die Reiterschar stehen. Eine steinige Schlucht umgab die Krieger. Zu beiden Seiten ragten Felsen auf. Hier und da wuchs unübersichtliches Gesträuch.
»Was hast du vor?«, fragte Helor.
»Männer und Pferde brauchen eine Pause«, antwortete Kurdal. »Es wird ohnehin bald Nacht. Wir rasten hier in der Schlucht.«
»Ganz wohl ist mir nicht dabei.« Bragu sah sich unbehaglich um. »In der Schlucht sind wir schutzlos. Denk an die grässlichen Riesentiere, die in diesem Land leben.«
»Deshalb bleiben wir nicht hier unten.« Kurdal streckte einen Arm aus. »Sieh die Höhlen dort oben. Sie sind groß genug für uns und die Pferde. Eine Geröllhalde führt hinauf. Ich glaube, sie trägt die Pferde, ohne abzurutschen.«
»Gut. Da oben sind wir vor den scheußlichen Monstern sicher.«
Beiläufig schaute Kurdal zu der gefangenen Frau hinüber. Sie war auf dem Pferd festgebunden, eine Flucht war daher ausgeschlossen. Er zerbrach sich nicht den Kopf darüber, was sie und ihren Begleiter in den Dschungel verschlagen hatte. Sie waren selbst schuld an ihrem Schicksal. Wenn die Krieger das Mädchen als Sklavin verkauften, würde es ein hübsches Sümmchen einbringen.
Kurdal drehte sich zu den anderen Männern um. »Alles absteigen! Wir verbringen die Nacht in den Höhlen.«
*
Der Boden bebte unter Keraks Füßen. Der Gorilla hielt bei der Wassersuche inne, schnüffelte und lauschte. Seine feinen Sinne verrieten ihm das Eintreffen von zahlreichen Zweibeinern. Er sprang ins Gebüsch und versteckte sich. Tatsächlich kamen viele Zweibeiner durch die Schlucht. Sie ritten auf Pferden, die es normalerweise im Dschungel nicht gab.
Jeder trug einen Speer in der Hand. Kerak wusste, dass die gefährlichen pieksenden Dinger weit durch die Luft fliegen konnten. Er wagte nicht, sich zu rühren. Eine solche Waffe hatte Tibors Freund verletzt und konnte auch einem großen Affen übel zusetzen.
Inmitten der Bösewichte entdeckte er die verschleppte Frau. Sie saß gefesselt auf einem Pferd.
Kerak drehte den Kopf und schaute zu der Höhle hinüber, in der der Verletzte lag. Hoffentlich rührten er und die anderen beiden Zweibeiner sich nicht, solange die Bösewichter in der Schlucht waren.
Als die Zweibeiner anhielten, war Keraks Ratlosigkeit komplett. Wo blieb der Hilfsbereite bloß? Er würde wissen, was zu tun war. Sobald der Gorilla zwischen den Büschen hervortrat, würden die spitzen Dinger ihn aufspießen.
Eine Weile unterhielten sich die Zweibeiner in ihrer eigenen Sprache, dann stiegen sie ab. Der Schreck fuhr Kerak in die Glieder. Sicher wollten sie in den Höhlen übernachten.
Das gibt ein Unglück, wenn sie die anderen Zweibeiner oben finden, dachte er.
Auf einen Menschen mochte der große Affe rau und plump wirken, doch er war intelligent. Plötzlich kam Kerak eine Idee, wie er die Bösewichter vertreiben konnte. Der Gork musste noch in der Nähe sein.
*
Der Verletzte rührte sich nicht. Kurz zuvor noch hatte er sich im Fieberwahn aufgerichtet und wirres, zusammenhangloses Zeug gemurmelt, nun lag er mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und gab keinen Mucks von sich. Urak und Gemal hockten neben ihm und ließen ihn nicht aus den Augen.
»Hoffentlich kommt Kerak bald mit Wasser zurück«, flehte der Junge.
Doch der Gorilla ließ ebenso auf sich warten wie Tibor. Urak schreckte auf, als er aus der Schlucht Stimmen vernahm. Sie stammten von mehreren Männern. Traf Tibor endlich mit dem Medizinmann ein, den er aus dem Dorf der Ogks holen wollte? Urak kroch bis zum Rand der Höhle und spähte nach draußen. Eine ganze Schar Reiter war eingetroffen. Nach einem kurzen Wortwechsel stiegen sie von den Pferden.
»Es sind Abals Krieger«, zischte Gemal. »Was sollen wir machen?«
Urak gab keine Antwort, denn es gab nichts, was sie tun konnten. Hätte er doch bloß nicht auf Tibor gehört, sondern wie ursprünglich beabsichtigt die Flucht ergriffen! Der Junge und er wären längst in Sicherheit. Stattdessen saßen sie nun in der Falle.
»Vielleicht kommen sie nicht herauf«, verlieh Gemal seiner Hoffnung Ausdruck.
Urak nickte. Wie sollte er seinen Schützling gegen die bewaffnete Übermacht verteidigen? Sie konnten nur hoffen, dass die Krieger unten in der Schlucht blieben. Doch das war ein frommer Wunsch. Schon machten sich die Bewaffneten an den Aufstieg.
»Hilf mir, Tibors Freund tiefer in die Höhle hineinzutragen«, flüsterte Gemal. »Wenn nur Pip und Pop keinen Lärm schlagen!«
Doch die beiden Äffchen verhielten sich ruhig. Urak packte mit an. Behutsam wollten er und Gemal den Verletzten aufheben, als sie plötzlich Schreie und das angsterfüllte Wiehern von Pferden vernahmen. Flugs liefen sie zurück zum Höhleneingang. Unten war Panik ausgebrochen: Eine mächtige Echse stapfte durch die Schlucht und lief geradewegs auf Abals Krieger zu.
*
»Haltet die Pferde fest!«, trieb Helor die Krieger an. »Aufsitzen und nichts wie fort von hier! Zieht das Pferd mit der Gefangenen hinter euch her!«
Der Boden bebte unter dem anstürmenden grünen Giganten. Ein paar Krieger hoben ihre Lanzen und schleuderten sie dem Tier entgegen. Zu ihrem Entsetzen richteten sie damit nichts aus.
»Die Speere prallen vom Panzer des Untiers ab«, klagte Kurdal. Mit einem Satz sprang er in den Sattel. »Wir können es nicht aufhalten. Bloß weg, bevor es uns alle niedertrampelt!«
Die Rufe der Männer mischten sich mit dem Wiehern der Pferde, die nicht weniger Angst hatten als ihre Reiter. Endlich saßen alle auf dem Rücken ihrer Reittiere. Es wurde höchste Zeit, denn die schwere Echse war fast heran.
In Todesangst preschten die Pferde davon. Das Donnern ihrer Hufe pflanzte sich durch die Schlucht fort und wurde von den Felswänden zurückgeworfen. Gestein spritzte unter dem Hufschlag davon.
»Das Untier bleibt zurück!«, stieß Helor aus.
Kurdal warf einen raschen Blick über die Schulter. »Trotzdem sind wir erst sicher, wenn wir dieses unheimliche Land verlassen haben. Diese schrecklichen Riesentiere leben hier überall!«
»Du hast recht«, pflichtete Helor ihm bei. »Gemal und Urak sind bestimmt nicht mehr am Leben.«
»Das glaube ich auch. Die grässlichen Ungeheuer haben sie längst zerrissen und gefressen.«
Vor den Kriegern weitete sich die Schlucht. An die Stelle der Felsen und des kargen Bodens trat ein grünes Tal, das von einem Fluss geteilt wurde. An beiden Ufern wucherte üppige Vegetation. Weit und breit waren keine Untiere zu sehen und die Krieger atmeten auf.
»Wir tränken unsere Pferde am Fluss«, wies Kurdal die Männer an. »Dann halten sie durch, bis wir das Plateau der Ogks erreichen. Dort sind wir sicher und legen eine längere Rast ein, bevor wir zu Abal weiterreiten.«
»Fürchtest du nicht, dass die Ogks uns feindlich gegenübertreten könnten?«, fragte Bragu.
»Nein. Abal hat eine Vereinbarung mit ihnen getroffen, dass wir ihr Gebiet durchqueren dürfen, solange wir Urak und Gemal verfolgen.«
Die Krieger ritten bis zum Flussufer und zügelten die Pferde. Nachdem sie ihre Reittiere getränkt und selbst getrunken hatten, setzten sie ihren Weg im dichter werdenden Dschungel fort.
*
Das Band des durch den Urwald mäandernden Flusses funkelte türkisfarben. Im Licht der untergehenden Sonne wirkte das träge dahinziehende Gewässer geheimnisvoll, wie eine Verheißung. Das Bild drückte die ganze Schönheit jener Welt aus, die zu Tibors Heimat geworden war. Trotz der Eile konnte der Sohn des Dschungels sich dem Zauber, der ihn immer wieder aufs Neue gefangen nahm, nicht gänzlich entziehen. Das Leben im Urwald war nicht leicht. Für jemanden, der nicht mit den Gefahren vertraut war und nicht gelernt hatte, mit ihnen umzugehen, konnte es sich sogar schnell als mörderisch erweisen. Forscher, die an diesen Ort kamen, mussten das zu ihrem Leidwesen