Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

will ich Dir den Schmerz nicht verbergen, meinen Weg ohne Dich gehen zu müssen. Das ist aber mein Los: was ich liebe, muß von mir abfallen, und alles, was ich hasse, wird zur Klette, an meinem Leben saugend. Ich bin von Natur gut; aber die besseren unter den Menschen fliehen scheu vor mir zurück, und als wäre ich ein Magnet für alles Schlechte, so hängt sich mir dieses ewig an.«

      22.

       Der neue Hiob.

       Inhaltsverzeichnis

      »Höre, Addrich,« sagte Fabian, indem er stehen blieb und den Alten zurückhielt, »Du guter und kluger Mann, sollte Dir der Schlüssel zu diesem Rätsel unsichtbar geblieben sein? Ja, Du bist gut und bist klug. Du willst aber oft klüger als gut sein; darum wird selbst Deine Tugend nur für Klugheit gehalten und darum verkennen Dich Gute und Schlechte.«

      »Was willst Du mit Deinem Gerede? Wann wollte ich klüger sein als gut?«

      »Wenn Dir der krumme Weg kürzer schien, als der gerade. Warum mußtest Du, zum Beispiel noch im Wirtshause von Gränichen, die albernen Bauern in der abergläubigen Erwartung von Deiner Hexenmeisterei bestärken? Warum wolltest Du selbst Epiphanias Hand mir zum Köder hinhalten, für den ich meinen Überzeugungen untreu werden sollte? Mußte sie auch das vielleicht nur dem Hauptmann Renold sein? Addrich, arbeite dem Volksaufstande entgegen, der sich jetzt wie wirbelnder Sturm um uns bewegt. Sei besser als klug!«

      »O Du hochweises Kind von sechsundzwanzig Sommern mit dem Doktorhut auf dem unbärtigen Haupte, wenn Du einst, gleich mir, zwei Drittel eines Jahrhunderts am Gewebe Deines Lebens und vor tausend zerrissenen Fäden gesessen hast, dann setze Dich auf Addrichs Grab und überlege das Wort, das Du sagtest. Es wird Dir leichter sein, die Grenzen ineinanderfließender Schatten zu finden, welche von zwei Lichtern geworfen werden, als das zu unterscheiden, was in den Thaten der Menschen dem Rechte oder der Klugheit angehört. Nein, Fabian, der Mensch ist nicht des Schöpfers Meisterstück.«

      »Addrich, lästere den Himmel nicht!«

      »Ist der Gedanke Lästerung? Warum wuchs er in meinem Gehirne? Bin ich sein Schöpfer, oder ist's die Natur des Bodens, aus dem er von selbst hervorwuchs? Fabian, glaube es mir altem Manne, der Mensch hat eine Kleinigkeit zu viel, um jemals glücklich zu werden, nämlich seine Vernunft. Ohne Vernunft wäre er noch ein ganz behagliches, leidliche Tier; jetzt ist er ein widerliches Zwitterding, das mit verwachsenen und verstümmelten Gliedern nirgends hinreicht. Tier will er, kann er nicht sein; und wie er ist, sieht er mit der Vernunftlaterne nur die Finsternis, und erkennt weder von wannen er kommt, noch wohin er geht, oder wozu er ißt und trinkt. Nichts sieht er, als daß alles um ihn, er sich selbst Nacht ist, und daß eben im Widerspruch seines Daseins das ewige Elend desselben liegt. Gehe, Fabian, gehe! Ich habe diese Welt von allen Seiten betrachtet, und am Ende gefunden, sie sei nicht des ersten Blickes wert. Gehe, ich bin müde. Ich will ein wenig ruhen. Meine Nacht war ohne Schlaf. Laß mich hier allein.«

      Addrich setzte sich während dieser Rede unter eine der ältesten Gönhardstannen in hochgewachsenes Moos und wandte das Gesicht zur Erde. Fabian aber ließ sich neben ihn nieder und sagte: »Deine alte Schwermut, in der Du, wie Hiob, an Gott und Menschen verzagest und Deinen Tag verfluchst, will Dich überfallen und quälen. Laß mich bleiben und Dir ein neuer Elihu, Baracheels Sohn, werden.«

      Der Alte schwieg und richtete lange Zeit das Haupt nicht auf. Endlich that er einen schweren Seufzer und sprach: »Ich bin schlecht und recht wie Hiob gewesen, und habe Unglück, wie ein Ungerechter, und bin verstoßen, wie ein Übelthäter. Du kannst kein Elihu sein, denn ich bin kein Hiob. Dieser Mann vom Lande Uz hatte seine Wohltage genossen, und, wenn auch verloren, doch nach den Wehetagen wieder empfangen. Ich aber habe die meinigen nie gesehen, und werde sie nicht sehen. Zu ihm sprach ein Gott; mir aber bleibt der Gott stumm, den ich rief. Wem soll ich ein Leben danken, das ich verwünsche?«

      »Schweige, Addrich, Gott könnte seinen Blitz zur Erde senden und Dein wahnsinniges Freveln strafen,« rief Fabian, den Alten beruhigend und ihm schmeichelnd die Achseln klopfend.

      »Daß er's thäte! Wenigstens wüßte ich dann, daß er wäre.«

      »Alter, willst Du an Gottes Sein verzweifeln?«

      »Bin ich nicht meines Lebens Stimme? Mein Leben ists, das an ihm zweifelt, Es war kein Gott darin. Meine Mutter starb in den Wehen, damit ich nicht von ihr geliebt würde. Mein Vater stieß mich von seiner Brust, weil ich der Häßlichere war, und gab mir eine Stiefmutter. Ihr Sohn, mein Bruder, war schön. Er sollte der Abel, ich der Kain sein. Meine Knabenzeit ging dahin unter Thränen und Fluchen. Ich kannte keine Gespielen, wie andere Kinder haben, und schloß aus Herzensbedürfnis mit den Kettenhunden Freundschaft.«

      »Laß gut sein, Addrich, ich weiß das. Wozu schärfest Du Deinen Schmerz immer an diesen Erinnerungen?«

      »Höre mich an, ich will ausreden!« schrie Addrich mit Heftigkeit. »Siehe hinein in meine Wunden, und suche den Gott darin, und dann verurteile mich. Als ich ein Jüngling war, ging mir eine Sonne auf. Ich liebte und vergaß, daß ich häßlich geboren war. Doch Diethelm, mein Stiefbruder, war schöner, und die ich liebte, wurde meines Bruders Weib. Ich sah eine Sonne wieder. Mein Vater zwang mich zu einer anderen Ehe, des Geldes wegen. Vielleicht hätte ich mich noch mit meinem Lose versöhnen können, doch ich las täglich den Unmut in meines Weibes Blicken. Ihr Herz gehörte schon lange einem andern. Sie gebar Eleonoren und verstarb im verzehrenden Gram. Die Welt sprach, ich hätte sie vergiftet. Das Gerücht und der Abscheu der Menschen gegen mich war allgemein.«

      »Manches Ehrenmannes guter Ruf, nicht der Deine allein, wurde vom stinkenden Nebel der Verleumdung dunkel. Aber die Sonne der Wahrheit, wenn sie auch untergeht, tritt schließlich immer an ihre himmlische Stelle zurück,«

      »Für mich halten Wahrheit und Sonne ewigen Feierabend. Die Verleumdung lebt im Munde des Pöbels, ohne alle Nahrung, wie die Kröte im Stein. Ich konnte diese Scheu der Menschen vor mir nicht ertragen, übergab mein Kind, nebst Haus und Hof, dem alten Vater, fuhr den Rhein hinab und mit den Holländern über das Meer nach Ostindien. Ich irrte Jahre lang umher. Ich sah die Schätze vieler Länder, das Treiben, die Tracht und Sitten vieler Völker; aber unter allen Himmelsstrichen begegnete ich der selbstsüchtigen Bestialität wieder, die ich in den Bergen des Oberlandes verlassen hatte: nur hatte sie andere Hautfarbe, Sprache und Kleidung. Durch Mühe und Not manchen Jahres hatte ich ein Vermögen erworben, das für mich beträchtlich heißen konnte. Ich eilte nach Europa zu meinem Kinde und fiel auf dem Heimwege in die Hände afrikanischer Seeräuber. Zwei Jahre arbeitete ich als Sklave, bis mich ein italienischer Mönch loskaufte, um mich katholisch zu machen und für sich beim Himmelspförtner einen Stein im Brett zu haben. Als Bettler zog ich in meine Heimat ein, fand den Vater tot, mein Kind schwächlich geworden, mein geringes Erbteil treulos verwaltet und halb vergeudet.«

      »Es ist wahr, Addrich, das Glück war Dir nicht hold, doch mich würde es stolz machen, wenn ich, wie Du, zurückschauen und sagen könnte: ich habe mit dem Schicksal gerungen und gesiegt.«

      »Ja, wenn ich's sagen könnte! Aber von Sorgen verzehrt, von der scheuen Verachtung der Pöbels erdrückt, hielt ich mich nur allein noch an der Liebe meines Kindes, an den Krücken der Hoffnung aufrecht. Ich wollte die, welche mein Erbteil veruntreut hatten, anklagen; sie standen stolz und sicher im Schutze mächtiger Gönner zu Bern. Mir wies man die Thür. Ich reiste, guten Rat zu holen, zu meinem Stiefbruder Diethelm. Er lebte als Witwer mit seinem Kinde in Dürftigkeit, an der Lenk. Er hatte mehr durch die Schlechtigkeit des Landvogts, unter dem er gedient, als durch eigene Schuld Ehre, Amt und Vermögen eingebüßt. Statt mir zu raten, sprach er nur von sich, von seinen Hoffnungen, angestellt zu werden, wenn er den Rest einer Schuld tilgen könne, die ungefähr den Wert dessen betrug, was ich noch besaß. Er machte es mir wahrscheinlich, daß, wenn ich den Mut hätte, ihn zu retten, uns beiden geholfen werden könne. Ich schlug es ab, für ihn mit meinem Kinde zum Bettler zu werden. Er schwor, mich nicht zu täuschen; er schwor, mein Beistand bleibe die letzte seiner Hoffnungen. Er fiel, in Verzweiflung, mir zu Füßen. Ich dachte an mein armes Kind und verweigerte die Bürgschaft standhaft. Doch in der Nacht darauf, nach