Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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bei keinem ein.

      Was ringest Du die Hände

       Hoch auf des Berges Rand?

       Schwarz ist des Abgrunds Ende,

       Schroff ist die Felsenwand.

      Nach dem letzten Worte stieß die Singende einen kurzen, aber gellenden Schrei aus, so daß alle mit Entsetzen zusammenfuhren und aufsprangen. Selbst Addrich erbleichte vom Schrecken. Sie nahten der Kranken insgesamt mit ängstlicher Hastigkeit. Eleonore lag, wie vorher, schlafend da, aber über ihr Gesicht war ein warmes glänzendes Rot milde verbreitet, Es entschwand ihr ein langer tiefer Seufzer, und ihre Mienen verklärten sich darauf zu einem unaussprechlich angenehmen Lächeln. Es war das Lächeln des Entzückens, dem Siegeslächeln einer vom Irdischen gelösten Seele ähnlich, welches im Augenblick des Todes auf Wangen und Lippen des Leichnams geprägt zurückbleibt. Ihr schwaches, aber regelmäßiges Atmen verkündete indessen bald, daß sie aus dem ungewöhnlichen Zustande in einen natürlichen Schlaf übergegangen sei.

      Dieser Anblick beruhigte die Erschrockenen, da man die wechselnden Krankheitserscheinungen kannte. Mitternacht war vorüber. Epiphania erbot sich, bis zum Morgen zu wachen; Addrich und Änneli entfernten sich getrösteter.

      20.

       Das Wirtshaus in Gränichen.

       Inhaltsverzeichnis

      Das graue Licht des anbrechenden Tages fiel durch die kleinen runden Scheiben des Doppelfensters, und erhellte einigermaßen das Krankenzimmer, in welchem das rote Lampenflämmchen unscheinbar fortbrannte, als Ephiphania zitternd zusammenfuhr. Sie fühlte eine fremde Hand über ihr Gesicht gehen, als sie eben, bei ihrer nächtlichen Arbeit am Spinnrade, vom Schlummer überrascht worden war. Ihr Oheim stand reisefertig vor ihr: an der Seite ein Schwert, im breiten Ledergürtel über den weiten Pluderhosen zwei glänzende Radpistolen, vom grauen, gesteppten Wams halb verdeckt. Nachdem er vernommen, daß Eleonore mehrere Stunden gewacht und einige Erquickungen zu sich genommen habe, küßte er Epiphanias Stirn, erinnerte sie ihres gestrigen Gelübdes, und versprach, käme er nicht selbst zurück, zeitweise Nachrichten zu senden.

      »Addrich,« sagte seine Nichte, »Du gehst böse Wege, Wege des Blutes.«

      »Kind, der Weg des Rechts in dieser verwilderten Welt ist ein Waldweg und kein Gartenpfad. Es müssen von Zeit zu Zeit rechtschaffene Männer zusammenstehen, um durch Dickicht und Gedörne eine Straße zu bahnen.«

      »Addrich, hast Du die Weissagungen dieser Nacht vergessen? Es waren Schwanengesänge von tiefer Bedeutung.«

      »Wohl Schwanengesänge,« seufzte der Alte, »vielleicht die letzten Töne dieses schönen, sterbenden Schwanes, die ich hörte. Willst Du mein Joseph sein und mir die Träume deuten, aus denen Loreli sang?«

      »Auf eine Zeit der Freude und Lust deutete der Trauersang gewiß nicht.«

      »Du hast recht. Ich erwarte keine Freude mehr unterm Himmel; aber ich möchte sie noch andern bereiten helfen. Lebe wohl, laß Dir nicht grauen. Du bist wohlbewacht. Versüße meinem Kinde die letzten Tropfen im Leidenskelche mit dem Honig Deiner Liebe.«

      Er reichte ihr die Hand zum Abschiede, beugte sich dann über seine schlummernde Tochter, küßte leise ihre bleiche, eingesunkene Wange und ging eilig davon. Drunten gab er den versammelten Knechten und Mägden noch einzelne Anweisungen. Die Hunde bellten fröhlich und sprangen an ihm empor, Er stieß sie jedoch zurück und ging einsam, längs dem Waldgebüsch, thalabwärts.

      Es war ein Sonntagmorgen. Hin und wieder erscholl von entfernten Kirchen das Geläute der Glocken; sie riefen jedoch nicht zur Andacht, sondern zum Landsturm. Zuweilen vernahm das Ohr dumpfen Trommelschlag und den schrillenden Ton der Querpfeifen.

      Addrich schritt gedankenvoll und eilend über die Ebene hinweg bis Gränichen, am Ausgang des Kulmerthales. Schon von weitem war ihm ein wildes Geschrei, Getummel, Jauchzen, Rufen und Lärmen entgegengedrungen. Das Dorf wimmelte von bewaffneten Bauern. Hier schwang einer die Fahne seiner Schützenschaft, dort wurden verworrene Haufen in Reihen geordnet; einige säuberten ihre Handbüchsen, andere wetzten verrostete Säbel. Diese beratschlagten ernst; jene tranken einander aus Feldflaschen zu, oder fochten scherzweise zusammen. Das dichteste und bunteste Gedränge aber war vor dem Wirtshause, es war einem Bienenkorbe zu vergleichen, dessen Schwarm ausziehen will. Addrich, der in diesem Hause die Anführer der Haufen oder die Vorsteher der Gemeinden vermutete, gelangte nicht ohne Mühe, durch das Gewühl der Kommenden und Gehenden, in eine der überfüllten Wirtsstuben.

      »Wo sind die Hauptleute?« fragte er die Nächsten von den Umstehenden, aber keiner derselben achtete seines Wortes.

      Addrich drängte sich nach dem Innern des Zimmers durch, er wurde jedoch bald wieder von einem Haufen zurückgedrängt, der einen der Tische umringte und seine Aufmerksamkeit einem fremden jungen Menschen zuwandte Dieser verzehrte hier ganz gemächlich und mit nicht geringem Appetit seine Morgensuppe, und versuchte dazwischen den vor ihm stehenden Wein, ohne sich um die Zuschauer zu bekümmern. Der Jüngling mochte in der Mitte der Zwanzig stehen. Sein feines, fast mädchenhaftes Gesicht, welches noch keine Spur vom Anflug einer Leidenschaft zeigte, mußte Wohlgefallen erregen, und die unerschütterliche Ruhe darin ließ es ungewiß, ob das Unschuld oder die furchtlose Sicherheit sei, die dem Bewußtsein der innern Kraft entstammt. Sein braungoldenes Haar fiel ihm in langen Locken auf die Schultern nieder, daß er fast einem jugendlichen Johannes glich, wie ihn die Maler darzustellen pflegen. Als könne dies alles zu diesem Kopfe nicht gehören, so sonderbar und doch so gefällig stand dazu der gewaltige Gliederbau des Leibes, die Breite der Schultern, die gewölbte Brust und die Stärke der Hände. Vermutlich hatte aber weniger die Gestalt als die städtische Kleidung des Jünglings die argwöhnische Neugier der Umstehenden erregt. Auf dem Tische lag ein braunes Sammetbarett. Über den blauen, zurückgeworfenen, kurzen Mantel und das gelbe, reich gestickte Wamms breitete sich ein feiner, ausgezackter Halskragen vom zartesten Linnen. An den faltenreichen Beinkleidern, da wo sie sich enge um's Knie schlossen, fehlten nicht die seidenen Schleifen; auch ein handbreiter, kragenartiger Ansatz ging, nach damaliger, vermutlich den Niederländern nachgeahmter Sitte, unter dem Knie her, und eine engere Fortsetzung der Beinkleider bis über die Waden schloß sich daran an.

      »Benz, ist er nicht taubstumm, so soll er das Maul aufthun. Man muß dem Hafen den Deckel abnehmen!« sagte einer in Addrichs Nachbarschaft.

      »He, Bursch,« schrie einer, der zunächst am Tische stand, dem jungen Menschen zu, »gieb Rede und Antwort. Wir begehren zu wissen, von wannen und wohin? Wie, wo und wann? Rede!«

      Der junge Mann sah ruhig auf und antwortete, »Gut, ich rede wie, wo und wann's mir beliebt.«

      »Du Milchbart meinst, der erste April sei vor der Thür?« erwiderte der Frager. »Ich mag des Narren Narr nicht sein, und kann dieser Zunge wohl Beine machen.«

      »Frage klüger, so antworte ich gescheiter« entgegnete der junge Mensch und goß sich den letzten Wein ins Glas. »Gelt, Du möchtest erfahren, ob ich von Aarau komme? Ob ich Aufträge habe? Ob ich thalaufwärts will? Hast alles erraten.«

      »Zeige, ob Du Schriften bei Dir hast, denn Sehen geht über Hören,« versetzte der Wortführer. »He, Ihr Leute, wer unter Euch kann Schriften lesen? Zieht ihn über den Tisch hervor; untersucht den Burschen!«

      »Legt keine Hand an mich, Ihr könntet Euch in die Finger stechen,« sagte der Jüngling, setzte das Barett auf, und erhob sich von der Bank.

      Erst jetzt konnte ihn auch Addrich erblicken. »Halt, Ihr Männer!« rief dieser und drängte sich zum Tische. »Keine Uebereilung! Es ist Fabian von der Almen, einer von den unsrigen, darauf verlaßt Euch, der uns bald unentbehrlich sein wird. Er soll Arzt und Wundarzt bei unserem Heere sein. Es wird nicht an Arbeit fehlen, zerschossene Beine und zerbrochene Köpfe wieder zusammenzuflicken.«

      »Laß ihn in Frieden, laß ihn!« riefen jetzt mehrere. »Der Mooser kennt ihn; das ist genug. Wir müssen einen Doktor haben.«

      Der Jüngling reichte