Angeregte so sehr mißfällt.«
Frau Christine erhebt sich steif; geisterhaft bleich und hart wirkt ihr Gesicht, als sie erwidert:
»Solange ich lebe, kommt kein fremdes Blut auf den Hof – es sei denn –«
Sie macht kurzerhand kehrt und wankt hinaus.
Hanno, von dem Anblick der Mutter erschüttert, möchte ihr am liebsten nacheilen, möchte die alte Frau, die ihm seelisch gebrochen vorkommt, um eine nähere Erklärung bitten, aber Aline klammert sich an ihn.
»Hanno – so hilf mir doch! Rede deiner Mutter zu! Glaub mir, es ist gut für uns alle! Auch du sollst wieder froh werden. Erfülle mir noch diesen Wunsch, es wird mein letzter sein!«
»Beruhige dich, Aline. Ich werde noch einmal mit der Mutter sprechen. Vielleicht gelingt es, sie umzustimmen.«
Er glaubt selbst nicht allzu fest daran, allein es gilt, Aline für den Augenblick zu beruhigen.
Mit festen Schritten, die an den Hanno von einst erinnern, begibt er sich nach dem Zimmer, das seine Mutter bewohnt.
Er findet es leer und erschrickt. Was hat sie nur so aufgebracht? Ist es allein der Gedanke an ein fremdes Kind –?
Die Unruhe in ihm wächst. Grübelnd läßt er sich auf einen Stuhl nieder. Hier will er auf sie warten und sie zum Reden bringen. Er will von ihr den wahren Grund erfahren, will wissen, was sie bewegt, ein so sonderbares Benehmen an den Tag zu legen. –
Indessen hastet Frau Christine durch den kalten Wintertag der Behausung Doktor Urbans entgegen.
Doktor Urban, der treue Freund der Familie, muß einen Ausweg finden – er muß!
Nicht länger will sie diese Qual allein mit sich herumschleppen.
*
Frau Christines Erscheinen überrascht Doktor Urban. Er führt die ziemlich erschöpfte alte Frau, ohne zu fragen, in sein Arbeitszimmer, drückt sie sanft in einen der behaglichen Sessel und wartet geduldig, bis sie sich soweit erholt hat, daß sie sprechen kann.
Inzwischen holt er eine Flasche aus dem Wandschrank, stellt zwei Gläser auf den Tisch und schenkt von dem dunklen Wermut ein.
»Sie sind durchfroren, Frau Christine; nehmen Sie einen tüchtigen Schluck davon, das regt die Lebensgeister an«, muntert er sie auf und reicht ihr das Glas hin.
»Und nun erzählen Sie mir, was Sie quält, denn bei diesem Hundewetter treibt Sie gewiß nur eine neue, große Aufregung zu mir her. Hab’ ich recht?«
Frau Christine zwingt sich zur Ruhe, nimmt einen großen Schluck aus dem Glase und lehnt sich dann minutenlang mit geschlossenen Augen in den Sessel zurück.
»Ja, ich mußte zu Ihnen kommen«, beginnt sie dann. »Die Ereignisse bei uns überstürzen sich wieder einmal, und ich darf nicht sprechen, um niemandem weh zu tun. Dabei habe ich eine grenzenlose Sehnsucht nach Magda und dem Kinde. Nun helfen Sie mir, Doktor, ich brauche dringend ihren Rat!«
Doktor Urban lächelt begütigend.
»Nun erzählen Sie mir einmal der Reihe nach, Mutter Lorenz, denn zunächst weiß ich noch nicht mehr, als daß Sie furchtbar aufgeregt sind.«
»AIine weint und jammert nach einem Brüderchen für unsere Christine. Sie beschwört Hanno, sich einen Jungen aus einem Kinderheim oder einem Waisenhaus zu holen. Das – das kann ich unmöglich länger mit anhören, das geht über meine Kraft!« berichtet sie in fliegender Hast.
»Und warum sind Sie so verzweifelt über diesen Wunsch?« fragt Dr. Urban.
»Herr Doktor?« ruft Frau Christine leise, aber schmerzlich aus. »Sie raten mir also – zuzustimmen?« kommt es bebend aus ihrem Munde.
»Ja, das rate ich Ihnen!« sagt er bestimmt. Dann rückt er näher und beugt sich mit einem fast spitzbübischen Lächeln zu ihr.
»Hannos Kind wird auf dem Birkenhof als berechtigter Erbe einziehen!«
Der Hoffnungsstrahl, der plötzlich in Frau Christines Herzen aufspringt, erlischt ebenso schnell, wie er aufgeflackert ist.
»Glauben Sie wirklich, daß Magda ihr Kind hergibt?«
Zuversichtlich nickt er.
»Dann kennen Sie Magda schlecht, Doktor! Alles – ihre Flucht, die Ablehnung lhrer Hilfe, selbst jetzt wieder ihr Schweigen bei der Geburt des Kindes – deutet doch darauf hin, daß sie mit der Vergangenheit vollkommen gebrochen hat.«
Doktor Urbans Zuversicht ist nicht im geringsten zu erschüttern.
»Ich wüßte ein Argument, dem sich auch Magda nicht zu entziehen vermag.«
»Sie wissen –?«
»Fahren Sie selbst zu ihr nach Berlin und schildern Sie ihr die Verhältnisse auf dem Birkenhof. Magda liebt Sie, da Sie ihr von klein auf Mutter waren, und ihr Herz gehört nach wie vor Hanno. Glauben Sie wirklich, daß Magda auch nur eine Sekunde an sich denken würde, wenn es Hannos Glück gilt? Und das wäre doch in erster Linie damit gesichert!«
Mit angehaltenem Atem ist Frau Christine dem Gedankengang des Doktors gefolgt. Sie beginnt langsam wieder zu hoffen.
»Und – und Aline soll wissen, wessen Kind sie ins Haus nimmt?« fragt sie fast schüchtern zurück.
»Das überlassen Sie der Zukunft und unserem Herrgott! Seine Wege sind unerforschlich, aber wunderbar!« antwortet er ernst.
*
In der Klinik Professor Herdegens
herrscht Weihnachtsstimmung. Von der jüngsten Schwester bis hinauf zum Professor sind alle davon erfüllt. Da werden heimlich Tannenbäumchen für die einzelnen Zimmer geschmückt, Papiersterne geklebt und dergleichen mehr.
Auch Magdas Zimmerschwestern beginnen hinter ihrem Rücken ein emsiges Treiben. Da Magda für das Fest ihr Kind zu sich nehmen darf, soll ein besonderes Bäumchen für sie geputzt werden. Obwohl der Bub noch nichts davon versteht, werden bunte Figuren gekauft, Zuckerzeug wird mit glitzernden Drähten aufgehängt – alles für den kleinen Hanno, der sich prächtig entwickelt hat und allgemein »Unser Kind« genannt wird.
Es ist kurz nach der Morgenvisite, als Professor Herdegen, ernster als gewöhnlich, sie zu sich in sein Sprechzimmer bittet. –
»Setzen Sie sich, bitte, zu mir, Schwester Magda.«
Zögernd läßt Magda sich nieder. Die Hände hat sie aneinandergepreßt und die großen Augen fragend auf den Professor gerichtet, der unruhig hin und her geht und dann entschlossen vor Magda stehenbleibt.
»Doktor Urban hat mit mir telefoniert«, sagt er unvermittelt, und Magda zuckt zusammen.
»Und – was – habe ich damit zu tun?« fragt sie leise.
»Hören Sie mich einmal ruhig an!«
Prüfend streift sein Auge das durchsichtig zarte Mädchenantlitz, auf dem die Farbe kommt und geht.
»Doktor Urban gilt Ihnen doch etwas, Fräulein Magda? – Er läßt Sie durch mich bitten, ihn von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Er kann es nicht mehr verantworten, die alte Dame, Ihre gute Tante Christine, als heimliche Mitwisserin in den Mittelpunkt der Ereignisse gestellt zu sehen, unter denen sie körperlich wie seelisch leidet.
Man bedrängt Mutter Lorenz, die aus Liebe zu Ihnen die Aufnahme eines Kindes im Birkenhof bis jetzt hinauszuzögern verstanden hat. Sie müssen sprechen, Magda. Das Dasein des Kindes verändert doch die ganze Lage. Überwinden Sie sich, – ich bitte Sie im Interesse der beteiligten Menschen ebenfalls herzlich darum; gehen Sie zurück auf den Birkenhof!
Sie brauchen nur ein Wort zu sagen, und alles Leid der Menschen auf dem Birkenhof hat ein Ende. Selbstverständlich muß auch die junge Frau die volle Wahrheit erfahren. Sie wird den Kleinen dann viel lieber an ihr Herz nehmen als irgendeinen anderen, wenn sie weiß, wessen Sohn er ist, denn sie liebt ihren Gatten.«
»Also