Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Kerker?«

      »Ich wars.«

      »Schuldig oder unschuldig?«

      »Schuldig oder unschuldig, wie mans auslegt. Ich sehe darüber weg. Ich lebte in der Gefangenschaft glücklich mit dem Staar, den ich für Epiphania abrichtete. Dem Thoren kann das Weltall enge, frommem Mut das Gefängnis zum Weltall werden.«

      »Ganz gut. Aber die Schande, aber die Schmach?«

      »Addrich, das solltest Du doch wissen, daß der Marmelstein des Palastes so wenig Ehre, als die salpeterzerfressene Mauer des Kerkers Schande abfärbt.«

      »Brav, Barsche, Du bist wieder der Alte in meinem Geiste. Warum wurdest Du eingesteckt? Wir hörten viele sich widersprechende Geschichten.«

      »Jetzt ists ein Jahr. Als ich einige Wochen in der Heimat war, berief man mich zur kranken Kammermagd des Landvogts, ihr Heilmittel anzuordnen. Als ich vergangenen Herbst abermals in die Heimat kam, wurde ich vor das Chorgericht gefordert. Das lügnerische Weibsbild hatte mich als Verführer angegeben; sagte es mir frech und weinerlich sogar ins Gesicht; wiederholte es selbst in den Wehen. Der Landvogt, ein hochfahrender, heftiger Mann, der mich meines Widerspruchs wegen aufs Schloß rufen ließ, wurde im Wortwechsel so ungestüm, daß er mir ins Gesicht schlug. Da zog ich ihm zur Vergeltung, in Gegenwart aller Schreiber, Weibel und Amtsboten, eine Maulschelle so derber Art um die Ohren, daß er fünf Schritte zurücktaumelte. Allerdings hatte ich gegen eine obrigkeitliche Person gefehlt.«

      »Das ist Berner Art. Darauf mußtest Du ins Loch wandern, bis Dir die Zeit lang wurde und Du aufbrachst?«

      »Nein, Addrich! Das Weibsbild starb an den Folgen seiner Entbindung und erklärte im Tode meine Unschuld. Der Sohn des Landvogts war ihres Kindes Vater. Die Berner sind gerecht. Der Landvogt selbst wurde von Stunde an mein Fürsprecher; ich wurde von aller Strafe und Schuld losgesagt. Der Urheber meiner Gefangenschaft dachte edel genug, selbst zu mir ins Gefängnis zu kommen und mir Versöhnung und Freundschaft anzubieten.«

      »Und diese heuchlerische Milde und Gerechtigkeit, dies schwächliche Kind der Angst vor dem wachgewordenen Grimm und Stolz des Volkes hat Dich bethört, geblendet, bestochen, geworben für Bern? Weil sich ein armseliger Junker gnädigst herabließ, einem Ehrenmanne, den er mißhandelte, das Unrecht einzugestehen, findest Du die Tatzen des Bären weich, die gefühllos ein ganzes Volk in den Staub drücken?«

      »So wenig, Addrich, daß ich vielmehr mein am Thurnersee neuerkauftes Heimwesen wieder veräußern, der Willkür entrinnen und ins Land des Markgrafen von Baden ziehen will.«

      »Warum nicht lieber Deinen Arm in diesen Tagen dem Volke gegen den Städterhochmut leihen?«

      »Ich leihe ihn – wahrlich! – der Niederträchtigkeit so wenig, als dem Hochmut.«

      »Bursch, achte Dein Volk, das für sein Recht in Waffen steht! Auch die Verzweiflung kann ehrwürdig sein.«

      »Wie die Raserei.«

      »Also leuchtet es Deinem Verstand wohl ein, daß es sich mit der Gerechtigkeit vertrage, wenn selbstsüchtige Hinterlist die uralten Gerechtsame der Dorfschaften nach und nach in Zweifel zieht, in den Kehricht wirft, weil Fäulnis, Moder und Mäuse die Pergamentbriefe zerfressen haben? Ists Recht, daß die Habgier der Stadt vom Regierergewerbe lebt, Münzwucherei treibt, Amtleute ins Land schickt, die sich wie Blutegel am Wohlstande des Volkes satt saugen; ists gerecht, wenn man den Junker für dasselbe Verbrechen mit einem sauren Seitenblick abstraft, wohl gar entschuldigt, für welches den Bauer Turm, Ketten, Folter und Galgen erwarten?«

      »Nein, Addrich, aber von der andern Seite ists wohl ebenso ungerecht, wenn man das hündische Volk ebenso gegen Unschuldige wie gegen die Schuldigen hetzt; wenn man, um seine Wäsche zu trocknen, ein Dorf in Brand steckt, und wegen einiger irrigen Schritte der Obrigkeit tausendmal fälschere macht, welche Land und Leute auf ein Jahrhundert zu Grunde richten. Hütet Euch! Ihr wollt den Kreuzer gewinnen, und werft mit dem Thaler danach. Später dann bereut Ihr den verlorenen Thaler und setzet dafür die Dublone ins Spiel. Ihr kommt nie zu Ende, und setzet zuletzt alles gegen alles auf die trügerische Karte.«

      »Nicht zuletzt, guter Freund, da stehen wir heute schon,« sagte Addrich hämisch lächelnd. »Wir wissen so gut als Du, daß das Blut und Geld, welches der Krieg kosten mag, mehr wert sind als der Widerruf eines bloßen Münzmandats. Aber nun wir einmal am Abrechnen mit der Stadtoberherrlichkeit sind, soll noch anderes gerechnet werden. Ein Rechtsstand, wie er vor Gott und aller Vernunft gilt, muß wieder hergestellt und das Schweizervolk frei werden, wie der Herr in der Stadt. Die Söhne der Telle in den kleinen Kantonen und im Land der Graubündner, ja, die sind frei. Wird Dein Herz nicht weit bei dem bloßen Namen der edlen Freiheit?«

      »Allerdings, Addrich, aber es zieht sich wieder enge in sich zusammen beim Anblick Eurer Mittel. Die kleinen Kantone und Graubündner kaufen ehrlich, um bares Geld, fremde Rechte an sich; Ihr aber kaufet, wie Straßenräuber beim Krämer im Walde, mit dem Messer in der Faust, und wollet den Teufel zum Fürsprecher machen, daß Ihr in die Himmelspforte eingehen könnet. Dazu biete ich nun und nimmer meinen ehrlichen Arm.«

      »Nach Deiner Meinung sollen wir also höflich danken, Fabian, wenn die Berner uns das Fell über die Ohren ziehen, weil sie es gebrauchen? Nein, und abermals nein! Bursche, alles hat sein Maß. Es giebt ein Recht unterm Himmel, das ist nicht mit dem Stammbaum gepflanzt. Es gehört den Menschenkindern von Ewigkeit und ist von keinem Menschenkinde weder zu geben, noch nehmen.«

      »Täusche Dich nicht, Alter, schaue Deinen Leuten ins Gesicht. Kennst Du das Volk, das jetzt am rührigsten bei der Hand ist? Ich habe es gesehen. Die Ehrenleute, die stillen, fleißigen Eigentümer, schütteln zu Eurem Unternehmen den Kopf, oder lassen ihn betrübt hängen. Aber die Lumpe, welche von der Hand in den Mund leben, die aus ihren Häusern Gesetzten und Bankerotten, die guten Wirtshauskunden, die mehr Kupfer auf der Nase als im Sack haben, abgedankte Soldaten, die aus fremdem Kriegsdienst liederlicher heimkommen, als sie gegangen waren; die Würfel- und Kartenmänner mit zerrissenen Hosen, alle, die wohlfeil gewinnen möchten, heben das Haupt steif und trotzig empor; und Kerle, denen man sonst in guter Gesellschaft das ungewaschene Maul verbot, führen jetzt das große Wort. Und was wollen sie gewinnen? Meinst Du, die öffentliche Wohlfahrt? Nein, wahrhaftig nicht! Ihre leeren Säcke und Körbe sind schon hervorgeholt, um Geld und Waren der geplünderten Stadtleute darin heimzutragen. Sie bereiten Schwefelfäden für die Häuser ihrer Gläubiger, damit Kaufbriefe und Zinsverschreibungen in Rauch aufgehen. Leute wie Du und Deinesgleichen müssen lediglich die Deckel ihrer Räuberei sein.«

      »Und wenn Du recht hättest,« erwiderte Addrich ärgerlich, »dennoch muß es gethan sein. Doch Du hast nur zu einem Fünftel recht. Der reinste Strom führt Schlamm mit sich, und jede Arznei hat ihr Widerliches. Gehe, Fabian, unsere Bahnen laufen nach entgegengesetzten Richtungen.«

      Nachdem beide die Gründe ihres Verstandes erschöpft hatten, verschmähten sie sogar das Mittel nicht, sich durch Drohung und Verheißung zu gewinnen, denn Fabian, seit seinem Knabenalter an den finstern Addrich und dessen Haus gewöhnt, konnte den Oheim und Pfleger Epiphanias nicht mit Gleichgiltigkeit in das gewisseste Unrecht oder in das wahrscheinlichste Verderben rennen sehen. Er schilderte ihm dieses, sowie Eleonorens und Epiphanias Los. Er gestand, daß er sich aufgemacht habe, ihn entweder für gerechtere Gesinnungen umzustimmen, oder Epiphania zu bereden, unter dem Obdach ihres Taufpaten Zuflucht zu suchen. Addrich aber begegnete dem allen und bewies ihm das Vergebliche der gehegten Hoffnungen. Er scheue keine Gefahr, die ihm persönlich drohe, und Epiphania werde sich nicht von der sterbenskranken Freundin entfernen, da sie das Gelübde gethan, sie nicht zu verlassen. Schließlich versuchte er selbst das letzte Bestechungsmittel gegen den Jüngling. Er zeigte ihm Epiphanias Hand als Preis.

      »Die hast nicht Du, Addrich, sondern sie selbst anzubieten,« rief Fabian mit Unwillen. »Sie selbst aber, die so fromm und rein ist, kann sich nicht zum Lohne der Schlechtigkeit hingeben. Wenn sie es aber könnte, wenn sie es könnte . . . o nein, warum sollte ich das Unmögliche ins Reich der Möglichkeit stellen? Ich aber würde lieber die Hand einer Aussätzigen, als eine solche Hand berühren. Warum bietest Du sie mir? Kannst Du einem Bruder das Herz der Schwester schenken oder entfremden? Sie ist Renolds Verlobte; sie liebt ihn . . . . Nun ja