einen alten Baum verpflanzt man nicht, Donald. Haben Sie ein wenig Geduld.«
Enttäuschung malt sich so sehr in seinen Zügen, daß sie ganz traurig wird.
»Bitte, Donald, verstehen Sie mich doch.«
Er preßt die Lippen zusammen und sieht an ihr vorbei auf die Tanzfläche und auf die Tanzenden. Er hört Musik, ohne sie richtig wahrzunehmen. Nur das schöne Menschenkind ihm gegenüber erfüllt sein Denken. Vielleicht hat sie recht? Er muß erst den Weg für sie beide freimachen, der nur über Marys Großzügigkeit und Einsicht geht. Ihr Herz wird er bestimmt nicht brechen, dazu kennt er Mary viel zu genau.
»Gut«, entscheidet er. »Ich werde Geduld haben, Pat.«
Sie strahlt ihn an. Alles ist nun gut. Nichts steht mehr zwischen ihnen. Nur das große Gefühl, das sie füreinander empfinden, ist noch da.
Und wieder steht Pat mit Johnson vor der fremden Haustür. Pat ist gewillt, ihr Geheimnis solange wie möglich zu wahren. Warum? Sie kann es sich nicht erklären.
Sie liegt in seinen Armen und läßt sich küssen und küßt ihn wieder mit der ganzen Hingabe, zu der sie fähig ist. Über ihnen steht ein unwahrscheinlich klarer Nachthimmel, bestickt mit unzähligen Sternen, die flimmern und funkeln. Aber es ist empfindlich kühl, und deshalb löst Donald sich von Pat und schiebt sie von sich.
»Morgen, Liebes«, flüstert er ihr zu und eilt schnell zu dem Wagen.
Auch diesmal blickt Patricia hinter dem Auto her. Und sie ahnt nicht, daß es für sie beide dieses Morgen nicht geben wird.
*
Mit glühenden Wangen und vor Erregung klopfendem Herzen steigt Patricia die Stufen zur mütterlichen Wohnung empor. Auf dem letzten Absatz stutzt sie. Die Wohnungstür ist weit geöffnet. Hausbewohner haben sich davor versammelt und tuscheln miteinander. Als sie Patricia erblicken, verstummen sie. Ihre Mienen drücken Mitleid aus.
»Ist etwas passiert?« fragt Pat mit bebenden Lippen, und ihr läuft es eiskalt über den Rücken. »Ist etwas mit meiner Mutti los?«
Keine Antwort. Man gibt ihr nur den Weg frei. Patricia stürzt von Angst getrieben vorwärts. Im Schlafzimmer der Mutter erhebt sich die Nachbarin vom Stuhl, den sie vor das Bett geschoben hat.
»Mutti!« flüstert Patricia und ist mit den Füßen wie im Boden verwurzelt. Sie sieht ein seltsam wächsernes Gesicht. Die schönen Augen mit dem freundlichen Lächeln sind geschlossen.
»Sie ist – tot!« sagt die Nachbarin und tritt zur Seite.
Wie hingemäht liegt Sekunden später Pat vor dem Bett der Mutter. Wie ein grausamer, schmerzhafter Schlag hat das Wort »tot« sie getroffen.
O Mutti! O Mutti! Nichts weiter kann sie denken. Kein letztes Wort hat sie mit ihr mehr wechseln können, kein aufmunterndes, liebevolles Wort, wie Frau Anna viele für ihr einziges Kind in Bereitschaft hatte. Nie wieder werden sich die Augen öffnen, das einzig Schöne noch in dem von der Krankheit zerstörten Gesicht.
Nie mehr!
O Mutti! Mutti! Patricias Herz schreit vor Schmerz, und niemand hört es.
Während sie ohne jedes Empfinden für ihre Umwelt ganz ihrem Leid hingegeben ist, ziehen die Bilder der vergangenen Stunden vor ihrem geistigen Auge vorüber. In Donalds Armen beim Tanz, seine Erklärung, seine heißen Küsse beim Abschied. Sie sieht an sich hinab. Das Kostüm widert sie an. Sie möchte es von ihrem Körper reißen. Es paßt nicht in die Stille des Krankenzimmers, das zum Totenzimmer geworden ist.
»Patricia!« Mitleidig beugt die Nachbarin sich zu dem verzweifelten Mädchen hinab und streicht ihm über das wirre Haar.
Patricia hört nichts. Ihre Gedanken huschen wie dunkle Vögel durch ihren Kopf. Sie kann keinen davon fassen. Alles wirbelt durcheinander.
Donald – ruft ihr Herz. Auf einmal sehnt sie sich nach einem Menschen, an dessen Brust sie sich ausweinen kann, der ihr Trost spendet, der ihr unsagbares Leid versteht.
»Patricia!« mahnt die Nachbarin noch einmal und hilft Patricia auf die Beine. Beide Hände preßt sie vor den Mund, sonst müßte sie laut herausschreien. Tränen findet sie keine. Sie ist wie erstarrt.
Und diese unnatürliche Starre ängstigt die Nachbarin und die nachdrängenden Hausbewohner.
Was dann kommt, zieht an Patricia wie ein böser Traum vorüber.
Nie ist wohl ein Menschenkind aus einem so großen Glück in tiefe Verzweiflung gestürzt wie Patricia.
Ihr Herz ruft nach der toten Mutter und nach Donald. Und sie hat das wahnsinnige Gefühl, daß sie beide nie mehr wiedersehen wird. Nie mehr!
Für Patricia ist eine Welt zusammengebrochen, in der sie mit ihrem Schmerz unendlich allein ist.
*
Kaum hat Donald Johnson sein Appartement betreten, als die Glocke des Fernsprechers anschlägt. Er hört die tränenerstickte Stimme Lady Kingstons.
»Donald, bitte, komme sofort zu mir. Ich brauche dich. Ich brauche dich ganz nötig.«
»Ich komme, Tante Helen«, sagt er nur und folgt dem Ruf sofort.
Lady Kingston ruht auf der Couch ihres Wohnzimmers, und Mary sitzt mit verstörtem Gesicht neben ihr, ihre Hand haltend. Bei Donalds Eintritt springt sie auf und eilt ihm mit einem Aufschluchzen entgegen.
»Etwas Schreckliches ist passiert, Donald.« Sie wirft sich in seine Arme und bricht in hemrnungsloses Weinen aus. Donald steht wie ein Klotz. Er kann sich nicht denken, was die beiden Damen so sehr erschüttert.
Endlich löst er sich von Mary und geht mit großen Schritten zu Lady Kingston, die ihm nur ein Telegramm entgegenhält.
Er liest und erschrickt.
»Ein Brand, Tante Helen? Mein Gott, wie konnte es passieren?«
»Donald!« Lady Kingston streckt ihm die Hände entgegen. »Wir müssen sofort abreisen. Nicht wahr, du begleitest uns? Das Herrenhaus soll nach dem Telegramm am meisten von dem Brand erfaßt worden sein. Wir haben ja keinen Menschen außer dir, der unsere Interessen selbstlos wahrt. Der Verwalter scheint völlig den Kopf verloren zu haben. Wir müssen versuchen zu retten, was zu retten ist. Bitte, Donald, laß mich jetzt nicht im Stich.«
Von dem Telegramm blickt Johnson auf das verweinte Gesicht der Frau, die er nach seiner Mutter am meisten verehrt hat. Gleichzeitig eilen seine Gedanken zu Patricia, die er liebt und von der er nicht ohne Abschied gehen kann.
»Donald!« Lady Kingston hebt die Hände flehend zu ihm auf. »Ich will nicht wissen, was dich hier festhält. Nur jetzt bitte ich dich von ganzem Herzen, mir zur Seite zu stehen. Unser Besitz zerstört –« Sie beginnt heftig zu weinen, und als sie sich endlich einigermaßen beruhigt hat, spricht sie stockend weiter. »Das ist alles so unglaublich für mich. Und kein Mann ist da. Ich brauche dich, Donald, bitte, verlaß mich jetzt nicht!«
Mit ehernem Gesicht, kein Muskel zuckt in seinen Zügen, steht er vor ihr. Keinen Blick läßt er in sein Herz tun, obgleich er sich wundert über ihre Worte. Was weiß sie von ihm und seiner Liebe?
»Gut, Tante Helen, ich begleite dich und werde alles für unsere gemeinsame Abreise vorbereiten. Nur um etwas bitte ich dich, ich habe morgen vormittag noch einen dringenden Besuch zu machen. Hernach können wir das nächste Flugzeug nehmen. Ist es so recht?«
Sie nickt und preßt das Taschentuch an den Mund. Mary hat bisher schweigend dabeigestanden. Sie umklammert Donalds Arm.
»Vielen Dank, Donald«, stammelt sie. »Ich wußte ja, daß du uns nicht allein reisen läßt. Außerdem bist du ja eigentlich dazu verpflichtet. Oder denkst du anders darüber?«
Aus weit aufgerissenen Augen starrt sie ihn an. Ihr Ton ist eine Herausforderung, doch er geht darüber hinweg. Der Schock mag auch ihr zugesetzt haben. Und – wenn er ehrlich sein will – ist er, so wie im Augenblick die Verhältnisse sind, ihnen nicht wirklich verpflichtet?
»Hast