Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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sich mit ihr auf die Seite.

      »Berichte zuvor, wer wartet meine Kranke ab? Wie ist Leonorens Befinden?« fragte er.

      »Freue Dich Addrich!« antwortete sie. »Deine Tochter lenkt zum Wege der Genesung ein. Sie wird wieder aufblühen. O geh und sieh' sie! Vom langen Schlafe findest Du sie erwacht, heiterer, stärker, als ich sie je gesehen. Ihre blassen Wangen haben wieder erröten, ihre Lippen wieder lächeln gelernt. Sie selber hat für die ausgetrocknete Lampe frisches Öl gefordert und Speise und Trank begehrt.«

      »Eile zu ihr zurück,« erwiderte Addrich, ohne die Düsterkeit aus Gemüt und Antlitz zu verlieren, die da einheimisch geworden war. »Sobald die Fremden das Haus verlassen haben, komme ich zu ihr. Der Engel, welcher schon so lange über den Wolken war, senkt sich noch einmal zur Erde, um mir altem, verwaistem Manne Lebewohl zu sagen. Er will nicht bei uns verweilen, glaube mir. Meine Hoffnungen sind zerrissen und das Spinngewebe Deines Trostes stellt die Zerstörung nicht wieder her.«

      »Fasse Mut, Oheim! Ich könnte Dir mehr sagen. Ich selbst würde vielleicht ungläubiger sein, als Du, wenn nicht ganz ungewöhnliche Dinge zu gleicher Zeit geschähen, die einander zu Hilfe kommen wollen, um ihre Glaubwürdigkeit gegenseitig zu beteuern.«

      »Zum Beispiel, Faneli?«

      »Du wirst nach Deiner Gewohnheit spotten, doch frage Änneli, frage Ruedi, den Jägerknecht. Es ist eine fremde Stimme in Deinem Hause; sie ist an meinem Kämmerlein ertönt; wir haben sie alle gehört.«

      »Eine Stimme, wunderliches Mädchen? Wessen Stimme?«

      »Wer kanns sagen? Wir haben sie aber alle vernommen. Die Wände plaudern nicht und die Luft ist stumm. Es war die Stimme eines Menschen, die wir hörten. Sie klang zart, wie der Ton eines sehr jungen Kindes, und doch mit einer Stärke, die uns erschreckte. Ich meine, aber spotte ja nicht, es sei der Laut eines Waldgeistes gewesen.«

      Sie sagte die letzten Worte fast unhörbar leise und schüchtern, indem sie dabei ernst und furchtsam zu Addrich aufsah. Dieser schien das Gespräch abbrechen zu wollen; sein faltenreiches Gesicht zog sich dann gewöhnlich zu einem Lächeln, welches aber, vielleicht wider seinen Willen, bei ihm jedesmal eine hämische Natur annahm.

      »O, dachte ich es doch, Addrich!« rief sie hastig. »Du verhöhnst mich . . . aber verhöhne die Überirdischen nicht, fürchte ihren Zorn! Weißt Du noch, wie ich sie in der Aschermittwoch-Nacht erblickt habe, als ich bei Leonoren wachte und der frischen Luft wegen das Fenster öffnen mußte? Ich sah sie damals im Mondscheine deutlich am Waldsaume auf der Wiese beim Ahorn wandeln. Doch tanzten sie nicht wie Zwerglein sonst wohl pflegen, sondern sie gingen in ihren langen Mänteln, wie wenn sie etwas suchten, still umher und dann einzeln und traurig in den Wald zurück. Das bedeutet ein Jahr des Unheils, sagte ich Dir damals. Ist es nun mit Krieg und Unruhen nicht schon eingetroffen?«

      »Gut, gut, Faneli! Und was erzählte Dir die Stimme Deines Schräteli?«

      »Wir verstanden insgesamt deutlich die Worte: Je höher die Not, desto näher ist Gott! . . . Nun denke, als ich darauf in Leonorens Gemach trat, sah ich sie erwacht, zum ersten Male mich anlächeln, mir ihre Hand entgegenstrecken und von ihren Wangen das erste blasse Rot der Genesung schimmern, wie das Frühlicht des wiederkehrenden Morgens. Sie sagte: Wie ist mir doch so himmlisch wohl. Da rief ich: Die Verkündigung des Unsichtbaren galt also Dir! Und ich erzählte ihr darauf alles.«

      Addrich schüttelte traurig lächelnd den grauen Kopf, jedoch, als wollte er Epiphania mit seinem Unglauben nicht kränken, strich er ihr mit den Fingerspitzen schmeichelnd die Wangen und sagte: »Gehe, pflege Leonore! Sobald mich die Fremden verlassen haben, bin ich bei Euch. Deine Botschaft kann mich nicht erquicken, wie herrlich sie auch aus Deinem Munde klingt. Gehe, Kind! Wenn eine Lampe erlöschen will, flammt sie noch einmal auf: auch die Schneeberge, wenn sie nach Sonnenuntergang leichenblaß dastehen, erglühen zuweilen unvermutet wieder, ehe sie in finstere Nacht fallen. Verstehst Du mich? Gehe, gehe!«

      Epiphania gehorchte schweigend und kopfschüttelnd.

      16.

       Die Botin von Seon.

       Inhaltsverzeichnis

      Alle Anwesenden blickten der schönen Gestalt, als sie das Zimmer verließ, mit Wohlgefallen nach und konnten, während sie sich zur Abreise rüsteten, kein Ende finden, sowohl dem Oheim, als dem Hauptmann Renold, die schmeichelhaftesten Dinge über die Jungfrau zu sagen. Über die große Zukunft indessen, welche vor den Verschwornen lag, wurde von ihnen bald das Anmutigere vergessen. Die letzten Abreden mußten genommen, die letzten Versicherungen unter herzhaftem Handschlag gegenseitig gegeben werden. Hätte nicht der sinkende Tag zu stark an die Abreise gemahnt, der Abschied wäre unter neuen Beratungen und Wortwechseln vergessen worden.

      Als sie schon vor Addrichs Hause standen und ihrem gastfreundlichen Wirte beim Lebewohl noch einmal dankbar die Hand schüttelten, wurden sie durch eine neue Erscheinung aufgehalten.

      Längs dem Walde, von der Höhe der Bampf herab, kam, an der Seite eines der Moosknechte, ein junges Bauernweib. Beide waren schon ziemlich nahe, als man ihrer gewahr wurde.

      »Woher das Weib, Baschi?« frug Addrich den Knecht.

      »Droben auf der Bampf fing ich es auf,« antwortete dieser. »Es ist mit ihm gewiß nicht richtig. Als ich es anhielt, weil ich bemerkte, es wolle zum Moos schleichen, fragte es nach dem Faneli.«

      »Ei, Du falscher Gesell, Du Duckmäuser,« schrie die junge Frau zornig. »Wer ist geschlichen? Ich darf mich am Tageslicht auf offenem Wege zeigen eher als Du, dem die sieben Todsünden ins Schelmengesicht gemalt sind. Sehe doch einer! Mich aufgefangen! Wer hat Dich zum Weibel gemacht? Verdächtiges Gesindel, Deinesgleichen fängt man auf, aber nicht ehrlicher Leute Kind.«

      »Eh! Warum wolltest Du mir denn droben ausweichen und Dich linksum kehren, als ich Dir in den Weg trat?« erwiderte Baschi, etwas überrascht durch die unerwarteten Ehrentitel, mit denen ihn die geläufige Zunge der Bäuerin schmückte.

      »Ich kenne den Hafen am Klang,« erwiderte sie, »und sehe solchen Strick lieber am Galgen, als neben mir. Aber ich ging meiner Wege in Gottes Namen, Ihr guten Leute, und bekümmerte mich um den Tölpel nicht, der mir wie ein verlaufener Hund nachstrich.«

      »Glaubet doch der Lästerzunge nicht,« unterbrach sie Baschi. »Sie ist ausgeschickt, um zu kundschaften. Das böse Gewissen schaut ihr aus den Augen.«

      »Ei, behüte uns Gott!« rief das Weib. »Ich müßte schier zum Krüglein werden und zum Gläschen herausschauen. Seht doch, kundschaften! Wer in der Welt verlangt von solchem schäbigen Kerl etwas zu wissen? Ich habe an den Galgenvogel keine Frage gethan, weil ich wohl wußte, Aas sei kein Fraß. Ihm aber ging das kläffige Maul wie Müllers Rad, und er konnte des Fragens und Forschens nicht satt werden. Er weiß darum doch weder Gix noch Gax.«

      »Ich habe keine Lust, mit Dir zu zanken, Weib,« schrie Baschi ärgerlich. »Man müßte vielen Brei haben, Dir den Mund zu stopfen. Heirate einen harthörigen Mann, wenn er vierzehn Tage am Leben bleiben soll. Ich will hängen, Ihr Herren, wenn die mit ihrer Dohlenzunge und ihren Sperberaugen nicht ins Moos auf Kundschaft geschickt ist. Was sie sieht, geht mit Geschrei ebenso geschwind wieder aus dem Munde, wie Wasser durchs Sieb. Ich erfuhr unterwegs auch von ihr . . .«

      Das junge Weib, das jede Bewegung seiner Lippen mit den Augen verfolgte, war ihm schon zehnmal ins Wort gefallen, und unterbrach ihn auch diesmal. Addrich aber und seine Gäste beruhigten sie jedesmal mit Drohung, Bitte und dem Versprechen, sie anzuhören, sobald der Knecht zu Ende gesprochen haben würde.

      »Unterwegs also vernahm ich von ihr auch,« fuhr der Knecht fort, »daß hinter Brugg vom Schaffhausener Kriegsvolk alles schwarz sei, daß die Züricher mit vielen tausend Mann über Wettingen und den Heitersberg folgen würden; daß die Mühlhausener und Baseler schon vor Aarau ständen; daß die Welschberner über Morgenthal heranzögen und geschworen hätten, die Dörfer zu verbrennen, Mann und Maus niederzumachen und des Kindes im Mutterleib nicht zu schonen.