sie. »Die Leute …«
In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Es mußte möglich sein, sich von ihm loszureißen und im Gedränge zu verschwinden … Sie wartete nur auf den Augenblick, wo der Druck seines Armes einmal nachließ …
»Also, wie heißte denn?«
»Eva …«, sagte sie schwach.
»Na, und wie denn weiter, meine süße, kleene Eva?«
»Schmidt!«
»Na natürlich doch, Schmidt! Ha’ick doch jleich jedacht – Meier wäre mir auch zu jewöhnlich jewesen! – Und wo wohnste denn, Frollein Schmidt?«
»In der Lützowstraße.«
»Also in de Lützowstraße, feine Jejend, wie? Und wo haste denn die Dingerchen, die feinen, blanken, glitzrigen, du weeßt schon. Zu Hause, wat?«
»Habe ich auch!« sagte sie kühn. Sie war jetzt fest entschlossen, ihm, sobald es paßte, mit der freien Hand in die Augen zu fahren, sie würde ihn kratzen, loskommen …
»Also zu Hause«, wiederholte er höhnisch. »Auch ne jute Jejend, bei euch zu Hause, wat, wie? Und wo haste sie denn da? Wohl unterm Kopfkissen, wat?«
»Nein«, sagte sie. »Im Gewicht von der Hängelampe.«
»Im Jewicht von der Hängelampe«, wiederholte er nachdenklich. »Det is jar nich so schlecht, du hast ja Talente für deinen Beruf! Det Vasteck haste dir nich eben erst ausjedacht. Du hast also schon früher jeklaut, wat?«
Sie antwortete nicht, wütend über ihren Fehler.
Und wieder kommt bei ihm dieser plötzliche Übergang von lachendem, grinsendem Hohn zu brutaler, nackter Drohung. Sein dunkles Gesicht nahe ihrem weißen, flüstert er mit heiserer Stimme: »Un nu will ick dir ma erzählen, wat jespielt wird, mein Frollein Schmidt aus de Lützowstraße mit de Hängelampe! Kuschen wird jespielt, Parieren wird jespielt – wenn ick pfeife, kommste, vastanden?! Vastanden – du? Sieh mir an, du – Nutte!« Sie sieht ihn an, zitternd.
»Du Nutte von einem Dieb, du!« sagt er zwischen den Zähnen. »Du feinet Frollein – Eva – Hackendahl!«
Er sieht sie triumphierend an, er kostet mit Wonne ihr Entsetzen, als sie merkt, es gibt kein Entrinnen, er kennt ihren Namen. Es gibt keine Flucht …
Er genießt seinen Triumph. Aber da er sie so vollständig unterworfen sieht, nur noch schneeweiß und zitternd, verliert sich sein Zorn. Der Sieger wird großmütig.
»Ja, da staunste«, sagt er lachend. »Mußte dir eben keinen alten Herrn anschaffen, der deinen Namen über de halben Linden tutet! Siehste, ick bin ja nich so, ick tu nich, als könnt ick hexen. Det war doch dein Vater, der so rief …?«
Sie nickt.
»Wenn ick dir wat frage, haste zu antworten! Sag ja!«
»Ja …«
»Sag: ›Ja, Eugen!‹«
»Ja – Eugen.«
»Jut – und nu, wo wohnste wirklich? Aber mach mir nich noch mal Schwindel, ick versprech dir, für jedesmal, wo de mir anschwindelst, schlag ick dir alle Knochen kaputt! Und ick tu’s …«
Sie ist überzeugt, daß er es tun wird, ihr Kopf sucht nach einem Ausweg und findet doch keinen …
»Wo wohnt ihr?«
»Frankfurter Allee.«
»Wo da?«
»Der Fuhrhof …«
Er pfeift durch die Zähne. »Ach, der is det, der mit de Droschken? Den kenn ick doch, die janze Zeit grüble ick: Die Wachtmeisterfresse kennste doch! Aber da krieg ick ja ein feinet Frollein Braut, da krieg ick ja ein prima Vahältnis, det is ja jroßartig …« Er ist plötzlich sehr aufgeräumt. »Und nu paß uff, Kleene … Evchen …«
Sie zittert wieder.
»Kuck bloß nich so ängstlich. Vor mir brauchste doch keene Angst haben, ick bin der jutmütigste Kerl von janz Berlin, ein wahrer Trottel bin ick – wenn de tust, wat ick dir sage. Also heute abend um neune biste an der Ecke von der Großen und Kleenen Frankfurter Straße. Vastehste?«
Sie nickt, aber als sie eine Bewegung bei ihm sieht, sagt sie rasch: »Ja – Eugen.«
»Die blanken Dingerchen, du weeßt schon, die brauchste nich extra mitzunehmen, weil de se nämlich schon mit hast … So doof mußte nich noch mal sind, ’nem ausjekochten Jungen zu erzählen, se sind im Jewicht von der Hängelampe, wo ick die janze Zeit det Band in deinem Ausschnitt sehe …«
Wieder erblaßt sie.
»Aber ick bin nich so, die Sore nehm ick dir ab, wat willste ooch damit? Tragen kannste die Dinger doch nich, und du fällst bloß rein damit. Aber ick jeb dir mal wat anderes, wat de tragen kannst, ooch schöne Sachen – ick hab es ja dazu …
Und überhaupt, Mächen«, und jetzt drückt er ihren Arm, aber zärtlich, »det wird ’ne janz prima Sache mit uns beiden, da mußte dir nich vor ängsten, wir werden noch manche jute Stunde miteinander haben.«
Er lacht kurz, ihr Arm liegt jetzt still in seiner umspannenden Hand. »Nur eins: Parieren mußte, da hilft dir nischt – un wenn ick oben uff de Siejessäule sage: Spring!, denn springste, sonst kenn ick mir nich vor Wut.«
Er läßt sie plötzlich los, sieht sie prüfend an. »Haste Angst, wie, wat?«
Sie nickt langsam, Tränen in den Augen.
»Det jibt sich, Evchen«, sagt er, oberflächlich tröstend. »Zuerst hat jede Angst jehabt, aber det jibt sich. Un mach mir keene Dummheiten mit Rennen uff de Polizei – da schlag ick dir langsam tot, heute oder in zehn Jahren.«
Er lacht kurz, nickt noch einmal und befiehlt dann: »Marsch, nach Haus!«
Ehe sie sich noch besinnen kann, ist er fort.
4 Der Abgeordnete und Erich
In einem Zimmer im ersten Stock eines Hauses an der Jägerstraße geht ein schwerer, schwärzlicher Mann in Hemd und Hose auf und ab. Er geht auf und ab, er pfeift dabei die Marseillaise, seine Füße in ledernen Hausschuhen gehen sachte über den mit Linoleum belegten Boden.
Ab und zu tritt der Mann ans Fenster und sieht auf die Jägerstraße hinunter, die auch etwas von dem Trubel abbekommen hat, der an diesem ersten Mobilmachungsnachmittag Unter den Linden herrscht. Dann schüttelt der Mann den Kopf, er pfeift leiser, aber er marschiert weiter.
Nun fliegt draußen die Etagentür auf. Rumm! Rumm! schlägt sie zu, eilige Schritte kommen, die Tür wird mit einem Ruck geöffnet, und in ihrem Rahmen steht rasch atmend, mit geröteten Wangen Erich Hackendahl.
Der schwere dunkle Mann sieht den jungen Menschen ernst an. »Nun …?« fragt er.
Erich ruft nur: »Mobil!«
Der Mann sieht ihn weiter unverwandt an, er nimmt dabei die Weste vom Stuhl und fängt an, sie überzuziehen. »Das war zu erwarten«, sagt er schließlich langsam. »Aber mobil heißt noch nicht Krieg!«
»Ach, Herr Doktor!« ruft Erich noch immer ganz atemlos. »Die Menschen sind ja so begeistert! Sie haben gesungen: ›Nun danket alle Gott‹. Ich habe auch mitgesungen, Herr Doktor.«
»Warum sollen sie nicht begeistert sein?« fragt der Doktor und fährt in die Jacke. »Es ist doch etwas Neues! – Und dann hat wahrscheinlich ihr strahlender Kaiser wieder einmal geredet, von schimmernder Wehr, von Feinden in aller Welt …«
»Nichts! Nichts! Nichts von alledem!« ruft der Junge. »Ganz falsch, Herr Doktor! Ein Schutzmann ist aus dem Portal gekommen, ein ganz einfacher Blauer, und hat die Mobilmachung bekanntgemacht. Es war herrlich!«
»Er ist ein großer Theatermann, euer Heldenkaiser«, sagt der schwere Mann ungerührt. »Jetzt macht er es also mit der altpreußischen Schlichtheit – er hat Friedrich den Einzigen kopiert. Aber, Junge, Erich, merkst du denn nicht, daß du ihm auf den Leim gehst – du kennst doch seine leidenschaftliche Liebe für Prunk und Trara! Und plötzlich ein einfacher