Hans Fallada

Der eiserne Gustav


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ich hau dir auch in die Fresse wie dem Otto?! Das möchtest du wohl – daß du dich groß und beleidigt fühlen kannst, was? Aber den Gefallen tu ich dir nicht – du bist bloß ein Schlappscheißer, genau wie dein geliebter Otto, Schlappscheißer alle beide! Wie ihr mich ankotzt!«

      Fast zitternd vor Zorn sieht er den alten Mann an. »Um zehn bist du aus dem Stall und schläfst zu Hause, verstanden?!« schreit er noch einmal. »Der – der – der –« Er zeigt mit dem Finger nach hinten. »Der – soll wachen!«

      Krachend fliegt die Stalltür hinter ihm zu.

      19 Vater sagt Bubi gute Nacht

      Zwanzig Schritt her den Hof, zwanzig Schritt hin den Hof – die Nacht sinkt, die brausende Stadt wird ruhiger, aber es will nicht ruhig in ihm werden, immer schlimmer, alles immer schlimmer! Nicht einmal aus eigenem Antrieb hat der Otto den Bruder befreit; das Aas, die Saufgurgel, der Rabause hat es ihm vorgemacht, und er ist bloß wieder mal hinterhergelaufen, wie er sein ganzes Leben lang hinterhergelaufen ist! Und so etwas bleibt einem im Hause, und der Lebendige, der Geliebte läuft im Zorne fort!

      Der läuft geldlos in die Welt, ohne Nahrung, ohne Heim; ohne allen Rückhalt ist er jeder Gefahr der Großstadt ausgesetzt – was wird aus ihm?

      Hamburger Schiffsjunge, französischer Fremdenlegionär, Selbstmörder im Landwehrkanal – und das wenigste ist, daß er sich seinen Lieblingssohn auf einer Tiergartenbank schlafend vorstellt. Die Schutzleute jagen ihn immer wieder auf, denn es ist verboten, im Freien zu schlafen! Der verlorene Sohn bei den Säuen, wahrhaftig, von ihm ist im Neuen Testament die Rede – aber kein Wort steht dort davon, wie dem Vater in all der langen Trennungszeit zumute war!

      Hackendahl macht kehrt, er geht eilig die Treppe hinauf, über den Flur, tritt in das Schlafzimmer. »Wo ist Erich?«

      Mutter ist zusammengeschreckt, sie wälzt sich hoch, sie starrt ihn an. »Was hast du denn, Vater? Du erschreckst einen jal«

      »Wo Erich ist, will ich wissen!«

      »Aber ich weiß es nicht! Er hat mir doch nicht mal adieu gesagt, ehe er weglief …«

      Sie hält inne. Sie fürchtet, sie hat jetzt ihren Anteil an der Flucht verraten, aber er achtet gar nicht darauf. Er will nur wissen, wo Erich geblieben ist.

      »Das ist nicht wahr!« ruft er böse. »Du weißt, wo Erich ist.«

      »Bestimmt nicht! Ich mache mir doch auch solche Sorgen! Otto hat noch nach ihm gesucht, aber da war er schon fort …«

      Hackendahl denkt nach. »Es ist doch nicht wahr«, sagt er. »Erich würde so nicht weglaufen. Hast du ihm Geld gegeben?«

      »Nichts! Keinen Pfennig!« jammert sie. »Ich habe doch gar kein Geld, das weißt du doch, Vater!«

      Jetzt ist er ganz fest überzeugt, daß sie lügt. Sie haben Erich irgendwo versteckt. Erich, er kennt doch Erich! Der wird doch nicht ohne Geld weglaufen!

      »Ich werde es schon herausbekommen, du!« sagt er drohend und verläßt ganz plötzlich ihr Zimmer, geht hinüber in das Zimmer der Töchter …

      Dort ist es schon fast dunkel. Eva liegt in ihrem Bett. Sie hat im letzten Tagesschein mit ihren Schmucksachen gespielt, sie hat die Ringe aufprobiert, die Broschen auf das Nachthemd gesteckt, o so schön!

      Als sie heute mittag nach Haus gekommen war, die Geschichte von dem bestohlenen Versteck in der Hängelampe erfuhr, das sie für ihr undurchdringliches Geheimnis gehalten hatte – und nun wußten alle davon, oh, sie wäre fast geplatzt vor Wut! Sie wäre am liebsten zur Polizei gegangen, sie hätte ihn angezeigt, den Bruder, diesen gemeinen Verbrecher!

      Aber da war dieser Schmuck in der Tasche des Kleiderrocks! Nur jetzt nichts mit der Polizei zu tun haben! Sie hat mit zitterndem Herzen die Schilderung des Juwelendiebstahls in der Zeitung gelesen. Man ist natürlich davon überzeugt, daß der junge Mann und das junge Mädchen zusammengehörten, daß die beiden raffiniert zusammenarbeiteten. Man hat auch schon die Markttasche gefunden …

      Nein, nur Stille und Ruhe – leise gleiten die Schmucksachen durch ihre Hände, das macht sie glücklich. Erst am Morgen hat sie gedacht, daß sie ihren Anteil an den schönen Dingen des Lebens haben will – und nun besitzt sie schon etwas, nun besitzt sie schon viel! Sie wird diesen Schatz nie wieder hergeben! Sie wird stille sein!

      Sie hört den Schritt des Vaters auf dem Gang, seine scheltende, die weinerliche Stimme der Mutter. Rasch steckt sie die Schmucksachen in ein Beutelchen. An einer dünnen, festen Schnur hängt das Beutelchen zwischen ihren Brüsten. Nun dreht sie sich um zur Wand und stellt sich schlafend …

      Der Vater steht auf der Schwelle des Schlafzimmers, er lauscht. Von je hat er so auf den Schlaf der Kinder gelauscht, er kennt jedes Geräusch, weiß sofort, wenn sie sich verstellen …

      »Eva!« ruft er scharf. »Du schläfst nicht. – Wo ist Erich?«

      »Ich weiß doch nicht, Vater …«

      »Doch, du weißt es. Sag mir sofort, wo Erich ist.« Fast bittend: »Sei doch vernünftig, Evchen, ich will ihm doch nichts tun. Ich möchte bloß wissen, wo er ist.«

      »Ich weiß es wirklich nicht, Vater! Ich war doch einholen, als das ganze Theater war. Bestimmt, Vater, ich würde es dir sagen; ich hätte ihn überhaupt nicht rausgelassen!«

      Ja, diese Tochter ist nun des Vaters Meinung: Erich hätte nicht fort gedurft. Aber seltsam, so geäußert ist es dem Vater auch wieder nicht recht.

      »Ich will gar nicht wissen«, sagt er, »was du denkst. Paß morgen auf, ob Erich kommt oder irgendeine Botschaft schickt, und sag mir sofort Bescheid.«

      »Ja, Vater.«

      »Tust du es auch?«

      »Ja doch, Vater!«

      »Gut.«

      Hackendahl wendet sich, will schon gehen, da erst wird ihm klar, daß das zweite Bett in diesem Zimmer unbesetzt ist. Er fragt: »Sophie hat schon wieder Nachtdienst?«

      »Sophie? Ja, hat dir denn Mutter nicht gesagt, daß Sophie auch weg ist?!«

      »Was heißt weg?!«

      »Na, zu ihren frommen Schwestern doch! Sie ist doch heute mittag für ganz ins Krankenhaus gezogen! Mit Sack und Pack. Wir sind ihr ja wohl nicht fromm genug. Wir streiten uns zuviel, hat sie gesagt!«

      »So!« antwortet der Vater bloß. »So! – Na, gute Nacht, Evchen.«

      Langsam zieht er die Tür zu, lange steht er auf dem Gang. Schlag auf Schlag, immer schlimmer, zwei Kinder an einem Tage verloren: Und auch Sophie hat mir nicht adieu gesagt! Was habe ich ihnen denn getan, daß sie mich so behandeln?! Nun gut, ich bin streng gewesen, ein Vater muß streng sein! Ich bin vielleicht noch nicht streng genug gewesen! Jetzt sehe ich erst, wie weich sie sind, wie sie gleich ausreißen, wenn es schwierig wird! Die hätten Soldaten sein müssen! Die Zähne zusammen, nicht mit der Wimper gezuckt – und durch!

      Er steht da, lange, lange, seine Gedanken gehen hin und her, anklagend, grollend, zornig. Aber so viel er auch bedenkt, er wird nicht weich, er gibt nicht nach! Sie haben ihm schwere Wunden geschlagen, aber er klagt nicht wegen der Wunden, er klagt, daß Kinder eines Vaters Feinde sein können, ihn aus dem Hinterhalte schlagen.

      Nein, er gibt nicht nach, der eiserne Gustav strafft den Rücken, er setzt den gewohnten, abendlichen Rundgang fort. Er verkriecht sich nicht in Bett und Wehleid, er geht in das Schlafzimmer der Söhne.

      Der Schritt hallt, fahl leuchten die Betten – von dreien sind hier zwei unbesetzt …

      »Guten Abend, Vater«, sagt Heinz.

      »Guten Abend, Bubi. Schläfst du noch nicht? Es ist schon längst Schlafenszeit.«

      »Ich werd schon noch einschlafen, Vater. Du läufst ja auch noch rum und stehst drei Stunden früher auf als ich.«

      »Ein alter Mann braucht wenig Schlaf, Bubi.«

      »Du bist doch noch kein alter Mann, Vater!«

      »Doch!«

      »Bestimmt nicht.«

      »Doch!«

      »Nein.«

      Der