und ich – ich brauchte Ablenkung.«
»Aha, ich verstehe.« Reserl legt die Hand auf Patricias Schulter. »Und jetzt legen Sie sich etwas hin. Inzwischen zaubere ich Ihnen etwas Gutes auf den Tisch.«
Patricia fühlt sich aus der Küche geschoben. Lächelnd kehrt sie ins Wohnzimmer zurück. Diese Frau ist unbedingt vertrauenerweckend. Sie hat helle, kluge Augen. Es ist schön, daß sie da ist. Jetzt erst kommt ihr so recht zum Bewußtsein, wie einsam und still es um sie gewesen ist.
*
Seit Reserls sich so überraschend schnell vollziehendem Einzug scheint sich vieles in Patricias Leben geändert zu haben.
Das Verhältnis der beiden Frauen zueinander gestaltet sich von Tag zu Tag herzlicher, und im Augenblick fällt es nur Reserl auf, wie Patricia aufzublühen beginnt, wie eine junge Knospe, die sich langsam zur atemberaubend schönen Blüte entfaltet.
Auch ihr Wesen hat sich verändert. Sie ist nicht mehr so verkrampft, mit tausend Hemmungen belastet. Sie kann jetzt schon mit Reserl über ihre verstorbene Mutter sprechen. Es tut zwar immer noch weh, aber irgendwie erleichtert es ihre junge Seele.
Manchmal ist ihr, als hätte sie in Reserl die Mutter wiedergefunden.
Dr. Semmler ist der erste, dem diese offensichtliche Veränderung Patricias ins Auge fällt.
»Mädel«, sagt er hocherfreut und legt ihr die Hände auf die Schultern, dabei streift er mit einem Seitenblick die stolze Reserl. »Du bist ja eine Schönheit in den letzten Wochen geworden. Oder – ich Narr habe das nicht weiter beachtet. Und die Augen strahlen auch wieder? Ach, Pat, so gefällst du mir viel besser.«
Er geht hinter Pat ins Wohnzimmer, indessen Reserl einen guten Kaffee ankündigt, ehe sie in der Küche verschwindet.
»Zu vertragen scheint ihr euch ja gut, wie ich feststellen muß.«
Patricia läßt sich neben ihm auf der Sessellehne nieder.
»O ja, sehr gut sogar. Reserl ist eine gute Seele. Ich weiß gar nicht, ob ich ohne sie noch auskommen könnte. Bestimmt würde ich sie vermissen.«
Nachdenklich, prüfend betrachtet er sie. Ein so junger und dazu schöner Mensch muß wohl behütet werden. Und dafür ist Reserl die richtige Person.
»Das freut mich zu hören«, meint er nach kurzer Pause. »Gerade jetzt brauchst du einen Menschen nötig, der für dich sorgt.«
»Warum jetzt?«
»Würdest du in einem Industriewerk eine Stellung annehmen? Soviel ich erfahren habe, stehst du kurz vor der Prüfung. Sie soll wohl gut ausfallen bei deinem Bienenfleiß.«
Patricia rückt unruhig auf ihrem Platz hin und her. »Eine Stellung in einem Industriewerk? Oh, lieber Doktor, werde ich die auch ausfüllen können?«
»Warum nicht? Generaldirektor Baumann von den Westdeutschen Gummiwerken sucht eine Hilfe für seine Sekretärin. Ich kenne die junge, sehr tüchtige Dame persönlich. Mit ihr wirst du gut auskommen. Was du noch zu lernen hast, wird sie dir bestimmt beibringen.«
»Kennen Sie den Generaldirektor?« forscht Patricia interessiert weiter.
»Und ob ich ihn kenne, Kind. Er ist ein bißchen schwierig, fast ein Sonderling, aber soviel ich von der Hollmann weiß, läßt es sich gut bei ihm arbeiten.«
Lächelnd sieht er zu Patricia auf. »Weitere Fragen?«
Diese nagt an der Unterlippe. Arbeiten dürfen! Geld verdienen! Irgend etwas leisten. Eine unvorstellbare Situation für sie, aber sehr reizvoll.
»Nun, Pat?«
»Ich möchte gern.«
»Na also, Kind.« Dr. Stemmler atmet heftig aus und ein, als habe er eine steile Treppe genommen.
*
Fast zur gleichen Zeit sitzt Donald Johnson seiner jungen Frau Mary im Gelben Salon des Johnson House gegenüber, einem nach außen hin alten, ehrwürdigen Gebäude, innen mit allen Errungenschaften der Neuzeit versehen. Dazu der weitläufige, gepflegte Park, die Treibhäuser, der Wald, die Wiesen, die sich bis dicht an den Park heranziehen.
Sie haben eine sehr schlichte Hochzeitsfeier gehalten, zum Entsetzen Marys, die bei dieser Gelegenheit den ganzen Glanz des Namens Johnson zu entfalten gedachte.
Donald, dieser veränderte, fast düstere Donald, hat ihr alles aus der Hand gewunden.
Als er ihr jetzt gegenübersitzt, ihr die Zigaretten reicht und ihre und seine anbrennt, da wappnet sie sich mit aller Zurückhaltung.
Irgend etwas will er von ihr, sonst hätte er sie zu dieser ungewöhnlichen Stunde nicht in den Gelben Salon bitten lassen.
Er räuspert sich etwas, dann stößt er eine dicke Rauchwolke von sich. Seine hellen Augen sind aufmerksam auf sein hübsches Gegenüber gerichtet. Sie ist wirklich hübsch – und doch vermag ihr Anblick nichts in seinem Innern zum Schwingen zu bringen. Da ist es tot und leer. Nur Höflichkeit bringt er der Frau entgegen, die durch einen ungewöhnlichen Zufall nun doch seinen Namen trägt. Aber seine Frau im richtigen Sinne ist sie nicht.
Das war die größte Demütigung, die er Mary an ihrem Hochzeitsabend zufügte, als er sie bis zur Tür ihrer eleganten Zimmer brachte, sich mit einem Handkuß von ihr verabschiedete und ihr eine »gute Nacht« wünschte.
Noch ehe sie sich von ihrem Entsetzen erholen konnte, hatte er schon die Tür zu seinen Zimmern erreicht und hinter sich den Schlüssel umgedreht.
Nie, nie wird Mary diese einsame, durchweinte Nacht vergessen. Niemals! Ihre Stunde wird kommen, wo sie ihm diese Demütigung heimzahlt. Und das wird sie tun, bei Gott, sie hat es in dieser Nacht sich selbst geschworen.
»Sag mal«, fällt Donald in ihren Gedankengang ein. »Denkst du nicht daran, dein Elternhaus wieder auf-bauen zu lassen? Das Geld von der Versicherung ist eingegangen. Ein schöner Batzen. Dein Bankkonto kann sich ebenfalls sehen lassen. Weshalb zögerst du eigentlich?«
»Warum?« Sie nimmt einen Zug aus der Zigarette und bittet dann: »Mix uns erst etwas Trinkbares. Mir bitte nicht zu scharf.«
»Bitte!«
Er erhebt sich, rollt die Hausbar herbei und beginnt, mit Flaschen und Gläsern zu hantieren. Seitwärts ist eine Box für Eisstücke eingebaut.
Aus halbgeschlossenen Augen beobachtet Mary seine Bewegungen. Er hat wohlgeformte, schmale Hände. Ein Schauer durchrieselt sie. Wie müßte es sein, wenn diese Hände sie liebkosten?
Sie lehnt sich mit geschlossenen Augen zurück. Donald, der ihr eben das Glas reichen will, sieht sie erschrocken an.
»Was ist dir, Mary? Fühlst du dich nicht wohl?«
Sie lauscht seinen Worten nach. Liegt ehrliche Besorgnis darin – oder ist es wieder die gewohnte Höflichkeit?
Langsam fängt sie sich wieder. »Nichts ist.« Sie nimmt das Glas entgegen und kippt es in einem Zug. »Also über den Neubau wolltest du mit mir sprechen? Nein! Ich werde nichts aufbauen lassen.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, widerspricht er heftig. »Es handelt sich um dein Elternhaus.«
Sie zieht die Augenbrauen erstaunt empor. »Na – und?«
»Mein Gott, Mary, deine Mutter hing an dem Bau. Für dich selbst hängen unzählige Erinnerungen daran.«
»Die habe ich vergessen«, erwidert sie kalt, so kalt, daß ihn friert.
»Dann denke an die Menschen, die einmal in dem alten Haus tätig waren. Sie haben damit Brot und Lohn verloren.«
Sie lächelt spöttisch. »Du hast doch den Wohltäter gespielt und sie restlos übernommen. Genügt das nicht?«
Er zuckt die Schultern. »Wenn du nicht willst! Ich kann dich nicht dazu zwingen.«
Sie erhebt sich brüsk. »Nein – du kannst mich nicht dazu zwingen. Mein