Gesicht und etwas schütteren, weißen Haaren.
Nachdem sich Doktor Sanders erfrischt hat, sitzen sie sich am Kaffeetisch gegenüber. Sybilla strahlt, und Sanders freut sich über seine Tochter.
»Gut, daß du gekommen bist, Sybilla«, nimmt er das Gespräch auf, nachdem Martha ihren Herrn mit Kaffee und Gebäck versorgt hat. »Ich hätte dich sonst telefonisch gebeten, herauszukommen .«
»Etwas Besonderes, Papa?« fragt sie beunruhigt.
Er winkt mit feinem Lächeln ab. »Durchaus nicht, Kind.« Er lehnt sich bequem zurück und holt seine Zigarettendose hervor, aus der er auch seiner Tochter anbietet. »Wann hörst du im Robert-Koch-Krankenhaus auf?«
Abermals erschrickt Sybilla und verfärbt sich. »Ich – aufhören?« flüstert sie. »Aber warum denn, Papa?« Soll ich dich arbeitslos machen?«
Ohne ihren Einwand zu beachten, fährt er fort: »Ich möchte mich zur Ruhe setzen, Kind, möchte meine Rosen züchten und meinen Lebensabend nach einem Geschmack genießen.«
»Und deine Patienten?« Sybilla ist direkt fassungslos.
Er winkt lässig ab. »Die werden sich von dir genauso gern verarzten lassen wie von mir.«
»Ich weiß nicht.« Ratlos preßt sie die Hände im Schoß zusammen. »Ich bin Chirurgin, Papa. Mir würde dieses Arbeitsfeld nicht genügen. Es gäbe mal einen Arm- oder Beinbruch, vielleicht mal einen Unfall. Nein, Papa, so schnell kann ich mich nicht dazu entschließen.«
»Aber würdest du es dir einmal durch den Kopf gehenlassen?« Sein Ton ist so ernst und bittend, daß es sie schmerzt, nicht spontan ja sagen zu können. »Sieh mal«, spricht er in seiner ruhigen Art weiter, »immer hatte ich mir einen Sohn gewünscht. Nun, ich bekam eine Tochter, dich, mein Kind! Du bist Ärztin geworden, und ich weiß, keine schlechte. Ich möchte dir meine Praxis übergeben. Das wäre mein größter Wunsch.«
»Natürlich, Papa – ich verstehe das.« Sie legt die Hand auf seinen Arm. Er spürt, wie diese Hand zittert, und ist betroffen darüber. »Aber ob ich mich zur Landärztin eignen werde?«
»Überleg es dir, Sybilla. Ich betone nochmals, du würdest mir einen Herzenswunsch erfüllen.«
Sie lächelt schwach zu ihm auf und nickt. Ihr ist die Kehle trocken. Sie schluckt ein paarmal. Sein Herzenswunsch! Wenn er ahnte, wie sehr sie mit ihrem Herzen im Robert- Koch-Krankenhaus wurzelt. Wie ihre Arbeit ihr unendliche Freude macht, weil sie neben Doktor Romberg schaffen darf.
Sie würde ihn dann bestimmt nicht mehr sehen. Nein! Undenkbar! Er gehört zu ihrem Leben wie die Sonne draußen, die sich immer tiefer am Himmel neigt und mit ihren letzten Strahlen die Rosenhecken vergoldet. Wie die Luft, die sie atmet. Nie ist ihr der Gedanke gekommen, Papas Praxis zu übernehmen.
Sie erhebt sich, und Doktor Sanders rückt den Tisch etwas zur Seite. »Du willst schon wieder fort?« Es klingt sehr enttäuscht.
»Ich muß, Papa, Nachtdienst.«
Er legt den Arm um ihre Schultern. Sie geht ihm gerade bis ans Kinn, obwohl sie hochgewachsen ist, aber doch von einer zierlichen, zerbrechlichen Schlankheit. Während sie in den leichten Mantel schlüpft, muß er sie immer wieder bewundern. Sie gleicht in allem ihrer Mutter – und doch stellt er fest, daß sie ihre Schönheit nicht ins rechte Licht zu rücken versteht, wie Renate das verstand. Auch sehr blaß ist sie. Er dreht sie zu sich herum.
»Du siehst müde und überarbeitet aus, Sybilla. Willst du nicht einmal eine Zeit ausspannen?«
»Ausgeschlossen«, wehrt sie sich heftig. »Ich werde gebraucht.«
Er lächelt vor sich hin. In diesem Falle ist sie ganz seine Tochter. Pflichtbewußt, treu und zuverlässig.
Er nimmt ihren Arm und begleitet sie bis zu ihrem Wagen, wo Martha bereits mit einem Riesenpaket wartet.
»Damit du etwas zu essen hast«, sagt sie und legt es auf den Rücksitz des Wagens. »Es sind alles Dinge, die du gern magst. Laß sie dir gut schmecken, Billa – und – komm bald wieder. Wiedersehen!«
Noch einmal verschwindet Sybilla in Marthas Armen, läßt sich küssen und küßt wieder. Dann trollt sich Martha ins Haus.
»Wiedersehen, Sybilla«, sagt auch Doktor Sanders und blickt ihr eindringlich in die glänzenden Augen. »Überleg es dir, bitte!«
Sie nickt und winkt, läßt den Motor anspringen und braust davon.
Mein Herzenswunsch! Mein Herzenswunsch! Das Wort verfolgt sie auf ihrer ganzen Fahrt. Und sie weiß jetzt schon, daß sie ihm weh tun muß. Herz und Verstand liegen miteinander in einem schweren Kampf!
*
»Donnerwetter!« entschlüpft es Doktor Freytag, als er Oberschwester Magda aus dem Mantel hilft und ihn der Garderobenfrau übergibt. »Was ist denn mit Ihnen geschehen? Sie sind
ja in eine völlig neue Hülle geschlüpft. Hm!« Er schmunzelt und amüsiert
sich über die rote Welle, die sich bis unter ihr glänzendes Haar ergießt. »So gefallen Sie mir. Kommen Sie, Mag-da.«
An seinem Arm betritt sie die »Barbarina«, eine intime, elegante Bar, die nur von einem auserlesenen Kreis besucht wird. Für Magda tut sich eine ganz neue Welt auf. Der stimmungsvolle Raum, in indirektes Licht getaucht, die dicken Teppiche, die jeden Laut dämpfen. Die kleine, spiegelnde Tanzfläche.
Freytag ist in seinem Element. Er ist hier wie zu Hause und gut bekannt. Er wird viel gegrüßt und dankt in fröhlicher, unbekümmerter Art. Seine Augen glänzen wie im Fieber.
»Was trinken wir?« erkundigt er sich höflich bei ihr, nachdem sie einen kleinen Ecktisch bekommen haben und er ihr ritterlich den Sessel zurechtgerückt hat.
Sie nickt zu all seinen Vorschlägen und nippt von dem Cocktail, der ihr im Halse brennt und den sie tapfer hinunterschluckt.
»Vielleicht essen wir eine Kleinigkeit?«
Auch dazu nickt sie. »Mir ist alles recht«, sagt sie leise, dabei wandern ihre Augen wie trunken umher.
Er lächelt und hebt ihr sein Glas entgegen. »Trinken wir auf – die Liebe.«
Sie gibt ihm Bescheid, aber sie zittert dabei. Was ist nur los mit ihr. Wie ausgewechselt ist sie. Alles hat sie hinter sich gelassen –
»Nun – Magda?« unterbricht er ihren Gedankengang. »Wollen Sie mir nicht auch ein liebes Wort sagen?«
»Auf die – Liebe«, wiederholt sie gehorsam, und dann schüttelt sie heftig den Kopf. »Sie treiben einen dummen Scherz mit mir.«
»Aber nein, Magda.« Seine Hand legt sich wie schon einmal besitzergreifend auf ihre Finger. »Haben Sie noch nicht gemerkt, daß ich Sie sehr gut leiden mag?«
»Mich?« Sie hat ein ungutes Gefühl in sich – und doch kann sie sich nicht aus diesem Traum lösen.
»Ja – Sie«, sagt er, und langsam dreht sie den Kopf. Tränen glänzen in ihren Augen. Er hat schon viele Frauen weinen sehen, das rührte ihn gar nicht an. Doch die Tränen, die die Frau ihm gegenüber vergießt, die versetzen ihm einen Schock. Ist es nicht ein großes Unrecht, mit ihr zu spielen?
Nur sekundenlang kämpft er mit diesem Anfall von Anständigkeit, dann hat er sein Gewissen beruhigt. Warum sind die Frauen auch so sentimental? Warum glauben sie immer gleich an die große Liebe?
Ihre Blicke begegnen sich und halten sich fest. Soll ich ihm sagen, daß ich viel älter bin als er? Langsam zieht er ihre Hand an seine Lippen, und sie muß sich beherrschen, ihm nicht über das blonde Haar zu streicheln.
»Wollen wir tanzen?« fragt er, ihre Verwirrung nicht beachtend.
Willig, noch etwas unsicher, folgt sie seiner Führung. Wie lange ist es her, daß sie über das Parkett geglitten ist? Sie spürt, wie er sie fest, ganz fest in seinen Arm nimmt und schmiegt sich willig hinein. Einmal spürt sie, wie sein Mund leicht ihr Haar berührt, und sie zuckt