Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

an Dich kommen, Fräulein,« sagte Addrich mit dem Tone der Zutraulichkeit. »Rede Du jetzt. Ist es wahr, was er erzählt hat?«

      »Wahr und nicht wahr,« antwortete sie. »Wie kann der faule Brunnenstock das reine Wasser wieder geben? Alles verloren? Ja, wenn unsere Männer feige Memmen wären, wie Du, zweibeiniger Hase. Gehe, laufe, die Furcht wird Dir vier Füße machen. Glaubt ihm kein Wort, Ihr Männer. Morgen zieht unser Volk mit dem Landsturm gegen Aarau, wir Weiber folgen mit Fuhrwerk und Säcken. Das Städtchen wird geplündert, denn es hält zu den Bernern. Die fremden Soldaten werden wie Engerlinge verfolgt und ausgerottet, daß von ihnen kein halbes Gebein über die Berge zurückkommt.«

      »Glaubst Du,« sagte Leuenberg lächelnd, »das werde so rasch gehen?«

      »O, dafür laß ich mir den Kummer nicht über das Knie wachsen,« erwiderte sie. »Es ist endlich Zeit, daß wir Rechnung machen mit den Herren und sie einmal für allemal abschaffen. Denn so können's die armen Leute nicht länger aushalten, wenn sie nicht von den Schuldenboten aufgefressen sein wollen. Ich möchte auch den Brief sehen, den unser Herrgott den Herren gegeben, daß sie Land und Leute ungestraft verschlucken, alles für sich behalten, und uns kaum Luft und Grab umsonst gönnen. Das kann nicht länger gehen und gelten. Bei meiner Treu, keine Sechswöchnerin darf ihre Schale Milch trinken, daß nicht Vögte und Weibel zuvor die Nideln davon abschlürfen. Ich hoffe aber zu Gott, man wird morgen Feierabend mit ihnen machen. Denkt an mich. Ich heiße Käthi.«

      »Bist ein rechtschaffenes Weib. Laß ihm Ruhe, Baschi,« sagte Addrich »Wo bist Du daheim, Frau?«

      »Zu Seon. Ihr kennt gewiß alle meinen Mann, den Karl Marti Gloor, Anken-Jogglis. Wir sind arme Leute und müssen es den Menschen sauer bezahlen, daß uns der liebe Herrgott geschaffen hat. Mein Mann tagelohnt in allen drei Städtchen umher, oder trägt Ware. Ich spinne Wolle und Flachs. Seit dem Tode meiner Muhme, der alten Tschöpli-Liesi, wie man sie nannte, sie war des Alt-Untervogts Schwester, halten wir zu unseren drei Geißen noch eine Kuh, die wir auf dem letzten Lenzburger Markt kauften. Das kleine Erbe von der Muhme, Gott habe sie selig! hat uns gar wohlgethan! Wußten wir doch zuzeiten kaum, wie uns mit unsern drei Kindern von einem Tag zum andern das Leben fristen.«

      »Schon gut, Frauli, schon gut!« unterbrach Adam Zeltner den Strom ihrer Rede. »Wir kennen nun Deine ganze Hof- und Haushaltung, aber wissen noch nicht, wer Dir von den Schaffhausenern und Baselern bei Brugg und Aarau erzählt hat?«

      »Ei, jedes Kind zu Seon wußte das schon vor anderthalb Stunden,« antwortete die Bäuerin. »Das ganze Dorf lief ja bei der Brücke zusammen, als die Glocke gezogen wurde und des Trompeters Fridi von Hunzenschwyl zu Roß daher gesprengt kam.«

      Nachdem die Gäste Addrichs von dem gesprächigen Weibe alles, was sie wollten, erfahren hatten, mußte Baschi die Erzählerin unter dem Vorwande ins Haus führen, sie mit einem Abendtrunk zu erquicken. Indessen wurde draußen beraten, wie jeder mit Sicherheit wieder aus dem Moos in seine Heimat gelangen könne, denn es dünkte, bei den eingekommenen Nachrichten, keinem mehr ganz geheuer in der Gegend. Leuenberg wählte den Weg über die Bampf, in Schybis Gesellschaft, gegen Willisau und Hutwyl. Der Untervogt von Buchsiten und der alte Ulli Schad wollten versuchen, über Schöftland und Ürkheim nach Olten zu entkommen. Gideon Renold hingegen blieb, unter Einstimmung aller, zurück, damit er helfen könne, den Aargauer Landsturm zu ordnen und gegen Aarau zu führen.

      Fußnoten

      17.

       Das kostbare Geschenk.

       Inhaltsverzeichnis

      Sobald Addrich seine Gäste entlassen hatte, kehrten auch er und Gideon ins Haus zurück, wo ihnen Baschis und Käthis Gezänk aus der Stube schon wieder entgegenscholl. Der Alte stiftete, nicht ohne Mühe, zwischen beiden einen Zungenstillstand, der lange genug dauerte, um der Frau die Frage vorlegen zu können, welches Geschäft sie ins Moos geführt habe?

      »Meister,« rief Baschi, »ist der Teufel der Vater der Lügen, glaubt mirs, so ist hier die Mutter dazu, denn sie kann den Mund nicht öffnen. ohne daß eine Unwahrheit zur Welt kommt, so lang und breit, als das Weib selbst. Unterwegs behauptete es, mit Jungfrau Epiphania reden zu müssen, jetzt leugnet es alles.«

      »Was habe ich mit Deinem Spionengesicht zu schaffen, Du aberwitziger Gesell?« entgegnete das unerschrockene Weib. »Was Dich nicht beißt, hast Du nicht zu kratzen; komme zu mir am St. Nimmertag, wenn die Schnecken bellen, dann sollst Du alles erfahren. Jetzt habe ich keine Aufträge für Dich, sondern ich suche des Moosers Bruderstochter.«

      »Ruf' Epiphania herbei!« sagte Addrich zu Baschi.

      »Mit Erlaubnis!« fiel Käthi Gloor ein. »Ich muß ihr den Auftrag unter vier Augen ausrichten; das hat mir der Herr ausdrückt befohlen, der mich schickt, und wenn mir . . . .«

      »Was für ein Herr?« unterbrach sie Gideon, der jetzt aufmerksam wurde.

      »Wen ich nicht kenne, den ich nicht nenne,« antwortete sie. »Allein das dürfet Ihr mir zutrauen, daß ich nicht schlechter Leute Briefe trage. Der Herr ist wenigstens so gut wie Ihr alle und hat vielleicht ehrlicher Weise so viel Geld als der reiche Addrich . . .« Hier unterbrach sie sich selbst und fragte: »Ist einer von Euch der Mooser?«

      »Der bin ich,« sagte Addrich.

      Die junge Frau erschrak, betrachtete den Alten und wurde von nun an einsilbiger in ihren Antworten, die sie auf Addrichs und Gideons dringendes und wiederholtes Fragen erteilte. Ihre Zurückhaltung erregte Gideons und Addrichs argwöhnische Neugier. Beide besprachen sich leise und führten sie dann hinauf in Epiphanias Gemach, wo Addrich seiner Nichte erzählte, daß ihr die Frau von einem Herrn geheime Mitteilungen zu machen habe.

      Epiphania fragte die Bäuerin mit flüchtigem Erröten: »Nicht so, Dich schicket Fabian von der Almen?«

      »Mag er heißen, wie er will,« antwortete die Frau. »Er hat mir seinen Namen nicht genannt, aber fünf Gulden für den Gang zu Dir gegeben, und wenn Du mir etwas giebst, irgend eine Schrift oder ein anderes Wahrzeichen, daß ich meinen Auftrag ausgerichtet habe, wird er unser Haus noch besser beschenken. Er ist ein reicher, freigebiger Herr und hält gewiß Wort. Sein Gesicht ist die Ehrlichkeit selbst. Wir sind blutarme Leute und können's wohl brauchen. Meine Kinder hat er geliebkost, eins nach dem andern, als wären es seine eigenen.«

      »Das ist er!« rief Epiphania, in stiller Freude aufglühend »Seinen Namen weißt Du nicht? Sprach er von meinem Geburtstage und ob ich die Blumen gefunden? Warum kommt er nicht selbst? Was hält ihn zurück? Beschreibe ihn doch! Nicht so, er ist blaß und etwas abgezehrt? Das glänzende Feuer seiner Augen ist erloschen? Trägt er das blaue Sammetbarettchen, das ihm zu seinem lichtbraunen Haar so gut stand? Ach, der arme, junge Mensch, er hat viel gelitten!«

      Gideon warf einen finstern Blick auf Epiphania und sagte: »Es wäre passender für Dich, Deine unschickliche Zuneigung zu unterdrücken, wenigstens in meiner und Deines Oheims Gegenwart. So redet keine verlobte Jungfrau, welcher an dem Rest ihres guten Rufes etwas gelegen ist.« . . . Dann wandte er sich zu der Bäuerin aus Seon und sprach: »Gehe nur heim, Du möchtest Dir einen schlechten Kuppelpelz verdienen, denn Du hast mit einem ausgebrochenen Schellenwerker zu schaffen gehabt, den zweifelsohne schon Steckbriefe verfolgen, Vermutlich hat er Dir, als Handgeld auf die Belohnung, fünf falsche Gulden gegeben.«

      »Nein, Ihr irret Euch beide,« erwiderte das Weib. »Wenn auch der alte Herr jemals im Schellenwerk gewesen ist, so gefiele mir – bei meiner Treu! – der Vogel besser als sein Nest; bei Dir aber, Du Rohrsperling, ist mir's umgekehrt zu Mute. Sehet doch