Hermann abschließend hinzu und ohne etwas zu sich zu nehmen, geht er aus dem Raum. Eine bedrückende Stille läßt er hinter sich.

      »Wie kann Vater uns in eine solche Lage bringen«, bricht Christian zuerst das Schweigen.

      »Sei still«, herrscht Cornelia ihn an und versinkt in grüblerisches Nachdenken.

      »Wie schrecklich das alles ist«, weint Christiane auf. »Was sollen wir bloß machen?«

      Der Schimmer eines Lächelns huscht über Cornelias Lippen. Es ist kein gutes Lächeln.

      »Wie ich euch kenne, werdet ihr bei Mama bleiben.«

      »Wir können Mama unmöglich allein lassen«, fährt Christian mit einem Anflug von Energie auf.

      »Natürlich könnt ihr das nicht.« Cornelia stürzen Tränen der Wut aus den Augen. »Mama ist ja so hilfsbedürftig. Sie hat auch keinen Pfennig Geld. Ihr werdet für sie arbeiten.« Sie springt auf. »Ach, ihr seid erbärmlich«, stößt sie hervor und stürzt aus dem Zimmer. Die Zwillinge sehen ihr aus verstörten Augen nach. Sie scheinen gar nicht zu begreifen, was eigentlich gespielt wird.

      Cornelia stürzt mit vor Tränen blinden Augen vorwärts, direkt in Rudolf Hermanns Arbeitsraum hinein. Keuchend verhält sie den Schritt, lehnt am Türrahmen.

      Hochaufgerichtet, mit Augen, in denen sich alles Leid der Welt zu spiegeln scheint, sieht er seiner Tochter entgegen.

      »Papa!«

      Sie stolpert vorwärts, direkt in des Vaters Arme hinein. Sie schlingt die Arme um seinen Hals und preßt ihr tränennasses Gesicht gegen seinen Hals.

      »Papa, lieber Papa. Ich bleibe bei dir. Du bist wundervoll«, stammelt sie, von Schluchzen geschüttelt, und sie fühlt, wie der Vater sie fest an sich drückt.

      »Kind!« Ganz fest preßt Hermann seine Tochter an sich. Dann hält er sie eine Armlänge von sich ab, forscht eindringlich in ihren Augen. »Hast du dir alles reiflich überlegt? Ich bin ein armer Mann. Nichts kann ich dir mehr bieten, nichts, was bisher dein Leben ausfüllte. Ich könnte dich nur mit Liebe verwöhnen, dir ein guter Vater und Freund sein.«

      Cornelia weint hemmungslos und klammert sich wieder an ihn. Beruhigend streicht er ihr über das Haar.

      »Du kannst mich nicht umstimmen, Papa. Ich will dir helfen, soweit es mir möglich ist.«

      »Gut, Cornelia.« Hermann drückt ihr einen Kuß auf die Stirn und führt sie zu einem Sessel. Gehorsam schmiegt sie sich hinein. Die Augen hat sie groß zu ihm emporgehoben. Sie hängen an seinem Mund. »Du hast dich entschieden.«

      Sekundenlang bedeckt er seine Augen mit der Hand, wie immer, wenn er sehr bewegt ist. »Du glaubst nicht, was du mir schenkst, mein Kind. Beruhige dich und weine nicht mehr.« Er beugt sich über sie. »Liebe kleine Cornelia.« Ein schwaches, aber glückliches Lächeln verschönt seine Züge. »Heute bist du mir zum zweiten Mal geboren.«

      *

      Rudolf Hermann geht abermals durch die Toreinfahrt und dem langgestreckten Geschäftsgebäude zu. Er hat seinen Wagen nicht wieder benutzt. Ich muß mich daran gewöhnen zu Fuß zu gehen, hat er Cornelia