gehetzt. Tibor konnte keine Rücksicht auf ihre Angst nehmen, schließlich ging es um zwei Menschenleben. Er hatte die Forscher hinter die Sümpfe geführt, also war er für sie verantwortlich. Es lag in seinen Händen, dass sie wohlbehalten die Heimreise antraten.
»Lass uns in Ruhe!«, rief Urak ihm entgegen. »Begreifst du denn nicht, dass Abals Krieger uns gnadenlos töten werden?«
Der Sohn des Dschungels bekam ihn zu fassen und hielt ihn fest. »Und begreifst du nicht, dass der Professor und seine Assistentin sterben, wenn ihr mir nicht helft?«
Urak wand sich in Tibors Griff, um sich daraus zu befreien. Als es ihm nicht gelang, sackte er regelrecht in sich zusammen. Gemal wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Unschlüssig schaute er zwischen den beiden Erwachsenen hin und her. Tibor war erleichtert, dass er nicht alleine weiterfloh.
»Die Reiter sind von dem Tyrannosaurus in die Flucht geschlagen worden«, versicherte er. »Ich glaube nicht, dass die Krieger ihre Suche nach euch wieder aufnehmen.«
»Du irrst dich.« Urak gab seine Gegenwehr auf. Wie ein nasser Sack plumpste er auf den Boden. Ihm fehlte die Kraft, um sich wieder zu erheben. »Weil du Abal nicht kennst. Er kann es sich nicht leisten, uns entkommen zu lassen. Unser Tod ist wichtig für ihn, besonders Gemals Tod.«
»Das verstehe ich nicht«, gestand Tibor. »Wie wäre es, wenn du es mir erklärst?«
Urak rang mit sich. Schließlich gab er sich einen Ruck und die Worte flossen nur so aus ihm heraus. »Du musst wissen, dass Gemal der Sohn unseres Stammeshäuptlings ist. Abal war der Hauptmann der Garde und hat nach dem Tod des Häuptlings dessen Position eingenommen. Nun ist er der Anführer unseres Stammes. Das Gesetz verlangt jedoch, dass er das Amt an Gemal übergibt, sobald dieser achtzehn Jahre alt wird. Meine Aufgabe war es, bis dahin die Erziehung des Jungen zu übernehmen, doch durch Zufall erfuhr ich von einem Komplott. Abal beabsichtigt, Gemal töten zu lassen. Aus diesem Grund bin ich mit dem Jungen geflohen. Verstehst du, er ist mein Schutzbefohlener! Ich muss verhindern, dass ihm etwas zustößt, denn er ist der wahre Stammeshäuptling, nicht Abal.«
Nach der ausführlichen Erklärung sah Tibor klarer, doch es gab ein Problem, von dem Urak keine Ahnung hatte. »Ihr könnt nicht viel weiter fliehen. Dieses Gebiet wird im Süden von unüberwindlichen Sümpfen begrenzt.«
Das begriff Urak nicht. »Du bist doch mit deinen Gefährten aus dem Land jenseits der Sümpfe gekommen.«
»Das ist etwas anderes. Die Tiere des Dschungels gehorchen mir. Adler haben uns über den Sumpf getragen. Folgt mir ins Dorf der Ogk-Menschen. In ihrer Mitte seid ihr sicher.«
»Aber die Ogks hassen uns. Mein Stamm hat einmal einen Raubzug gegen sie geführt. Seitdem ist jeder verloren, der in ihre Nähe gerät.«
»Ihr steht unter meinem Schutz«, versprach Tibor. »Mit mir an eurer Seite wird euch nichts geschehen.«
»Ich vertraue Tibor«, sagte Gemal. »Gehen wir mit ihm.«
Nach kurzem Überlegen willigte Urak ein. Gemeinsam setzten die beiden Männer und der Junge ihren Weg fort.
*
Sie kamen viel zu langsam voran, stellte der Sohn des Dschungels nach einer kurzen Wegstrecke fest. Der Abstand zu dem Triceratops verringerte sich nicht.
»Könnt ihr nicht etwas schneller laufen? Wir müssen den Gork einholen.«
Gemal schüttelte den Kopf. »Tut mir leid«, keuchte er, »aber ich kann gleich gar nicht mehr.«
»Ich nehme dich huckepack.« Tibor hob den Jungen auf seinen Rücken, was Gemal mit einem Lächeln quittierte. »Und du zeige uns, was in dir steckt, Urak.«
Sie liefen weiter und kamen nun schneller voran als zuvor. Bald entdeckte Tibor niedergetrampeltes Gebüsch. Er rannte über Stock und Stein und Urak hielt mit ihm Schritt. Endlich kamen sie dem von Kerak gerittenen Saurier näher.
»Sobald wir den verletzten Professor in die Hände des Ogk-Medizinmannes gegeben haben, führst du mich zu Abals Kriegern.«
»Was?« Urak schreckte zusammen. »Wozu?«
»Ich will das Mädchen befreien, das die Krieger entführt haben.«
»Das ist unmöglich. Eine Rettungsmission wäre unser sicherer Tod.«
»Ich wundere mich, dass man dir die Erziehung des Häuptlingssohnes anvertraut hat«, tadelte Tibor seinen Begleiter. »Du gibst Gemal kein gutes Beispiel, wenn er einmal ein tapferer Krieger und Anführer seines Stammes werden soll.«
»Tapferkeit ist ein hehres Gut, doch Tapferkeit ohne Klugheit ist wie ein Schwert, das sich gegen das eigene Herz richtet«, verteidigte sich Urak. »Es ist gewiss nicht klug, blindlings in den eigenen Untergang zu laufen.«
»Das habe ich nicht vor. Verwechsle nicht Tapferkeit mit Übermut. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich nicht mit offenen Augen in eine Gefahr renne.« Tibor merkte auf, als er das Brechen von Ästen vernahm. Der Boden bebte unter den schweren Schritten des Sauriers. »Endlich! Da vorne ist der Gork.«
Kerak empfing den Sohn des Dschungels mit Ungeduld. »Ich glaube, dem Zweibeiner geht es nicht gut. Er atmet noch, aber sein Kopf ist ganz heiß.«
Tatsächlich hatte sich Professor Dobbs’ Zustand weiter verschlechtert. Tibor, Urak und Gemal saßen hinter Kerak und den Äffchen auf dem Triceratops auf.
FÜNF
Vor den Gefährten zeichneten sich Schluchten ab und wenig später erblickten sie die Felsen mit den Höhlen, in denen die Ogks Zuflucht vor der fleischfressenden Pflanze gesucht hatten, die mit einer Weltraumkapsel auf die Erde gelangt war. Eine böse Überraschung erwartete Tibor. Die Höhlen waren verlassen.
»Das hätte ich mir eigentlich denken können. Nach dem Ende der unheimlichen Pflanze drohte den Ogks keine Gefahr mehr. Sie sind auf ihr Plateau zurückgekehrt.«
»Dann müssen wir den verletzten Zweibeiner dorthin bringen«, sagte Kerak.
»Den Transport hält der Professor nicht mehr durch. Er hat schon zu viel Blut verloren. Sein Körper braucht Ruhe. Bette ihn auf ein Strohlager. Der Medizinmann der Ogks muss herkommen.«
»Du willst ihn holen?«
»Ja, Kerak.« Tibors Sorge um den Professor wurde immer größer. »Sorge dafür, dass Urak und Gemal in der Höhle bleiben.«
Tibor wartete keine Antwort ab. So flink ihn seine Füße trugen, folgte er dem Verlauf der Schlucht bis zu ihrem jenseitigen Ende und tauchte in den Dschungel ein. In der Luft kam er schneller voran als am Boden. Er schwang sich von Liane zu Liane und hielt nach Ogks Ausschau. Sonst waren immer jagende Krieger mit ihren Raks am Himmel zu sehen, doch jetzt schien kein einziger unterwegs zu sein.
Er schätzte die Zeit, die er bis zum Plateau der Ogks brauchte. Eine Stunde würde es dauern, wenn er sich beeilte. Er haderte mit der Unvernunft des Professors. Wären Dobbs und Miss Hudson doch nur auf den Felsen geblieben, wie er es ihnen aufgetragen hatte! Aber nein, der übereifrige Forscher hatte ja unbedingt seinen Dickkopf durchsetzen müssen. Hoffentlich musste er seinen Eigensinn nicht mit dem Leben bezahlen. Und was mochte aus Miss Hudson geworden sein? War sie überhaupt noch am Leben oder jagte er einer Toten nach?
Tibor wünschte fast, er wäre den beiden nie begegnet.
*
Mit einem Ruck richtete der Verletzte seinen Oberkörper auf. Seine Augen waren weit aufgerissen, doch er nahm nichts und niemanden wahr. Sein starrer Blick war zur Höhlendecke gerichtet. Er krächzte etwas und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
»Er stirbt«, sagte Gemal entsetzt.
»Ich glaube, er verlangt nach Wasser.« Urak wandte sich dem Höhlenausgang zu. »Tibor hat gesagt, die Ogks hätten mehrere Wochen in diesen Höhlen gelebt. Es muss also Wasser in der Nähe geben.«
»Lass mich gehen und suchen«,