Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Eure Landesväter? Oder wollet Ihr Eure eigenen Kinder lehren, daß sie Euch sogleich das Brotmesser aufs Herz setzen müssen, wo sie bitten sollen? – Wohin wollt Ihr? Die starke Stadt und Veste Bern erobern, die Euren ungeordneten, schlechtbewaffneten Haufen ihre geübten, mit allen Schlachtbedürfnissen wohl versehenen Scharen und kriegskundigen Feldobersten entgegenschickt? Glaubt Ihr, daß vor Eurem Geschrei und Fluchen die Wälle und Mauern Berns erschrocken zusammenfallen werden, sie, die Euch aus hundert ehernen Feuerschlünden donnernde Antwort erteilen können?«

      Obgleich er diese Worte mit Würde und Ruhe, mit jenem traulichen Ausdruck des Wohlwollens und anspruchlosen Wesens geredet hatte, den die Völkerschaften der Schweiz an ihren Obrigkeiten lieben, so schien doch die versammelte Menge diesmal wenig darauf zu achten. Das Geschwätz, das Lachen und laute Zwischenrufen wurde während der Rede des Junkers immer lauter, bis Addrich die heisere Stimme erhob und sprach: »Mit Erlaubnis, Junker Oberherr, wenn schon sich bei Euch zu Bern das Recht drehen und biegen läßt wie Wachs, ist es in der Hand des Gerechten doch Stein und Eisen. Bei Sempach standen die Schweizer nur in dünnen Hirtenhemden und die Ritter alle jeder in seine eiserne Mauer eingepanzert; und dennoch wurden die Harnische dort mürber als Leinwand, und die Hemden fester als Erz. Wenn Ihr an eine göttliche Gerechtigkeit glaubt, der wenig daran liegen mag, ob sie es mit bernischen Ratsherren verderbe, so glaubt, sie wird vor unsern Fahnen herziehen, gegen Eure Zwingherrnwälle und mit dem Schwerte der Vergeltung Eure stolzen Häupter zu treffen wissen.«

      Während der Alte sprach, hatte alles, Kopf an Kopf, ringsumher geschwiegen und mit geöffneten Mäulern und unbewegten Augen zugehorcht, daß ihnen keine Silbe entgehe. Der Oberherr von Rued, fest und mit hoheitlichem Ernst den Blick auf ihn geheftet, hörte ihn mit scheinbarer Kälte an, doch bemerkte man an der wechselnden Farbe seines Gesichtes, daß ihm der Zorn in der Brust koche.

      »Schweig, Mooser,« rief er, ohne seine angenommene Gelassenheit zu verlieren, »denn Du, von allen diesen irregeleiteten Biedermännern, hast am wenigsten das Recht, mit jenen Strafgerichten zu drohen, welche die Langmut des Himmels bisher von Dir zurückhielt. Gerade Menschen Deines Gelichters müssen es sein, Menschen ohne Ehre und Glauben, Menschen ohne Gottes- und Menschenfurcht, die, wenn sie Eheweib und Bruder kaltherzig in den Tod gejagt und mit verdammten Mitteln ungerechten Mammon zusammengescharrt haben, endlich noch das arme Volk in den Abgrund stürzen, um auf den Stühlen der rechtmäßigen Obrigkeit sitzen zu können. Gehe, Dich hat Gott gezeichnet und man sieht Dir in der Beelzebubsfigur von oben bis unten das Handwerk an, mit dem Du für Rechnung des Teufels arbeitest. Aber Deine häßliche Haut ist noch ehrlicher, als Dein Herz und hat Dir den grauen Schädel schon vergebens mit der Asche der Reue bestreut, von der Deine verkaufte Seele noch nichts weiß.«

      »Junker Oberherr von Rued,« entgegnete Addrich mit Gleichgiltigkeit, »mag es Euch immerhin belieben, mich zu schelten: ich verzeihe Euch. – Aber von diesen Leuten hier urteilet ehrlicher. Eure Selbstsucht, Ihr Herren, Eure Herrschgier hat dies Volk in den Abgrund der Rechtslosigkeit gestürzt und aus Schweizern dumme Sklaven gemacht. Nicht ich, keiner kann es tiefer stürzen, als Ihr es selbst schon gethan habt. Diese Menschen hier, erlaubt es, Ihr Herren und Götter der Erde, alle möchten gern wieder Menschen sein, und zwar einen Gott im Himmel haben, aber nicht zweihundert auf dem Berner Rathause.«

      Diese Worte schlugen bei der Volksmenge durch. Die Bauern jauchzten dem greisen Redner Beifall zu und riefen: »Recht so, das ist's! Der Mooser macht dem Junker den Knoten auf. So muß es kommen!«

      Der Oberherr wurde im Gesichte glühend rot und sprach mit funkelndem Blicke zu Addrich: »Schweig, Du bist schlüpfrig, listig, ich weiß es, kalt und giftig, wie eine Schlange, aber Du kriechst doch nur dem Rabenstein entgegen . . . Ihr Leute, es ist wahr, Ihr begeht schwere Fehler, aber Ihr seid verführt. Ich verkündige Euch Verzeihung. Gehorchet der hohen Obrigkeit, der Ihr mit Euren Eiden Huldigung geleistet habt; ergreifet diesen grauen Schelm, diesen Addrich, bindet ihn und führet ihn gefangen in die Stadt. Gehorcht!«

      Das Gebieterische in der Stimme des Oberherrn, die furchtlose Hoheit in seinem Äußern schienen den Volkshaufen einen Augenblick lang zu erschüttern. Mehrere unter den Bauern zogen die Kappen und Hüte ab. Addrich's Gesicht faltete sich zu einem bitteren Lächeln. Plötzlich schrie eine kräftige Stimme aus dem Gedränge: »Lasset mich hindurch, daß ich dem Falschwerber Mores lehre, der also gegen den Kriegsgebrauch verstößt!«

      Ein schöner junger Mann mit flammenden Blicken trat in den Kreis. Es war Hauptmann Gideon, welcher sich dicht vor den Oberherrn hinstellte, den linken Arm in die Seite gestemmt, die rechte Hand mit drohendem Zeigefinger in die Höhe gehoben. »Ihr möget es Eurer Stellung danken. Junker,« sagte er, »und daß Ihr als Abgesandter der löblichen Stadt Aarau erschienen seid, sonst solltet Ihr wegen schlecht beobachteter Ehrfurcht gegen Hauptleute und Kriegsvolk ungesegnet von hinnen kommen. Versteht Ihr die Ausführung Eures Auftrags nicht besser, und wollt Ihr unsere Mannschaft verführen, so machet Euch auf und davon, widrigenfalls wir Eure unerhörten Begehren mit harter Münze bezahlen werden.«

      »Wer bist Du?« versetzte der Oberherr und maß den neuen Redner vom Wirbel bis zur Sohle mit den Augen. »Wisse, Rebell, wen Du von Dir hast!«

      »Mit Eurer Gunst, Herr, ich bin Hauptmann Gideon Renold, und, ohne Eitelkeit zu melden, habe ich andere Majestäten gesehen, als Eure Magnifizenzen von Bern. Der große General Torstenson, und selbst der berühmte Fürst Ragoczi haben mich nach der Schlacht bei Jankow . . .«

      »Schweig, Bursch!« unterbrach ihn der Oberherr, der sich jetzt seiner wieder erinnerte, mit Heftigkeit. »Hätten Dich meine Leute vor wenigen Tagen erwischt, so könntest Du heute die hungrigen Turmratten mit Deinen Prahlereien dick füttern. Gehe mir aus den Augen, Schwätzer; ich habe nur mit jenen ehrlichen Leuten zu reden.«

      Höhnischen Grimmes versetzte Renold: »Wollte ich meiner Würde und Eurer Eigenschaft als Abgesandter vergessen, so läget Ihr schon zu meinen Füßen niedergestreckt. Aber ich getröste mich, Euch bald im Treffen mit Degen oder Pistol zu begegnen, und, auf Kavaliers-Parole! Wo ich Euch das erste Mal ertappe, müßt Ihr Kugel und Klinge im Leibe fühlen, der Dampf soll Euch aus dem Halse fahren!«

      Der Hauptmann begleitete diese Worte mit einem so lebhaften und drohenden Geberdenspiel, daß seine geballte Faust ziemlich nahe vor dem Gesichte des Oberherrn umhertanzte. Dieser, voll Unwillens, stieß mit dem Ausruf: »Frecher Kerl!« Gideon's Arm zurück. Der Hauptmann griff nach seinem Degen, ließ denselben aber wieder fahren, und entriß einem der Umstehenden den Spieß.

      »Ich will diesen Junker wie einen Hund, nicht wie einen Soldaten hinausjagen,« brüllte er, kehrte den Spieß, und schlug mit dem Schaft über des Junkers Kopf, daß der Speer entzwei brach.

      Addrich zog den Wütenden, der zu schlagen fortfahren wollte, rücklings an sich. Die Ratsherrn von Aarau umringten erschrocken den Oberherrn und rissen ihn in eilfertiger Flucht mit sich zum Thore der Stadt; auch Fabian von der Almen gesellte sich zu ihnen. Wildes Gelächter, lautes Gebrüll, mit einigen Musketenschüssen vermischt, scholl den Fliehenden nach, durch die Vorstadt hin. Man öffnete der zurückkehrenden Gesandtschaft die kleinere Thorpforte, wo die Baseler Wache hielten, und ließ sie ein. Ein Haufen neugierigen Volkes folgte den Abgeordneten auf dem Zuge nach dem Rathause. Dieses erhob sich mit großer Geräumigkeit auf dem Platze der alten Burg und Veste Rore, an deren beinahe tausendjähriges Turmgemäuer sich Flügel und Dach des Gebäudes anlehnten, Ringmauer und Gräben waren längst verschüttet und zur offenen Straße geebnet. Die Außenseite des Hauses prangte in der Zierlichkeit, wie sie in damaliger Zeit in fast allen Städte angetroffen wurde, mit großen, bunten Mauergemälden, welche die Haupttugenden einer christlichen Obrigkeit sinnbildlich darstellten. Auf der steinernen Wendeltreppe eines der runden Vortürme gelangte der Zug zum Ratssaal, wo Schultheiß, Räte und Bürger beisammensaßen, mit ihnen die Obersten und Hauptleute des fremden Kriegsvolks. Groß- und Kleinweibel, in die Stadtfarben gekleidet, das Zeichen ihrer Würde, den langen, schwarzen Stab mit Silberknäufen, in der Hand, standen dem Schultheiß gegenüber, der, von seinem Thronsessel unter dem Wappen der Stadt, die Beratungen der Versammelten mit ernster Gewichtigkeit leitete. Fabian, des Ausgangs der Dinge begierig, blieb nebst den übrigen Zuschauern an der offenen Thür zurück.

      24.