Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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schöne gedörrte Blüten und Blätter auf Papier gezogen,«

      »Glaubst Du im Ernst, Fania, Fabian sei es gewesen, der diese Nacht . . .«

      Addrich, sichtbar betroffen, unterbrach sich bei diesen Worten selbst. Er dachte an Gideons Abenteuer und Verwundung durch den Unbekannten und an den Tod des wachsamen Hundes.

      »Warum zweifelst Du? Der gute Faby war es; es sagen Dir das alle seine treuen, unschuldigen Zeugen hier, die mich beim Erwachen vom Fenster aus grüßten.«

      Sie sprang wieder zum Brunnen, nahm die Blumen und hielt sie dem Alten, der wenig auf ihr begeistertes Plaudern zu achten schien, zum Anschauen hin.

      »Und wo ist er?« fragte der Alte. »Er käme mir heute gerade sehr gelegen. Doch Dich haben wahrscheinlich wieder lebhafte Träume geneckt, und den Verstand für einen Tag aus den Fugen gebracht. Der Bursche würde nicht scheu mein Haus umgehen, wenn er dem Gefängnisse entsprungen wäre, denn hier, weiß er, hat das Gebiet von Bern aufhört; hier weiß er Zuflucht und mich und Dich zu finden. Und hätten ihn seine Ritter, der Unschuld wegen, auf freien Fuß gestellt, warum würde er nachts mit den Wölfen und Dieben wandern und den Blick des Tages scheuen? Oder hast Du seine Gestalt gesehen, seine Stimme gehört?«

      Sie schüttelte den Kopf und hielt die Blumen empor, indem sie sagte: »Er ist dennoch frei, die kleinen Wonneboten beteuern es mir.«

      »Kind,« sprach der Alte mit einer gewissen Dringlichkeit, »wäre er's, mich würde es mehr freuen als Dich selbst. Wenn Du seinen Aufenthalt weißt, wenn Du ihn heute oder morgen irgendwo erblickst, sage ihm, er solle zu mir eilen; ich trüge für ihn das Schwert der Rache. Sage ihm, hörst Du, er solle nicht säumen. Es gehen wichtige Dinge vor.«

      »Oheim,« seufzte Epiphania leise, und die Heiterkeit ihres Antlitzes wich einem plötzlichen Ernste, »Oheim, laß Dich warnen, Du gehst auf bösen Wegen. Leonore sang, als sie in der Nacht erwachte.«

      »Und was sang sie?«

      »Wunderbares und Schauderhaftes, ich kann's nicht wieder sagen, Addrich . . . von Blut und Thränen viel, von Angstschweiß und von Flammen. Addrich, ich sah im Vorbeigehen unten die fremden Gesichter. Du bist in übler Gesellschaft. Es sind Gesichter, in denen jeder Zug einen Mord oder Betrug andeutet. Sie machten mir Furcht, als ich sie sah, als sie bei meinem Erscheinen plötzlich stumm wurden und sich untereinander verlegen anschauten. Auf ihren Lippen schien noch der Schluß eines Todesurteils zu liegen, das sie nicht vollendet hatten.«

      Addrich verzog das Gesicht zu einem widerlichen, finstern Lächeln und sagte: »Weiberpossen! Ich habe jetzt keine Zeit, sie anzuhören. Wenn die Gäste fort sind, werde ich mit Dir reden. Vermutlich entferne ich mich auf einige Tage mit Renold. Es könnte sich im Lande allerlei ereignen. In dem Falle sollst Du noch Aufträge für Leonoren und das Haus erhalten. Ihr habt hier nichts zu befürchten.«

      »O ich weiß!« sagte Epiphania. »Man spricht vom Kriege, man spricht vom Landsturm gegen Bern. Addrich, bedenke wohl, was Du thust! Als im letzten Christmonate der Komet seine blasse Zornrute am Himmel hinstreckte, warnte er die Welt. Späte Gewitter und ein Erdbeben gingen ihm voran. Glaube es doch, Addrich, die Natur ist Gotteswerk, und ein heiliges Wesen ist in ihr lebendig. Die Erde schaudert und der Himmel entsetzt sich, wenn das Maß menschlicher Bosheit voll wird und sie die ewige Gerechtigkeit herausfordert.«

      »Gehe, Kind, gehe zu Leonoren!« erwiderte Addrich freundlich. »Gehe, laß Dir bei der Kranken kein Wort von jenen Dingen entschlüpfen, die Du nicht begreifst und kennst. Vertraue mir. Es steht mit uns nicht übel und Du nährst eitle Besorgnisse. Fürchte nichts. Vertraue mir, ich sah die Welt länger als Du und habe große Erfahrungen.«

      »Nein, Addrich, Deiner Erfahrung vertraue ich nicht. Vertraue Du selbst der Stärke solchen Schilfrohrs nicht, wenn Du über den Sumpf böser Anschläge schleichst. Du sinkst unter, Addrich! Es wohnt im Menschen ein Sinn verborgen, der mehr sieht, als die einäugige Erfahrung, und höher steht, als die Klugheit aller Greise.«

      »Gehe zu Leonoren!« antwortete Addrich mit Sanftmut, und verließ sie, ins Haus zurückeilend.

      Epiphania seufzte; mit diesem Seufzer aber schien sie auch allen Kummer um Gegenwart und Zukunft weggehaucht zu haben. Ihre Augen wandten sich wieder zu den Blumen in ihrer Hand, und schienen denselben zärtliche Dinge zu sagen. Sie trat abermals zum Brunnen, schwenkte hier in der herabsprudelnden Flut das Glas, bewegte es hin und her, bis kein Tropfen mehr daran hängen blieb, füllte es dann mit hellem Wasser, und setzte, sie sinnig ordnend, eine Blume nach der andern in den flüssigen Krystall.

      Bei dieser Beschäftigung erblickte sie Renold, als er aus den Gebüsche hervorschritt, und er blieb stehen, um seine Augen an der Schönheit dieser Gestalt zu weiden.

      Ein sanftes Rot überfloß Epiphanias Gesicht, als sie den Hauptmann erblickte. Sie schlug die Augen nieder und wandte den Kopf zur andern Seite. Er aber näherte sich ihr mit zierlichen Worten und Grüßen, die sie mit kaum hörbarem Dank erwiderte.

      »Fania,« sagte er, »ich habe mit Addrich gesprochen. Gönne mir einen Augenblick Gehör im Zimmer, Ich habe Dir vieles zu sagen. Wisse, Du holdselige Madonna, meine Seligkeit liegt von nun an in Deiner schönen Hand allein; alle anderen Hindernisse sind beseitigt.«

      »Ich verstehe Dich nicht, Renold,« antwortete sie halblaut. »Auch habe ich nicht Zeit, Deine Erklärungen anzuhören.«

      »Erlaube, daß ich Dir in Dein Gemach folge. Mein Anliegen ist dringender als Du glauben magst, Du spröde, dornenreiche Rose. Lächle mich an, höre mich!«

      »Ich will, ich soll nicht hören. Gehe zu den Fremden!«

      »Deine Hand zittert, Fania. Laß mich das Blumenglas tragen.« Mit diesen Worten nahm er ihr keck das Glas ab und wanderte dem Hause zu, am Herde vorüber, die Stiege hinauf. Bebend, mit zur Erde gesenktem Blicke und schweigend folgte ihm Addrichs Nichte, als würde sie durch den Zauber des Kleinodes, das er hoch vor sich her in seiner Rechte trug, unwillkürlich nachgezogen. Ohne links oder rechts zu blicken, leisen Trittes, mit ängstlichem Ausdruck in den Geberden, wie wenn sie fürchtete, von fremden Augen auf dem Gange zur Sünde gesehen zu werden, folgte sie ihm.

      13.

       Der Zauber.

       Inhaltsverzeichnis

      »Nun leihe mir Deine Aufmerksamkeit nur auf wenige Minuten, göttliche Epiphania,« sagte er, sobald er in das helle, einfache Gemach der Jungfrau eingetreten war und das Glas auf ein Tischchen gestellt hatte, welches von einem aufgeschlagenem großen Buche, einer Hauspostille, fast ganz bedeckt wurde.

      »Mäßige Deine Stimme und störe den Schlummer der Kranken im Nebenzimmer nicht,« sagte sie. Dann trat sie ihm mit zürnendem, stolzem Blicke einen Schritt näher und sprach: »Gideon, was giebt Dir die Berechtigung, eine freundliche Nachsicht in solchem Grade zu mißbrauchen? Wer hat Dir Recht und Gewalt über mich verliehen?«

      »Beging ich ein Verbrechen, holdselige Epiphania, daß ich Dich zwang, mich wider Deinen Willen anzuhören, so klage Dich selbst und die Allmacht Deiner Schönheit an. Was ich bin und sein werde, bin ich durch Dich allein; der größten Tugenden und der größten Verbrechen bin ich fähig, nur durch Dich. Wozu mich die Göttin Suadela kaum selbst bereden könnte, dazu verführt mich der leiseste Wink Deiner Augen.«

      »Wenn Du Wahrheit redest, Gideon, würdest Du meinen Unwillen verstehen und dieses Zimmer und mich verlassen.«

      »Ich werde Dir Gehorsam leisten, aber wisse, Epiphania, Du sendest Deinen getreuesten Freund in den Tod. Solche grausame Behandlung habe ich keineswegs verdient. Der Ausbruch des Krieges ist vor der Thür; ich verlasse heute schon wieder dieses Haus, das durch Dich mein Tempel, mein Allerheiligstes geworden ist; morgen vielleicht stehe oder falle ich schon auf dem Schlachtfelde. Gieb mir nur den Trost eines Deiner holdseligen Blicke. Ehemals bist Du gütiger gegen mich verfahren. Du selbst hast den Funken, der in mir brannte, zur Flamme der Hoffnung gemacht, daß ich Dich als Gemahlin heimführen würde.«