Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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die Thür des Zimmers von innen und sagte: »Faneli, es dünkt mich sonderbar, daß seit gestern und heute so vielerlei Frage nach Dir gethan wird. Es scheint, man stelle Dir von mehreren Seiten nach und wolle Dich aus meinem Hause locken. Warum beweist Dir Junker Mey von Rued plötzlich so ungewohnte Teilnahme, schickt den Spielmann Wirri mit Briefen, um Dich ohne mein Vorwissen in's Liebegger Schloß führen zu lassen? Wer ist der schlimme Geselle, der nächtlicherweile zu Deinem Kammerfenster stieg, Dir das Blumenglas hinstellte, und vermutlich auch den abgerichteten Vogel hineinschob? Fabian selbst? Es ist nicht wahrscheinlich. Der ehrliche Junge wird nicht vergessen haben, daß ihm das Haus im Moos Tag und Nacht offen stehe. Wer könnte es aber gewesen sein? Und wer ist der alte Mann im schwarzen Samtbarett und köstlichen Leibpelz, mit der dicken Schramme über der Wange, welcher von Seon einem Landmädchen Kleinode schickt, die einer Königin anständig sein würden, und deren Wert weit über alle Vorstellung geht, die Du Dir davon machen kannst? Warum will man Dich von mir weg, zu Deinem Taufpaten nach Aarau locken? Hast Du keine Vermutung, Faneli?«

      »In der That,« antwortete Epiphania, »ich könnte leichter erraten, was über den Sternen oder unter der Erde vorgeht, als warum man sich von so verschiedenen Seiten mit mir zu schaffen macht. Aber vergiß nicht, es war mein Geburtstag, und der gerade mit der geheimnisvollen Zahl. Kein anderer, als Fabian, kann es gewesen sein, welcher die Blumen gebracht, und wäre er's nicht gewesen, so war's . . . Du weißt es: Du hast es gesehen; Du hast es gehört.«

      »Wer war's? Doch nicht Dein Schrätteli, leichtgläubiges Kind? Etwa der Staar? . . . Thorheit!«

      »Rede nicht so laut; die Zwerglein haben ein feines Ohr, und Du weißt es ja, Addrich, sie hören nicht gern, wenn von ihnen gesagt wird, daß sie einem Vogel in etwas gleichen.«

      »Mit den breiten Gänsefüßen, die sie haben sollen?«

      »O, daß Du doch das aussprechen mußt!« rief Epiphania heftig zugleich und schüchtern. »Erzürne sie nicht; sie sind gute Geschöpfe Gottes. Brechen wir ab davon!«

      »Wirklich, Du sprichst Wahrheit, Faneli, es sind gute Geschöpfe. Ich fürchte sie auch gar nicht; die Menschen hingegen desto mehr. Das ist klar, es wird Übles gegen mich beabsichtigt. Dir wird nachgefragt und nachgestellt; aber auf mich ist's gemünzt. Vor Zeiten waren die Menschen nicht des Paradieses wert; heutigen Tages sind sie so schlecht, daß sie nicht einmal den Aufwand einer Sündflut verdienen, um vertilgt zu werden. Der Schöpfer läßt sie mit den übrigen Bestien gehen und sich einander zerreißen.«

      »Pfui, Addrich! Machst mir immer unnötige Angst, Dir nutzlose Plage, und später giebt es unter den Menschen doch so viele schöne Ausnahmen.«

      »Nun ja, Narren oder Kinder, die das Himmelreich hinter der Hecke finden, wo sie mit den heiligen Engeln spielen, und wären es Zaunpfähle.«

      »Addrich, glaube es, wer den Engeln gern begegnen will, dem begegnen sie gern. Deine fromme Tochter stelle ohne Furcht zu den Engeln, und ich will werden, wie Leonore.«

      »Dann stirb! Selig sind die Toten!« Hier schwing der Alte und neigte sein verfinstertes Antlitz auf die Brust. Bald aber richtete er sich wieder auf und sagte mit fester Stimme: »Hast Du das arme Loreli lieb?«

      »Vom Herzen, wie eine Schwester lieb.«

      »So gieb mir Dein Versprechen, die Sterbende nicht zu verlassen. Ich habe eine Reise vor, wo sich Anlaß zu einer mächtigen Zerstreuung bietet. Ich muß mich zerstreuen oder wahnsinnig werden. Auf wie lange oder wie weit ich mich von hier entferne, läßt sich nicht voraussagen. Meine Tochter ist mir schon gestorben, wenn sie auch noch atmet. Bleibe ihr treu, Epiphania. Es kann ihr keine weichere, als Deine schwesterliche Hand die müden Augen, die sich nach dem ewigen Schlafe sehnen, zudrücken.«

      »Ich werde Leonoren gewiß nicht verlassen, Oheim.«

      »Man will Dich aus diesem Hause und vom Bette Deiner Schwester reißen. Beruhige mich, Epiphania. Lege Deine Hand in meine Hand zum Gelübde vor Gott und seinen Engeln allen, daß Du unter keiner Bedingung, und aller List oder Gewalt zum Trotz, dies Haus nicht verlässest, bis Leonore Deiner Pflege nicht mehr bedarf.«

      »Hier ist die Hand Addrich!«

      »Gieb die Hand nicht, ohne freie, feste Zustimmung Deines innersten Willens. Dein Gelübde wird zum Eide, und Dein Wort dringt durch die Wolken. Das gebrochene Wort würde Dir zur gebrochenen Seligkeit werden.«

      »Hier die Hand, Addrich!«

      » Erinnere Dich, Epiphania, Du bist meine Erbin, wenn es Leonore nicht mehr sein kann. Ich habe alles für diesen Fall angeordnet. Du kannst der Zukunft ohne Kummer entgegensehen.«

      »Ich habe sie noch nicht gefürchtet, Addrich. Ich weiß wohl, die Zukunft steht in treuem Bunde mit der Vergangenheit, wem die Vergangenheit im Rücken nachschilt, dem droht die Zukunft ins Gesicht.«

      »Hauptmann Renold wird Dein Beschützer werden, wenn ich's nicht mehr sein soll. Er ist ein schöner Mann, Du wirst's gestehen; er ist beherzt und brav dazu und nicht ohne Vermögen. Etwas eitel, eingebildet, prahlerisch, geziert, auch wol auffahrend und soldatisch frech . . . nun, Du kennst ihn, Faneli. Aber er brennt in Liebe für Dich; und das härteste Eisen, wenn es glühend ist, wird weich, daß es sich biegen und zu Stecknadeln für Weiberputz machen läßt. Ich habe ihm vorläufig Deine Hand versprochen.«

      »Meine Hand, sein Weib zu werden? Du hast übel gethan. Ich verabscheue ihn und kann Dir nicht gehorchen. Denn . . .«

      »Hoffst Du auf Fabian von der Almen?« unterbrach sie mißmutig der Alte. »Er denkt nicht daran; er hat Dich nie von mir begehrt.«

      »Zum Weibe? Wie sprichst Du, Addrich! Der Bruder seine Schwester!«

      »Er ist Dir nicht verwandter, als der große Mogul.«

      »Bin ich darum minder seine Schwester? Wir sind, glaube es mir, Geschwister von der Zeit der ersten Kinderspiele an, deren ich mich erinnere. Wir haben nur einerlei Gedanken, nur einerlei Willen, nur einerlei Erinnerung, nur einerlei Hoffnung und können nicht anders, Er ist ich, ich bin er. Wir sind wahrlich eine einzige Seele in zwei Körpern. Gott hat uns in zwei Hälften getrennt; er aber ist offenbar die bessere,«

      Addrich strich lächelnd mit seiner Hand über ihre Augen, die ihn zur treuherzigen und lebhaften Versicherung ebenso lebhaft und treuherzig anblickten. »Bist noch ein vollständiges Kind, Faneli,« sagte er. »Man sollte Euch wirklich für Bruder und Schwester halten, wenn Ihr beisammen seid: so wenig macht Ihr Euch dann mit einander zu schaffen.«

      »Was sollen sich die verbundenen Hälften um einander kümmern? So sind sie ruhig, sind sie eins. Aber wenn sie getrennt leben müssen, vergehen sie in Schmerz und Sehnsucht nach einander, weil sie nur ein halbes Leben haben. Ihre Gedanken suchen sich beständig auf, und ihre Wünsche fliegen einander nach.«

      »Indessen, Faneli, schien Dir der Hauptmann Renold doch nicht so verhaßt zu sein wie Du Dir jetzt das Ansehen geben möchtest. Sei offen gegen mich. Ich weiß mehr, als Du vielleicht vermutest. Deine jedesmalige Verlegenheit, Dein Erröten, Dein zerstreutes, vergeßliches Wesen, wenn er bei Dir ist . . . Nichts ist mir entgangen. Ich könnte noch mehr sagen. Liebe plaudert aus den Augen und dringt durch den Handschuh.«

      »Du hast Dich betrogen. Vor Gideon flöhe ich ins Grab.«

      »Nun ja doch, Ihr hattet, merk' ich, Händel mit einander. Liebe will Streit gehabt haben.«

      »Liebe!« rief Epiphania mit Empörung ihres ganzen Wesens und unverstelltem Grausen, »Nenne das ja nicht Liebe, Addrich, es wäre eine wahre Lästerung des Heiligen. O, wenn das Liebe ist, so habe ich nie meinen Vater, habe den guten Fabian nie, habe keinen Menschen noch lieb gehabt. Es ist das nicht Liebe, es ist Sinnverblendung, Seelenbrand, fieberhaftes Betrübtwerden, böse Glut, die Mark und Bein durchzieht. Hüte Dich vor Gideon, er treibt verbotene Künste! Er kann, wie sehr ich mich auch sträube, mich an sich ziehen; er kann meinen Willen nach seinem Gefallen bannen und mich zu seinem Eigentum machen, wie er will. Dann aber schreiet durch die Verwirrung meines Gemütes die Stimme meines Schutzgeistes: Es ist Sünde, es ist Sünde!«

      »Rede deutlicher, Mädchen! Ich verstehe