hinausziehen sehen in die weite, schöne Welt, nach der auch sie sich sehnt.
Sie hat man übersehen. Das Glück – und die Männer. Sie ist zu herb, zu wenig hübsch. Dazu kommt noch, daß sie kaum Zeit hat, an sich und ihr Äußeres zu denken. Ihre Kranken, ihre Pflichten sind ihr stets wichtiger gewesen.
Doch seitdem dieser junge Arzt auf der Chirurgischen Station ist und ihre Gedanken weitaus mehr in Anspruch nimmt, als sie will, ist sie etwas aus dem Gleichgewicht gekommen. Sie hat sich große Mühe gegeben, dieses Gefühl zu unterdrücken, doch sie kann es nicht ändern, daß seine Nähe sie verwirrt, sie erregt und hilflos macht.
Sie zuckt zusammen, als sie eine schmale Männerhand über ihren Fingern spürt. Eine Stimme, schmeichelnd und eindringlich fragt: »War ich wirklich so betrunken, Magda?«
»Ich – ich glaube doch«, stammelt sie, und sie kommt sich wie gefangen vor in seinem Blick.
»Würden Sie das auch dem Professor sagen?«
Oberschwester Magda zittert. Bis in die Fingerspitzen geht dieses Zittern, und Freytag spürt es. Kaum merklich lächelt er. Er weiß genau, daß sie etwas für ihn übrig hat. Es gilt nur, dieses Gefühl zu verstärken, und darin ist er nicht unbegabt.
»Ich – ich weiß nicht«, flüstert sie, und sie vermag nicht, ihre Augen aus den seinen zu lösen. Sie halten sie fest, wie eine Schlange ihr Opfer.
Langsam löst sich seine Hand von ihren Fingern. »Wann haben Sie endlich einmal einen freien Tag, Magda?«
Magda sagt er? Was will er von mir? Ihr Herz klopft bis zum Halse hinauf.
»Warum fragen Sie?«
Er lächelt sie jetzt offen an. »Ach, ich hätte mich gern einmal außerdienstlich mit Ihnen getroffen. Wie wäre es mit einer kleinen Fahrt ins Grüne? Sie müssen doch einmal aus der Tretmühle des Alltags herauskommen!«
»Sie wollen mit mir – ausgehen?« Ihr verschlägt es fast den Atem.
»Sehr gern, Magda.« Unbefangen lacht er und erhebt sich. »Sie brauchen nur den Tag zu bestimmen.«
»Soll das eine Einladung sein?« Noch immer vermag sie nicht daran zu glauben.
»Überlegen Sie es sich, Oberschwester Magda«, hört sie ihn eindringlich sagen. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung.«
Ihr ist die Kehle wie zugeschnürt. Aber er scheint seiner Sache sehr gewiß zu sein, denn er wartet keine Antwort ab.
Als er gegangen ist, erhebt sie sich schwerfällig und geht zu dem Spiegel.
Aufmerksam betrachtet sie sich und schüttelt den Kopf. Nein! An ihr ist nichts Anziehendes. Die Augen sind zu farblos. Der Mund zu breit. Nur die Zähne sind tadellos. Ihr Haar ist von einem matten Blond. Figur zu schlank. Das kommt wohl daher, weil sie sich nie richtig Zeit zum Essen nimmt.
Noch kaum hat sie Puder und Lippenstift benutzt. Man müßte sich etwas Glanz in das Haar bringen lassen. Und sie könnte sich auch ein nettes Kleid kaufen. Wozu hat sie die ganze Zeit das Geld gespart? Sie hat so wenig Gelegenheit, etwas auszugeben.
Nachdenklich kehrt sie zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie sieht nicht den unvollendeten Bericht, sie sieht nur ein junges Gesicht mit zwingenden blauen Augen. Sie zittert jetzt noch, wenn sie an den warmen Druck seiner Hand denkt. Ja, sie spürt förmlich diese Hand.
Mit einer abwesenden Bewegung streicht sie sich über die Stirn, als könne sie damit die abwegigen Gedanken auslöschen.
Unsinn! Wie kann sie, die alternde Frau, annehmen, daß ausgerechnet Doktor Freytag Gefallen an ihr findet? Sie wehrt sich gegen diese Annahme und hofft doch tief im Herzen, daß es so sein möge.
An diesem Tag macht sie von ihrer Freizeit Gebrauch und geht in die Stadt. Mit großem Interesse geht sie von Schaufenster zu Schaufenster und besieht sich Dinge, an die sie bis vor kurzem kaum gedacht hat. Sie findet die kleinen Modetorheiten, die das Äußere einer Frau vervollkommnen, auf einmal schön und hat den Wunsch, sie zu besitzen.
Zögernd noch, aber doch entschlossen, sucht sie ein Geschäft nach dem anderen auf und kauft mit Bedacht und Geschmack, was sie sich bisher aus Sparsamkeitsgründen versagte.
Von Kopf bis Fuß kleidet sie sich ein. Ein Kleid aus reiner Seide, vorteilhaft gearbeitet, das die Mängel ihrer überschlanken Figur verdeckt. Hut, Handschuhe und Schuhe, alles kauft sie passend dazu. Auch ihr Haar läßt sie sich tönen.
Mit roten Wangen trägt sie alles in ihr Zimmer im Krankenhaus und hält vor dem Spiegel noch einmal Anprobe.
Die Augen haben Glanz bekommen. Das Haar leuchtet. Die Lippen hat sie dezent bemalt.
Ein neues, völlig verändertes Antlitz wirft ihr der Spiegel zurück. Sie schämt sich etwas – aber sie findet sich plötzlich nicht mehr so unansehn-
lich.
»Wie ist es heute abend, Magda«, sagt Doktor Freytag zu ihr, als sie sich in der Aufnahme begegnen. »Sie haben doch heute Ihren freien Tag – und ich auch.« Er strahlt sie an und bemerkt mit Genugtuung, daß sie sehr verlegen ist und über und über errötet.
»Ich bin gegen acht Uhr hier und hole Sie ab, Magda. Einverstanden?«
Sie nickt und hastet davon. Aus etwas zusammengekniffenen Augen sieht er hinter ihr her, dann verschwindet er im Ärztezimmer.
*
Sybilla Sanders fährt in ihrem Sportzweisitzer aus der Stadt hinaus. Dicht am Walde, am Eingang des nächsten Dorfes, steht das Elternhaus Sybillas. Es liegt in einem Rosengarten und ist von wildem Wein umrankt. Rot leuchtet das Dach zwischen den Bäumen.
Sybilla parkt den Wagen vor dem Tor und geht den mit Platten belegten Weg zum Hause. Sie atmet den Duft der in Blüte stehenden Rosen und freut sich jedesmal an ihrer Pracht.
»Medizinalrat Dr. Sanders« steht auf dem Schild unter der Glocke.
Sie drückt auf den Knopf, obwohl sie den Schlüssel zum Haus in der Tasche trägt. Immer wieder ist sie auf das Gesicht der Haushälterin gespannt, die gleichzeitig ihre Amme war und die ihr die Mutter ersetzte.
Sie hört eine dunkle Stimme. Es könnte die Stimme eines Mannes sein, und dann wird die Tür geöffnet. Mar-tha, im dunklen Kleid und weißer Schürze, nimmt mit ihrer fülligen Gestalt fast den Eingang ein.
»Sybilla, Kindchen«, stößt sie erfreut hervor und schließt Sybilla in ihre Arme, die darin beinahe verschwindet. »Wie schön, daß du wieder einmal kommst, Billa. Als wenn ich es geahnt hätte. Die Erdbeertorte ist fertig. Komm rein, Kind. Was rede ich wieder soviel. Du wirst müde und hungrig sein, komm, komm.«
Sie drängt Sybilla ins Haus, und diese lacht herzhaft auf.
»Du glaubst immer noch nicht, daß ich genügend zu essen bekomme. Und gelaufen bin ich den Weg auch nicht .«
»Sei still, Billa«, unterbricht Martha sie mit einer entschiedenen Handbewegung. »Du hast sehr viel Arbeit und die macht müde. Kenne ich doch von deinem Vater, der ist auch ewig auf den Beinen. Viel zu sehr verwöhnt er seine Patienten. Er sollte sich endlich zur Ruhe setzen.«
Sie sind indessen in die kleine freundliche Diele gekommen, und Martha schält die Ärztin aus dem leichten Mantel. »Kannst du nicht einmal mit deinem Vater sprechen?« redet sie unaufhörlich weiter. »Diese ewige Hetzerei. Niemals kommt er zu den Mahlzeiten heim. Ist das noch ein Leben, frage ich dich?«
Sybilla legt ihre Hände auf die Schultern der Haushälterin. »Martha, könntest du aufhören zu arbeiten?«
»Um Gottes willen«, entfährt es der Alten entsetzt.
»Siehst du?« lacht Sybilla ihr in das gerötete Gesicht. »Du könntest nicht ohne Arbeit sein, von anderen verlangst du es aber.«
»Das ist doch ganz etwas anderes, Billa«, widerspricht Martha eifrig, dabei öffnet sie die Tür zu dem gemütlichen Wohnzimmer mit der anschlie-ßenden überdachten Veranda.
»Das