Hans Fallada

Der eiserne Gustav


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sie sich in die Wigwams der Squaws!«

      (Dies war eine Reminiszenz aus dem geliebten Karl May.) »Wir sehen nirgend den glänzenden Lackpott unseres Patris equorum, dieser Zierde der Droschkenfahrer-Gilde!« rief Porzig mit gut gespielter Besorgnis. Der Kreis der zuhörenden Jungen hatte sich wesentlich vergrößert und stachelte die Phantasie des Spötters. »Wo weilt er? Warum schützt er den Zossen nicht vor den Schlingen der Wurstschlächter? Kippt er etwa – traun fürwahr! – in einer Stehbierhalle ein Kümmelchen? Sprich, legitimer Sohn einer Droschke!«

      Es war ein unausrottbares Märchen auf der Penne, daß der Alte Fritz seinem Kammergericht einen silbernen Nachttopf übermacht hatte – in Wut über das Urteil seiner Räte: für den Müller, gegen den König. Hermann Porzig war der Sohn eines Kammergerichtsrats, also antwortete Heinz Hackendahl: »Der glänzende Lackpott meines Vaters erblaßt vor dem Silberschein eines königlichen Nachtgeschirrs. – Ist es wahr, daß dein Vater dieses Gnadengeschenk jeden Sonnabend zu scheuern hat – und du darfst auf die Bürste spucken, Edeling?«

      Ein Schauer des Schreckens ging durch alle beim Anhören einer so schweren Beleidigung. Wirklich lief Porzig sofort rot an – er teilte Spott leichter aus, als er ihn ertrug.

      »Nimm den Nachtpott zurück!« schrie er. »Er ist eine Beleidigung des ganzen Kammergerichtes.«

      »Nie!« rief Heinz Hackendahl. »Du hast meinen Vater beleidigt!«

      »Du aber das Kammergericht! Revozierst du?«

      »Nie!«

      »Es ist also Schuß?«

      »Schuß!«

      »Schiß?«

      »Schiß!«

      »Verschiß?«

      »Großer Verschiß – bis einer um Gnade bittet!« beendete Heinz den traditionellen Herausforderungsgesang der Penne. Er sah sich um. »Hoffmann, du bist mein Sekundant!«

      »Ellenberg, du meiner!«

      »Laßt es für nachher!« bat der besonnene Hoffmann. »Wir haben nur noch drei Minuten Zeit.«

      »In einer Minute winselt er!«

      »Sein ungereinigter Pestatem soll uns nicht die Mathese verpesten!«

      Sie hatten sich schon ihrer Jacken entledigt, beide brannten auf den Kampf.

      »Eins! Zwei! – Drei!« riefen die Sekundanten. Mit winklig gebogenen Armen näherten sich die Streiter einander, tasteten sich ab, faßten sich, lehnten Brust an Brust, Stirn gegen Stirn – und einen Augenblick später rollten sie im Sande des Schulhofs.

      »Nehmen Sie eine jugendliche Unbesonnenheit nicht zu schwer, Herr Hackendahl«, hatte oben in seinem Studierzimmer der Direktor den besorgten Vater gebeten. »Der Satz: ›Jugend hat keine Tugend‹ gilt heute mehr denn je.«

      »Geld stehlen ist nicht unbesonnen, es ist schlecht«, hatte Hackendahl widersprochen.

      »Der heutigen Jugend ist ein Hang zur Genußsucht eigen, der unserer älteren Generation fremd war«, dozierte der Direktor. »Eine lange Friedenszeit hat die jungen Leute schlaff gemacht …«

      »Wir müßten wieder einmal einen ordentlichen Krieg haben«, rief Hackendahl.

      »Um Gottes willen! Nein! Ahnen Sie denn, welch schreckliche Ausmaße ein moderner Krieg nehmen könnte?!«

      »Wegen solch einem Völkchen auf dem Balkan? Das ist in sechs Wochen ausgestanden – und hat den jungen Leuten doch gutgetan. Wie ein Stahlbad.«

      »Die ganze Welt liegt voller Zündstoff«, antwortete der Direktor. »Alles schaut mit Neid auf das immer stärker werdende Deutschland und unsern Heldenkaiser. Die ganze Welt würde über uns herfallen.«

      »Wegen ein paar Serben, die man kaum auf der Landkarte findet?!«

      »Unseres wachsenden Reichtums wegen! Unserer Stärke wegen! Wegen unserer Kolonien! Wegen unserer Flotte! – Nein, Herr Hackendahl, es ist, verzeihen Sie, fast ein Frevel, sich einen Krieg zu wünschen, bloß weil der Sohn eine Dummheit begangen hat.«

      »Er müßte militärische Zucht haben!«

      »In knapp einem Jahr hat er sein Abiturium gemacht, dann können Sie ihn sofort dienen lassen«, sagte der Direktor überredend. »Nehmen Sie ihn jetzt nicht übereilt aus der Schule, aus einem Bildungsgang, der ihm alle Möglichkeiten erschließt.«

      »Ich werde es mir überlegen«, sagte Hackendahl widerstrebend.

      »Überlegen Sie nicht länger!« rief der Pädagog dringend. »Sagen Sie gleich ja! Versprechen Sie es mir.«

      »Ich muß erst sehen …«

      »Eben das sollen Sie nicht. Wenn Sie ihn erst sehen, in seinem Eigensinn, in seinem Trotz, werden Sie wieder anderen Sinnes werden. Wie konnten Sie ihn aber auch in einen Kohlenkeller sperren – ist das denn Pädagogik …?!«

      »Mich hat man in meiner Jugend auch nicht mit Glacéhandschuhen angefaßt, und ich habe nie Geld gestohlen!«

      »Sind Sie denn ein Strafrichter, oder sind Sie ein Vater? Sie werden sich auch schon verbotene Wünsche erfüllt haben. Wir Menschen sind alle schwach und ermangeln des Ruhmes – nun, das wissen Sie selbst. Also sagen Sie ja.«

      »Wenn er um Verzeihung bittet!«

      »Herr Hackendahl! Wird er denn jetzt um Verzeihung bitten, jetzt, wo Sie ihn aus dem Kohlenkeller herauslassen?! Man muß doch das Erreichbare verlangen!«

      Der eiserne Gustav stand schwankend. Von dem Schulhofe her drang verworrenes Getöse.

      Der Direktor sagte halblaut: »Es ist möglich, daß Erich als Erster sein Abitur macht – Primus omnium sagen wir dafür. Erster von allen – es ist ein hoher Ruhm!«

      Gustav Hackendahl lächelte. »Mit Speck fängt man Mäuse, Herr Direktor, nicht wahr? Na schön, will ich einmal sehenden Auges in die Falle gehen. Der Junge kommt morgen wieder zur Schule.«

      »Das ist ein Wort, Herr Hackendahl!« rief der Direktor erfreut und reichte dem Vater die Hand. »Sie werden es nicht bereuen … Was ist das für eine Ungehörigkeit?!«

      Er fuhr herum und lief zum Fenster. Ein brausendes Geschrei drang vom Schulhof herein, brüllende, johlende, schreiende Jungenstimmen!

      »Evoe Hackendahl! Hackendahl hoch!«

      Porzig hatte um Gnade gebeten, Bubi war Sieger. Im »Schwitzkasten« fast erstickt, konnte Porzig nur röcheln.

      »Du nimmst den Lackpott zurück? – Den Zossen? – Die Pferdewurst? – Stehbierhalle und Kümmelchen? – Alles?«

      Porzig grunzte jedesmal nur, der Kreis tobte Beifall.

      »Es scheint«, hüstelte der Direktor am Fenster, »ein kleiner Streit des anderen Sohnes Hackendahl zu sein. Nein, wir wollen uns nicht am Fenster sehen lassen – oft ist es besser, den Anschein zu erwecken, daß man nichts gesehen und nichts gehört hat.«

      »Der verfluchte Bengel hat sich die Hose zerrissen«, brummte hinter der Gardine Hackendahl. »Ewig reißt er sein Zeug entzwei, und seine Mutter darf flicken.«

      »Die Begabungen Ihres Sohnes Heinz liegen auf anderem Gebiet«, meinte der Direktor. »Ich möchte sagen, er ist lebenspraktischer. Man müßte vielleicht einmal überlegen, ob nicht ein Realgymnasium das Richtigere für ihn ist. Sie haben zwei gut veranlagte Söhne …«

      »Es ist komisch, daß mein Dritter gar nichts abbekommen hat«, sagte Hackendahl. »Der ist bloß ’ne Suse; wo man ihn hinstellt, schläft er ein.«

      »Er wird auch seine Begabung haben«, meinte der Direktor tröstend. »Man muß nur suchen. Suchen und fördern.«

      »Bloß ’ne Suse«, wiederholte Hackendahl. »Keinen Kummer macht er mir, aber auch nie eine Freude. Es ist schon ein Kreuz!«

      17 Die heimliche Ehe

      Otto Hackendahl hatte die beiden Pferde dem Schmiedeknecht übergeben, ging nun eilig weiter, trotzdem er wußte, daß er gegen ein Gebot des Vaters