blauen Schlamm (glaziale Ablagerungen) mit etwas Radiolaria30. Jeder kam beim Einholen der Probe an die Reihe, jeweils zwei Mann arbeiteten zusammen in zehnminütigen Schichten.
Am 27. Dezember hatten wir an Bord einen ruhigen Tag. Der Südsturm wehte den Schnee in Wolken von der Eisscholle, und die Temperatur fiel auf –5° Celsius. Für die Hunde wurde es in ihren Verschlägen an Deck ungemütlich. Am folgenden Morgen flaute der Wind ab, brachte aber Schneegestöber mit sich, sodass ich erst um 23 Uhr das Kommando zum Aufbruch gab. Das Packeis war weiterhin dicht, das Eis jedoch weicher und leichter zu zerbrechen. Während der Liegezeit hatte der Schiffszimmermann am Heck eine kleine Plattform errichtet. Dort wurde ein Mann platziert, um darüber zu wachen, dass die Schiffschraube nicht mit schweren Eisbrocken kollidierte. Diese Vorkehrung erwies sich als sehr nützlich und ersparte sowohl Steuerruder wie Schiffsschraube etliche Schläge.
Der starke Wind, der viereinhalb Tage angehalten hatte, wich am Abend des 29. Dezembers einer sanfteren Brise aus Süd. Aufgrund der Drift befanden wir uns tatsächlich elf Meilen weiter nördlich als am 25. Dezember. Aber am 30. kamen wir bei schönem, klarem Wetter ein gutes Stück voran. Das Schiff passierte nachmittags und abends eine lange Wasserrinne und querte um 23 Uhr den Südpolarkreis. Bei Beobachtung des Horizonts entdeckten wir im weiten Kreis des Packeises beträchtliche Lücken, durchsetzt mit Eisbergen unterschiedlicher Größe. In mehreren Richtungen konnten Wasserrinnen ausgemacht werden, doch hielt ich vergeblich nach offenen Wasserflächen Ausschau. In dieser Nacht ging die Sonne nicht unter, und als sie hinter einer Wolkenbank verschwand, glühte der Himmel im Süden golden und purpurfarben, und das Wasser in den Rinnen im Südosten bekam einen zarten hellgrünen Widerschein.
Am Morgen des 31. Dezember hatte das Schiff einen ernsten Zusammenstoß mit dem Eis. Erst wurden wir von den uns langsam einschließenden Eisschollen gestoppt, und am Nachmittag zwängten dann zwei nach Ostnordost driftende Schollen die Endurance ein. Durch den Druck krängte31 das Schiff um über sechs Grad, während wir den Eisanker auf die Scholle warfen, um uns nach hinten zu ziehen und so die Maschinen zu unterstützen, die unter Volldampf liefen. Der Versuch war erfolgreich. Unmittelbar darauf schoben sich dort, wo wir eingezwängt gewesen waren, fünfzig mal fünf Fuß große und vier Fuß dicke Eisplatten in einem Winkel von 45° Grad zu unserer Leeseite auf die Eisscholle. Es baute sich ein enormer Druck auf, und wir waren froh, mit dem Schiff außer Reichweite zu sein. Die Position am Mittag war 66° 47' S und 15° 52' W und wir hatten in den letzten vierundzwanzig Stunden einundfünfzig Meilen S 29° O zurückgelegt.
»Seit Mittag haben sich die Eisverhältnisse gebessert«, schrieb Worsley an diesem Tag. »Obwohl die Wasserrinnen kurz sind, gibt es nur morsche Eisschollen, die sich leicht zerbrechen lassen, wenn man sich sorgfältig die richtige Stelle dafür aussucht. Oft geraten wir an große Flächen jungen Eises, durch die das Schiff ein oder zwei Meilen am Stück hindurchpflügt. Ich kommandiere und manövriere das Schiff vom Krähennest aus und halte es für den besten Platz, da man von hier weit nach vorne schauen und den Kurs im Voraus festlegen kann. Ebenso hat man Steuerruder und Schiffsschraube im Blick, die verletzlichsten Teile eines Schiffes im Eis. Um Mitternacht hörte ich, als ich in der ›Tonne‹ hockte, einen lauten Lärm an Deck, wie Glockengeläut, und mir fiel ein, dass Neujahr war.« Worsley stieg herab von seinem luftigen Sitz und gesellte sich auf der Brücke zu Wild, Hudson und mir. Wir schüttelten einander die Hände und wünschten uns ein glückliches und erfolgreiches Neujahr. Seit wir am 11. Dezember ins Packeis vorgestoßen waren, haben wir 480 Meilen durch loses und dichtes Packeis zurückgelegt. Wir haben uns mit dem kleinen Schiff hindurchgekämpft und manövriert, und es hat diese Prüfung glänzend bestanden, auch wenn die Schiffsschraube einige Male heftig gegen hartes Eis geschlagen war und das Schiff so stark gegen Eisschollen gedrückt wurde, dass es beinahe hinaufgeschoben wurde und beim Zurückgleiten von eine Seite auf die andere schwankte. Noch öfter kam es beim Durchbrechen dickeren jungen Eises zu einem starken Schwanken, wenn der Riss sich eine gewundene Bahn suchte. Bei dem Versuch, ihm zu folgen, rollte das Schiff von einer Seite zur anderen, mit einer Krängung von sechs oder sieben Grad. Wir haben uns Richtung S 10° O durchs Eis bewegt, und ich schätze die gesamte unter Dampf zurückgelegte Strecke auf siebenhundert Meilen. Die ersten hundert Meilen hatten durch loses Packeis geführt, wobei die größten Hindernisse drei mittelschwere Stürme aus Südwest gewesen waren, von denen zwei dreieinhalb, und einer viereinhalb Tage angedauert hatten. Die letzten 250 Meilen gingen dann durch dichtes Packeis, das sich mit längeren Rinnen offenen Fahrwassers abwechselte.
Während der Wochen, die wir auf der Fahrt nach Süden durch das gewundene Labyrinth des Packeises steuerten, mussten wir oft die Eisschollen spalten, indem wir mit dem Schiff direkt dagegen fuhren. Diese Form des Angriffs war bei Eis von einer Dicke bis zu drei Fuß wirksam, und der Vorgang ist interessant genug, um ihn kurz zu beschreiben. Wenn der Weg durch eine Eisscholle mäßiger Dicke versperrt war, steuerten wir das Schiff mit halber Kraft dagegen und stoppten die Maschinen unmittelbar vor dem Aufprall. Mit dem ersten Stoß schlug die Endurance eine v-förmige Kerbe in die Eisscholle, wobei sich der Vordersteven manchmal so weit hinaufschob, dass der Bug fast aus dem Wasser ragte. Dann glitt das Schiff leicht hin und her rollend wieder zurück. Wir gaben darauf acht, dass keine losen Eisbrocken die Schiffsschraube beschädigten, und setzten das Schiff mit Maschinenkraft 200 bis 300 Yards zurück. Dann fuhren wir mit voller Kraft in das V, möglichst genau in die Mitte. Diese Operation wurde wiederholt, bis ein kleines Becken eingeschnitten war, in das wir die Endurance wie einen Keil hineintrieben. Wenn die Aktion gelang, gab die Eisscholle zumeist beim vierten Anlauf nach. Auf der Oberfläche erschien eine schwarze, gewundene Linie, die zum Schiff hin immer breiter wurde. War sie breit genug, damit das Schiff hineinpasste, stießen wir weiter vor. Vom Bug wurden viele große Eisstücke umgepflügt und auf die Eisscholle geworfen oder auch unter das Schiff und die Scholle gedrückt. Auf diese Weise spaltete die Endurance eine zwei bis drei Fuß dicke Eisscholle vom Umfang einer Quadratmeile. Gelegentlich wurde die Eisscholle, obwohl sie schon durchgebrochen war, von benachbarten Schollen so eingezwängt, dass sie sich nicht weiter öffnete und so das Schiff allmählich zum Stillstand brachte. Dann mussten wir rückwärts wieder ganz hinausfahren und erneut mit Volldampf in die Spalte vorstoßen, bis die Eisscholle schließlich den wiederholten Angriffen nachgab.
11Filchner: Wilhelm Filchner, 1877–1957, deutscher Forschungsreisender, leitete 1911–12 die Zweite Deutsche Antarktisexpedition ins Weddellmeer.
12Dünung: nicht direkt vom Wind erzeugter Seegang.
13Rahsegel: viereckiges, an einer Rah (Querstange am Mast) befestigtes Segel.
14Focksegel: Segel am Fockmast, dem vordersten Mast eines Schiffes.
15Reffen: die Segelfläche verkleinern.
16Achtern: hinten.
17Rollte und stampfte: Rollen bezeichnet die durch Seegang ausgelöste Schiffsbewegung um die Längsachse, Stampfen die um die Querachse.
18Kohlebunker: Als »Bunkern« wird in der Schifffahrt die Übernahme von Treibstoff bezeichnet, Bunker sind die entsprechenden Lagerräume.
19Vordersteven: vordere, hochgezogene Verlängerung des Kiels.
20Luv: die dem Wind zugewandte Seite; Lee ist die dem Wind abgewandte Seite.
21Steuermann: Offizier, der für die Navigation verantwortlich ist.
22Rudergänger: