Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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meinen Abscheu mit Dir,« rief sie ihm nach, als er die Thür öffnete. Er wandte sich zurück und versetzte: »Komplimente mache ich Dir nicht mehr, Du hast Dich derselben unwert gezeigt; hast mit meiner Abgötterei Hohn und Verrat getrieben und sie einem entsprungenen Schellenwerker zum Spott aufgetischt. Daß er aber zur Hölle fahre, dafür lasse mich sorgen. Kann ich ihn lebendig fangen, so will ich ihm mit allerlei Qualen auf gut Schwedisch zusprechen; er soll braunschweigische Stiefel anlegen, dänische Kappe, spanischen Mantel tragen, bis er Kyrie eleison anstimmt. Ade, Schatz, gedenke mein! Auf Wiedersehen!«

      Damit schloß er die Thür und ging in heftiger Bewegung, die er kaum zu bewältigen vermochte, hinab. Als er in das Gemach trat, wo Addrich und seine Gäste saßen, stellte er sich zum wärmenden Ofen, und hörte dem Gespräch der Redenden, anfangs mit geringer Aufmerksamkeit, zu.

      14.

       Der Rat der Verschworenen.

       Inhaltsverzeichnis

      »Keineswegs, Ihr Herren,« fuhr der Untervogt von Buchsiten fort, der eben das Wort führte und sich durch die Ankunft des Hauptmanns nicht unterbrechen ließ, »Kapitulationen und Verträge mit den Städten sind eitel Tinte auf Papier. Wir auf dem Lande bleiben nur so lange furchtbar, als wir einträchtig zusammen in Waffen stehen. Sie werden freilich im ersten Schrecken alles bewilligen, hier Ohmgeld und Zölle herabsetzen, dort das Land dem freien Handel offen lassen, anderswo den Lohn der Schuldenboten, die Hoffart der Landvögte beschränken, oder die abgeschafften Gerechtsame des Volkes und der Landschaften herstellen. Aber auf wie lange? Ist die Gefahr vorbei, ist die Achtung für uns dahin. Dann hat ihre Arglist leichtes Spiel, uns zu trennen: dort mit Verheißungen, hier mit Drohworten. Sie geben dem einen ein Geldstück, dem andern ein Ämtchen, stellen diesen in Schatten, streicheln den andern mit dem Fuchsschwanze. Wir haben leider der Leute genug, die den Mantel nach dem Winde hängen. Dann wird binnen wenigen Jahren wieder alles auf dem vorigen Fuße stehen; niemand mehr von Kapitulationen und Vertrag etwas wissen wollen. Wer dann noch rechtschaffen denken und daran erinnern will, wird Rebell heißen und ihm legt man, zur Belehrung der Übrigen, den Kopf vor die Füße. Vater Ulli Schad von Waldenburg hätte wohl recht, wenn alle so ehrlich dächten, wie er. Aber die Städter haben ein weites Gewissen und halten treulich Wort, so lange man sie am Seil hält. Bei ihnen ist Eidbruch nur ein Kniebruch. Wir haben das Wort für uns und Brief und Spiegel, die Städte aber die Gewalt und die starken Festungsmauern. Ohne genügende Gewährleistung ist eine Kapitulation mit den Städten nicht so viel wert.« Er blies über seine leere Handfläche hin.

      Alle bejahten und stimmten ihm beifallgebend zu.

      »Beim Sanniklaus!« rief Schybi. »Was habe ich denn vorhin anderes begehrt? Warum widersprach mir Ulli Schad? Die beste Gewährleistung, wenn der Hund nicht beißen soll, bleibt: daß man ihm die Zähne ausbricht. Schleift die Wälle und Ringmauern, stürzt die Basteien in die Gräben, daß der Bauer bei Tag und Nacht frei wie die Luft durch die Straßen der Hauptstadt ziehe: so stirbt die Aristokratie darin von selbst. Wer Geßler sein will, gebraucht Zwing-Uri. Keine Burg, kein Tyrann; und wo kein Harnisch, da ist kein Ritter!«

      »Nicht so hitzig!« unterbrach ihn der Untervogt. »Vater Ulli hatte vorhin nicht ganz ohne gute Gründe gesprochen. Den Städten die Festungswerke schleifen, heißt ihnen die Städte nehmen. Sie würden hundert Jahre lang Krieg führen; es würde Seen Blutes kosten. Zudem, woher beziehen wir Belagerungsgeschütz? Und wenn wir die Mauern der Städte gebrochen hätten, würde es wohl von uns gethan sein? Schybi, Deine Vergleichung ist richtiger, als Du selber willst. Der Hund, dem die Zähne ausgebrochen sind, beißt zwar nicht; es scheuen ihn dann aber auch die Diebe nicht. Wir müssen Festungen behalten, damit ein auswärtiger Feind nicht beim ersten Stoße das ganze Land überschwemme.«

      Schybi schielte ihn höhnisch von der Seite an und sagte: »Du willst die Pracht des Schweizerlandes mit geschornen Bäumen vermehren und unsere unüberwindlichen Engpässe, Gebirge und Seen mit Maulwurfshaufen befestigen.«

      »Wir sollten uns,« fuhr Adam Zöllner fort, »unblutige und stärkere Garantie suchen. Die finden wir nirgends sicherer, als in der Gewalt des großmächtigen Königs von Frankreich, unseres Nachbarn. Nimmt er die Vermittlung an, so wird er Gewährleister unserer Rechte und Freiheiten den Städten gegenüber. Was schüttelt Ihr die Köpfe? Ihr Herren, erlaubt mir, hinzuzufügen, der Weg ist schon angebahnt, und zweifelt nicht, daß der König bereit sein werde. Was saget Ihr dazu? So höret denn! Ich habe zum französischen Gesandten, Herrn Jean de la Barde, welcher für den feinsten Politiker der ganzen Christenheit gilt, freien Zutritt. Er ist nicht abgeneigt, sich bei seinem Herrn, dem Könige, sobald wir ihn ansuchen, für uns zu verwenden. Ein Wort, nur ein Wink von Paris, und unsere Patrizier bücken sich bis auf die Erde und werden geschmeidig gegen die Fremden, wie steif sie auch sonst gegen uns andere den Rücken tragen, Da hofft ein jeder, für sich goldene Ketten, Gnadengelder und Ordensbändchen zu erhaschen. Das macht sie kirre!«

      »Daß doch den Schluckern die Bänder und Ketten zu hänfenen Halsschlingen werden möchten!« unterbrach ihn Christen Schybi ärgerlich. »Wir Landleute sollen und wollen ehrlicher handeln, und nicht, wie Du uns raten willst, fremden Buhlen nachlaufen. Wenn Edelleute einer schönen Bauerntochter, und große Fürsten einer freien Republik den Hof machen, hegen sie beide gleich schlechte Absichten. Meinst Du, man schenke Ketten und Bändchen umsonst? Sie wollen daran unsere Ratsherren schleppen. Alle Gnadengelder, die sie ausgeteilt haben, sind ebenso viele der schweizerischen Unabhängigkeit gegebene Gnadenstöße gewesen. Beim Sannitlaus! Untervogt, wir Eidgenossen wären wert, Disteln zu fressen, wenn wir unser Lamm vom Wolf, wenn wir unsere Freiheit von ausländischen Potentaten bewahren ließen.«

      Ohne Ausnahme und überlaut äußerten alle ihre Zustimmung zu Schybis Worten. »Mit Gunst, Ihr Herren!« rief nun Gideon Renold. »Ich glaube beinahe, daß es Hans de la Barde, Marquis de Marolles, gelüstet, uns zu schmeicheln; denn seines Königs Ehrgeiz ist es, die Pässe über das Alpengebirge zu besetzen, festen Fuß über dem Rheine zu fassen, und damit Deutschland und Wälschland im Zaume zu halten. Trauet listigen Versprechen nicht! Unsere Thäler würden alsobald von Franzosen wimmeln; ihre angeborene Leichtfertigkeit würde uns ihre Gebräuche, Sitten und Laster einflößen. Wir sollten vielmehr unsere Schanzen wahren und mit den tapferen Deutschen zusammenhalten, auf daß durch französische Einmischung unserem Lande kein Schaden erwachse.«

      Da fuhr der Untervogt heftig auf und rief: »Gelt, Hauptmann Renold, zuletzt riefest Du die Schweden auch noch. Hole Beelzebub samt seinen Heerscharen herbei. Behüte Gott mit seinen Heiligen die Schweiz vor jenen Beschützern der Freiheit! Wie haben sie es in Deutschland getrieben? Gotteslästerer, Schnapphähne, Straßenräuber, Buschklepper, Strauchdiebe, welche sozusagen im Mutterleibe zu stehlen anfangen . . . das waren sie, aber keine Soldaten! Gottlose Kirchenräuber haben sich unter ihnen gefunden, welche die Monstranzen, Kelche und andere silberne und goldene Gefäße stahlen, um Saufgeschirr daraus zu schmieden. Chorröcke, Kaselen, Meßgewänder, geweihte und Altartücher mußten ihnen Kleider abgeben. Ja, die Heiligen samt dem Wachs ließen sie in Tiegel senken. Die Nonnen haben sie in den Klöstern geschändet und hernach spöttisch vorgegeben, sie hätten sich nur mit unseres Herrgotts Schwestern befreundet. Viele haben die Toten ausgegraben, die Sterbekittel gestohlen und mit den Totenköpfen auf den Kirchhöfen um Geld gekegelt und Ball geschlagen.«

      Dem Hauptmann Renold fuhr bei dieser Rede das Feuer des Zornes über Wangen und Augen. »Untervogt,« schrie er, »warum siehst Du mich dabei an?«

      Leuenberg, der bisher immer geschwiegen hatte, unterbrach ihn rasch und rief mit starker Stimme: »Denket ans Sprichwort: Eingenoß baut, Zweigenoß zerstört. Vergönnet, Ihr Herren, daß ich, ohne Euch vorzugreifen, meine Meinung mitteilte, denn die Zeit siegt mit der Schnelligkeit des Blitzes. Gleichwie vor Alters in den Urländern die Telle mit ihrem Blute und mannhaften Sitten gehandelt und keine andere Gewähr ihrer Sache begehren wollten, als Gott, ihr Schwert und ihr Recht, also sollen wir mit Wahrheit, Treue und Glauben bei allen unseren Handlungen sein, und keinem vertrauen als uns selbst, unserm Schwert, unserm Recht und dem Gott unserer Väter. Ein jeglicher Staat, welcher durch fremde Gewährleistung aufrecht