Frau Aline lebt noch einmal auf. Aber es ist nur ein letztes Aufflackern ihres verlöschenden Lebenslichtes. Es scheint, als habe die Inbrunst, mit der sie den Einzug des Kindes herbeisehnte, ihre letzten Kräfte aufgezehrt.
Vor dem Neujahrstage bittet sie Magda und Hanno zu sich. Lange sieht sie beide schweigend an, nimmt dann ihre Hände und legt sie über ihrem Bett ineinander.
»Ich habe euch, dir, Magda, und auch dir, Hanno, einmal sehr weh getan – verzeiht mir! Ihr müßt mir versprechen, nach meinem Tode ein neues Leben zu beginnen. Glücklicher, als ich es sein konnte, sollt ihr beide miteinander werden!«
Ihre Stimme ist nur noch wie ein Hauch.
Hanno und Magda sind tief ergriffen. Kein Laut kommt über ihre Lippen.
»Bringe mir noch einmal Klein-Hanno und Christinchen, Magda!« bittet sie nach einer längeren Pause, und Magda eilt schon davon. Ihre Hände zittern vor Erregung; sie nimmt die friedlich schlummernden Kinder, preßt sie liebevoll an sich und bringt sie der Sterbenden.
Alines fieberglänzende Augen liebkosen den Jungen wie ihr Mädchen, und ein verklärtes Lächeln liegt auf ihrem Antlitz, als sie dann mit geschlossenen Lidern und einem tiefen Atemzug zurücksinkt.
Aline dämmert vor sich hin. Nur manchmal schlägt sie die Augen auf; groß und verständnisinnig gleiten sie dann über die Anwesenden und suchen Hanno.
Der läßt ihre Hand nicht aus der seinen. Dieses langsame Sterben greift ihm ans Herz, und sein ganzes Denken gilt zu dieser Stunde Aline.
Als die Glocken die erste Stunde des neuen Jahres einläuten, da hat das alte Jahr auch den letzten Atemzug Alines mit sich genommen.
»Ich – habe – dich – sehr – geliebt – Hanno!« Mit diesem letzten Bekenntnis auf den Lippen ist sie hinübergeschlummert.
Die einst so launenhafte, herrschsüchtige Frau hat sich in den Tagen ihrer Krankheit viele Freunde erworben, und mit ihrer letzten guten Tat, der Vereinigung Hannos und Magdas, hat sie sich bei beiden ein gutes Andenken gesichert.
Sie hinterläßt keine große Lücke, aber der Schmerz über ihr Dahinscheiden ist ehrlich. Man trauert um sie wie um einen Menschen, der endlich heimgefunden hat aus den Wirrnissen des Lebens.
*
Es ist eine alte Wahrheit: Die Zeit eilt und die Zeit heilt, und immer wieder triumphiert das lachende Leben über den Tod.
Wie vor Zeiten wandern Hanno und Magda wieder an dem Birkenwäldchen entlang, schweigend; horchen auf das Jubilieren der Vögel und hängen ihren Gedanken nach.
Über die Wiesen klingen verlorene Glockentöne von der Dorfkirche. Man läutet den Abend ein.
Friedvolles Schweigen liegt über derWelt, und die letzten Sonnenstrahlen küssen das frische, zarte Grün der Birken.
Magdas Haar glänzt in den sie umschmeichelnden Sonnenstrahlen wie flüssiges Gold.
Hanno muß sie immerzu anschauen. Wie der verkörperte Frühling, blühend und anmutig, schreitet sie neben ihm her.
»Magda!« Er bringt es nicht mehr über sich, gleichgültig neben ihr herzugehen, während Herz und Blut verlangend zu ihr hindrängen.
Er zieht die leise Widerstrebende dicht zu sich heran.
»Magda! Denkst du noch manchmal an den Frühling vor zwei Jahren?«
Bei dem warmen Klang seiner Stimme schauert sie zusammen. Sie wagt es nicht, seinen zärtlich blickenden Augen zu begegnen. Sie nickt nur.
Hanno beherrscht sich, langsam gehen sie weiter. In stiller Übereinkunft lenken sie ihre Schritte nach dem Friedhof.
Vor Alines Grab faltet Magda die Hände und blickt mit feuchten Augen auf die Frühlingsblumen, die den Hügel schmük-ken.
»Magda, es war der letzte Wunsch der Toten, daß wir glücklich würden. Wollen wir ein neues, schöneres Leben beginnen – gemeinsam mit unseren Kindern?«
Magda legt ihren Kopf an seine Brust, und sanft drückt er seine Lippen auf ihren blühenden Mund. Es ist ein neues, stilles Treuegelöbnis.
Dann verlassen sie den Ort des Friedens, wandern hinaus in das lockende Leben, wandern an Wiesen und Äckern vorbei und an duftenden Hecken.
Da überkommt Hanno mit aller Macht die Freude über die helle, sonnige Zukunft, die vor ihm liegt. Er stößt einen Jauchzer aus, dessen Echo vom Walde her weit über die Felder hallt.
Er fühlt eine unbändige Kraft seinen Körper durchströmen, er reißt Magda an sich und küßt sie auf Mund, Augen und Wangen, wo es gerade hintrifft.
Wie ein Frühlingssturm braust es über ihn und sie hin. Hanno hat sich das wirkliche Glück für den Birkenhof eingefangen.
*
Fast zwei Jahre sind ins Land gegangen.
Abermals hat Frau Christine die Wiege vom Speicher holen lassen, die diesmal mit rosa Seidenbändern geschmückt ist, denn Frau Magda hat, als man den Weizen schnitt, ihrem Hanno ein Mädchen geschenkt.
Wieder soll das Erntefest gefeiert werden.
Während die Jugend mit Sang und Klang durch das Dorf zieht und auf dem Dorfanger das Gerüst zum Festtanz aufgebaut wird, legt Hanno seiner jungen, blühenden Frau einen Strauß roter Rosen in die Hände.
»Aline soll unser Mädel heißen, nicht wahr, Hanno?« bittet Magda, und Glücks-tränen verdunkeln den Blick.
Ihre Gedanken wandern zurück in die Vergangenheit. Wie anders ist alles ge-
worden, welche wunderbare Wendung
hat alles durch des Höchsten Gnade erfahren!
Hanno mag ihre Gedanken erraten haben.
Er fährt ihr liebkosend über die weiße Stirn. »Unsere ganze Zukunft liegt in unseren Kindern, Magda«, sagt Hanno mit tiefer Bewegung. »Gott helfe uns und gebe uns Kraft genug, für sie zu schaffen, damit sie es einmal leichter haben als wir.«
»Amen!« setzt Magda leise hinzu, und ihre Hände falten sich zu einem stillen Dankgebet.
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