Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Richtungen, ihren Mannschaften dies Abkommen bekannt zu machen. Gleichzeitig traten die Fahnen von Basel und Mühlhausen den Rückweg an, Aarau vorüber, längs den Weinbergen von Erlisbach. In langem Zuge folgten die bewaffneten Scharen der Landleute. Seitwärts, droben am Waldsaum des Hungerberges, wimmelte es von solchen, die schnellfüßig voraneilten. Vor dem Dorfe, welches im Hintergrunde lag, blitzten die Waffen des Sotothurner Landsturms. Schweigend wanderte Zörnlis Heerhaufen den Grenzen zu. Derselbe mußte so lange im Dorfe warten, bis sich die Aargauer und Solothurner jenseits desselben in langen Reihen, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel, kriegerisch aufgestellt hatten. Inzwischen belustigten sich die Kinder und Weiber des Dorfs an der Furcht oder Niedergeschlagenheit der heimwandernden Krieger, denen sie höhnend mancherlei Grüße mit auf den Weg gaben.

      »Hätten wir uns doch,« sagte der Oberst zu den Hauptleuten, »vom Ersten bis zum Letzten in Stücke zerhacken lassen, es wäre besser gewesen als diese Schmach zu erleben. Wir wären mit Ehren gestorben.«

      »Dazu kannst Du auf der Stelle gelangen,« sagte ihm die wohlbekannte heisere Stimme Addrichs, welcher dicht neben ihm stand, »Du schleppst einen Gefangenen mit Dir, das steht dem Besiegten nicht zu. Keinen Strohwisch sollt Ihr als Siegeszeichen aus dem Aargau tragen. Augenblicklich lasse den gefangenen Jüngling frei!«

      »Fein glimpflich, Herr Bauernkommandant!« fuhr ihn der Oberst an. »Und wenn Du wie ein Dachmarder schriest, würde ich Dich und Deine blutroten Augen nicht fürchten. Ich ziehe freiwillig zurück, nicht geschlagen, daß Du's weißt, und ich bin meiner Haut noch sicher.«

      »Wie das Insekt zwischen zwei Fingern,« versetzte Addrich mit hämischen Grinsen, ging dann die Rotten des Kriegsvolks mit gezogenem Degen entlang, bis wo er den jungen Fabian von der Almen zwischen doppelten Reihen der Soldaten erblickte. Er stieß diese zurück, riß den Jüngling hervor und sagte zu ihm: »Du bist frei, Fabian! Siehe, Bursche, das sind Deine Freunde, die Städter und ihre erbärmlichen Lohnknechte, für die Du, Narr, Partei ergreifst. Das ist ihr Dank! Gehe, Du bist frei; gehe mit mir, oder laufe zu den Bernern, es gilt mir gleich. Die gerechte Sache wird ohne Dich obsiegen. Hier hast Du einstweilen ein Stück zur Probe gehabt.«

      »Ich danke Dir, Addrich,« entgegnete Fabian. »Vielleicht erweise ich Dir über kurz oder lang den gleichen Liebesdienst. Mich aber bewegt nichts, weder Euch, noch den Städten anzugehören. Du kennst meine Gesinnung, verlieren wir kein Wort darüber.«

      Indem sie noch sprachen, setzte sich der Zug der Soldaten in Bewegung. Oberst Zörnli hatte wohl bemerkt, daß Addrich den Gefangenen ohne Widerstand befreite, doch die Klugheit riet ihm, zu schweigen, und das neue Schauspiel, welches sich zu gleicher Zeit eröffnete, worin ihm und den Seinigen die übelste Rolle zugeteilt war, nahm sein ganzes Gemüt bald zu sehr in Anspruch. Links von ihm stand in endloser Reihe der Solothurner Landsturm, rechts der des Aargau's; buntscheckig, mit mancherlei Waffen und wehenden Fahnen, alles wohlgeordnet. Die Trommeln wurden gerührt. Das Kriegsvolk von Mühlhausen und Basel mußte zwischen beiden Reihen, wie durch eine Gasse, den Höhen der Schafmatt entgegen ziehen, gleich Gefangenen auf dem ganzen Wege bis zur Grenze begleitet. Eine Menge Volkes, Kinder und Greise, folgte lachend dem seltsamen Schauspiele. Auch Fabian, vom allgemeinen Sturme oder von seiner Neugierde mitgerissen, oder um durch allzufrühe Entfernung keinen Argwohn auf sich zu ziehen, wanderte bis zu den einzelnen Häusern des Weilers Roor, in einem kleinen Thalgrunde am Fuße des steiler werdenden Berges, gemächlich nebenher. Hier wandte er sich, von keinem bemerkt, zwischen den Hütten auf dem Wege zum Bergdorf Stüßlingen, plötzlich ab, in der Hoffnung, Aarau vor Nacht wieder zu erreichen.

      Je weiter er kam, um so mehr verengte sich das schmale Thal vor ihm. Es wurde zuletzt einer höhlenartigen Kluft ähnlich, über welche von beiden Seiten die Tannen ihre dunklen Zweige wie ein Dach zusammenbogen. In dieser Schlucht sah er Gestalten sich bewegen. Als er sie deutlich erkannte, waren es drei Männer, die bewaffnet, in ungewöhnlicher, doch reicher Tracht, im Gespräch neben ihren Pferden standen. Einer derselben war ein Mohr, in feines Pelzwerk gekleidet; der andere trug einen kleinen Hut mit drei aufgeschlagenen, niedrigen Krämpen, eine lange Feder darüber; ein grünes Jägerwamms mit bis auf die Kniee reichenden Schößen, an welchem, vom Halse bis zum Knie, vergoldete Knöpfe und goldumfaßte Knopflöcher glänzten; an den Beinen über die Kniee aufgestülpte Reiterstiefeln. Der Dritte, welcher der Angesehenere von ihnen zu sein schien, trug eine Mütze von schwarzem Sammet, desgleichen ein langes, schwarzes, mantelartiges Oberkleid, so daß man ihn für einen römischen Priester gehalten haben würde, wenn nicht in seinem Gürtel der mit Silber und Perlmutter ausgelegte Griff eines Dolches geblitzt hätte.

      25.

       Die Nacht in der Berghütte.

       Inhaltsverzeichnis

      Obwohl unbewaffnet, schritt Fabian von der Almen doch herzhaft vorwärts in dem Halbdunkel des verdächtigen Hohlweges, den die Rosse und der daneben stehende Mohr, Priester und Jäger beinahe versperrten. Indem er grüßend vorbeizugehen gedachte, und mit einem Seitenblick die ungewöhnlichen Trachten der Anwesenden anschaute, redete ihn der Herr in der schwarzen Sammet-Sutane mit folgenden Worten an: »Heda, rüstiger Junggesell, wenn's Eure Eile gestattet, so gebet verirrten Reisenden einen ehrlichen Rat. Es wird Euer Schade nicht sein.«

      »Habt Ihr den rechten Weg verfehlt? Wohin wollet Ihr in den Bergen hier?« fragte der Jüngling und blieb stehen.

      »Wenn's ohne Flügel möglich wäre,« erwiderte Jener, »über diese Berge hinaus und über den Rhein. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande und vorgestern von Basel in dasselbe hereingekommen. Thaleinwärts und bergaufwärts vor uns ziehen bewaffnete Haufen. Ihr aus der Ferne vernehmbares Gebrüll weissagt friedlichen Wanderern so viel Heil, als das Gebrüll hungriger Löwen . . . Oder haltet Ihr es für geraten, Junggesell, wir sollten es wagen, uns als Fremdlinge des Landes uns der Gastfreundlichkeit dieser Leute anvertrauen, die wir doch nicht beleidigt haben?«

      »Herr,« versetzte Fabian, »ich möchte Euer Blut durch ein falsches Wort nicht auf mein Gewissen laden. Thut, wie Ihr wollt, doch sprecht lieber die Dachse und Füchse in diesen Löchern um Gastfreundschaft an, als jene Bauern und ihre dummblinde Wut.«

      »Wer ist Führer und Oberhaupt?« fragte der Fremde weiter. »Ich könnte mich vielleicht an ihn wenden.«

      »Ein Volk ohne Obrigkeit und Gesetz hat so viele Häupter als Gliedmaßen,« versetzte der Befragte. »Einer darunter, den ich kenne, wäre freilich, wenn er wollte, vielleicht im stande, Euch durchzuhelfen, allein . . .«

      »Es liegt mir nicht an einem Stück Geld. Wo finde ich ihn? Wie heißt er?«

      »Man nennt ihn den Addrich im Moos.« Fabian glaubte, indem er dies sagte, zu bemerken, daß der Fremde, welcher nachdenkend vor sich hinsah, bei dem Namen rasch mit dem Kopfe auffuhr. Er fragte daher: »Kennt Ihr ihn schon?«

      »Durch Hörensagen, wenn es derselbe ist, welcher sein Wesen in einem der abgelegenen Bergwinkel jenseits der Aar treibt,« erwiderte der Fremde gelassen, und zeigte mit der Hand nach jener Gegend hin. »Gestern erst hörte ich seinen Namen in den Wirtshäusern des Landes beim Würfelspiel, Weinbecher und Wortwechsel oftmals nennen. Doch bei allen Heiligen des Himmels! Ich glaube, dieser Mann hätte mehr Ruhm davon, wenn er weniger berühmt wäre. Ich möchte mein Pferd nicht seinem Stalle, geschweige mein Leben seinen Händen vertrauen.«

      »Mag sein, Herr,« versetzte Addrich's Freund. »Ich kenne ihn sehr gut. Er ist einer der Unglücklichen, von welchen kein Mensch Gutes redet, sondern nur Gott. Thut, wie Ihr wollt. Ich möchte Euch jedoch selbst nicht anraten, den Addrich in diesen Augenblicken zum Schutzpatron zu wählen.«

      »Was soll aber aus mir und meinen Leuten diese Nacht über werden, Junggesell, da ich weder rückwärts noch vorwärts kann?«

      »Herr, meines Erachtens thut Ihr wohl, das erste beste Obdach zu wählen, falls Ihr nicht lieber dort durch die tiefe Aar schwimmen, oder über jene hohen Felsen klettern wollt. Jeder Volksauflauf ist, wie ein wildes Bergwasser nach dem Gewitterregen, schnell geschwollen, schnell getrocknet. Wartet ein wenig am Ufer; morgen gehet Ihr