Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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als die Befreiung jenes unglücklichen Mädchens aus der Gewalt seines verrufenen Oheims; Befreiung, je eher, desto besser. Noch das eine sage ich Euch: mir gilt bei allem gleich, ob die Verlassene zum Dekan von Aarau, oder anders wohin, oder auch unmittelbar zu mir gebracht werde.«

      »Zu Euch, Don Nardo? Kennt Ihr diese Epiphania?«

      Der Niederländer betrachtete den Jüngling eine Weile schweigend, und antwortete dann mit fester Stimme: »Ich kenne sie, und sogar sehr genau.«

      »Ihr, Don Nardo? Da ertappe ich Euch auf fahlem Pferde. Wenn Ihr sie kennt, wie dürft Ihr Euch einbilden, sie werde den Oheim verlassen, um sich einem unbekannten Fremden auszuliefern? Sie weiß nichts von Euch.«

      »Glaubet meinen Worten, Junggesell, sie kennt auch mich.«

      Der Herr von Groenkerkenbosch sprach diese Worte mit so zuversichtlichem, ernstem Tone, daß Fabian, dem noch viel anderes auf der Zunge lag, voller Bestürzung verstummte und einen Schritt zurücktrat. Bald aber ging sein Befremden in sichtbaren Unwillen über, mit dem er sich von dem Niederländer abwandte, als wollte er ihn verlassen. Er warf ihm noch von der Seite einen Blick der tiefster Verachtung zu und sagte: »Nun ja, kennen möget Ihr sie; ja . . . der Geier kennt auch die Taube, über der er lüstern in den Lüften kreiset, bis sie sich aus der Sicherheit des Obdachs entfernt; aber die Taube kennt Euch nicht. Nie ist Euer Name zu ihren Ohren gekommen, nie von ihren frommen Lippen gefallen. Wisset, ich bin Epiphanias Bruder!«

      Fabians Heftigkeit brachte den kalten Niederländer nicht aus der Fassung. Dieser erwiderte mit einer Gleichgültigkeit, als wäre von Wind und Wetter die Rede: »Junggesell, zahlt meine Aufrichtigkeit nicht mit Unwahrheit; ich kenne, wenn schon ein Fremder, Eure falsche Münze. Epiphania hat keinen Bruder.«

      »Wenn auch keinen leiblichen,« erwiderte Fabian, und fühlte sich vor dem, der ihm mit Recht einer Lüge zieh, etwas verlegen, »aber,« fuhr er noch ungestümer fort, um sein Unrecht zu verdecken, oder weil sich neuer Verdruß zum vorigen Unwillen gesellte, »was habe ich mit Euch zu schaffen, oder welche Pflicht, Euch mein Verhältnis zu dem Mädchen zu offenbaren?«

      »Gemach, gemach, Junggesell, ich begehre durchaus Euer Vertrauen nicht. Wer Ihr seid, läßt sich erraten; Ihr möget ohne Zweifel der verlobte Bräutigam sein. Die Schilderung, die man von Euch entworfen hat, war nicht ganz ungetreu. Mit einer kecken Gestalt und einem Gesichtchen, wie das Eure, läßt sich das Herz einer Jungfrau zur Not schon anfechten.«

      »Ich hoffe,« sagte Fabian drohend und trat rasch ein paar Schritte näher, »ich hoffe, es wird Euch nicht belieben, Spott zu treiben?«

      »Im Gegenteil, junger Mann,« entgegnete der Niederländer mit unveränderlichem Gleichmut, »ich weiß dem Glücke Dank, das uns beide unverhofft zusammenbrachte. Wir wollen einander näher rücken. Wenn Ihr mir zum Ziele helfet, vielleicht . . . . helfe ich Euch zu dem Eurigen. Erlöset Epiphania, dann wollen wir weiter sehen.«

      »Ihr haltet uns hier zu Lande, scheints, insgesamt für sehr alberne Teufel. Gestern sprachet Ihr ungefähr auch auf diese Weise mit dem Spielmanne. Wer hat Euch Macht über die Hand Epiphanias eingeräumt?«

      »Das könnt Ihr künftig erfahren, und, zählet darauf, am wenigsten wird mir Eure einstweilige Braut selbst diese Macht versagen.«

      »Nun ists genug, Herr von Groenkerkenbosch, nun genug, kein Wort mehr, daß ich mich an Euch nicht versündige,« fuhr Fabian auf und seine Augen flammten von stolzem Zorn. »Wer seid Ihr, daß Ihr es waget, Eure Kurzweil mit mir zu versuchen?«

      »Gemach, Junggeselle, gemach. Es ist hier um nichts weniger als um Kurzweil zu thun. Ihr solltet es meinem Ernste ansehen, daß mich der Mutwille nicht sticht. Wer Ihr seid, weiß ich, aber wer ich bin . . .«

      »Weiß ich! Ein spanischer Niederländer, der mit seinem Geldsack meint, im Schweizerlande den Meister spielen zu können; ein Katholik, vielleicht ein verkappter Pfaff, der eine hübsche Nichte in seinen Haushalt braucht. Packt Euch, ehe Euch dieser Arm den Nacken bricht, und sucht für das Keuschheitsgelübde ein Wundpflaster unter Euren eigenen Heiligen!«

      »Junger Mensch,« rief Don Nardo, indem die Unbeweglichkeit seiner Gesichtszüge plötzlich endete und in finstern Mißmut überging, »junger Mensch, ich gestatte Eurer unbesonnen Hitze, mich zu lästern, aber lästert nicht Brauch und Glauben einer Kirche, der anzugehören Ihr würdig seid. Ihr verkennet mich, aber ich verkenne Euch nicht. Ich will Epiphanias Glück . . . bei Gott und allen seinen Heiligen . . . ihr zeitliches und ewiges Wohl, und könnte es geschehen, mit dem ihrigen das Eurige.«

      »Was?« rief Fabian, ärgerlich lachend. »Mein ewiges, ihr ewiges Wohl? Am Ende also treibt Ihr nur theologisches Kuppelgewerbe; abenteuert umher, Proselyten und Konvertiten zu machen? Ich rate Euch wohlmeinend, wahret Eure Haut im Lande Bern, und lasset den Dechanten von Aarau nicht wittern, welch ein Seelenjäger Ihr seid: Eure Heiligen würden Euch nicht vor Schandpfahl und Pranger erretten.«

      »Brechen wir ab!« sagte Don Nardo mit völlig wiedergewonnener Kaltblütigkeit. »Ihr führet im Nebel vergebliche Streiche. Bleibet ohne Kummer um Euren Glauben; ich will ihn nicht in Versuchung führen. Ist es der Wille des barmherzigen Gottes, die Verirrten zur Wahrheit des ewigen Lebens in den Mutterschoß der Kirche zurückzuführen, so bedarf es meiner nicht. Ich wäre das allerunwürdigste Werkzeug seiner Hand. Ebenso bin ich ohne Kummer für Addrichs Nichte, Eure Braut. Was ich von ihr weiß, verkündet, sie ist dem Glauben, der allein selig machen kann, wohl nicht so fernstehend, als Ihr Euch einbildet. Ein frommes, helles, nach innerer Seligkeit dürstendes Gemüt, wie das ihrige, kann und wird der rufenden Mutter, wenn sie deren Stimme hört, nicht lange widerstehen. Doch das beiseite, Junggesell; besänftigt Euren unnützen Argwohn und vergeblichen Zorn. Ihr verkennet mich. Leistet mir diesen Tag noch Gesellschaft, und ich zweifle nicht, wir können Freunde werden. Dann helfe ich Euch an Eurem Glücke bauen. Wir wollen noch manches Wort von Eurer Verlobten reden; es warten wichtige Dinge auf sie, wovon Ihr selbst sie unterrichten könnt. Ihr selbst vielleicht führet sie mir zu, wenn Ihr das wahre Wohl dieser armen Waise so wünschet wie ich.«

      »Da sei Gott für!« rief Fabian. »Was habt Ihr und das Mädchen miteinander gemein? Das fühle ich wohl, was es auch mit Euch sei, ganz richtig steht's bei Euch nicht, trotz Eures achtbaren Ansehens. Wo aber auch der Schalk bei Euch wohne, im Kopf oder im Herzen, Ihr sollet gewarnt sein. Hütet Euch, einer Jungfrau nachzuschleichen, mit der Ihr rechtlicher Weise nicht zu verkehren habt. Bei meiner Seele Seligkeit gelobe ich's, begegne ich Euch auf verbotener Straße, treffe ich Euch je in der Nachbarschaft vom Moos oder von Aarau, so habt Ihr Euer letztes Ave gebetet. Ihr wisset nun; ich bin ein Mann von Wort, und damit gehabt Euch wohl!«

      Fabian wollte davoneilen, doch Don Nardo ergriff ihn hastig beim Arm und rief: »Es ist ein Mißverständnis zwischen uns. Ihr stoßet Euer Glück von Euch!«

      Der Jüngling schleuderte den Niederländer von sich und sagte: »Fort! Mir grauet vor Euch, wie vor Satan, dem Versucher in der Wüste!«

      »Vor mir?« sagte Don Nardo mit einem Zuge des Unwillens im Gesichte, welcher durch eine Art spöttischen Lächelns gemildert wurde. »Ihr müsset fürwahr ein schlechter Soldat gewesen sein und in Euren schwedischen Diensten wenig von Welt und Menschen gesehen haben. So lebt wohl, Herr Hauptmann, und vergesset die Nichte Addrichs! Sie ist für Leute Eures Schlages von Gott nicht geschaffen.«

      Fabian betrachtete ihn von der Seite und sagte: »Ihr irret Euch, wie es scheint, gar sehr in meiner Person,«

      »Jetzt nicht mehr; nur einen Augenblick vorhin, Junggesell, als ich die Trommel für eine Kartaune ansah, da betrog sich mein kurzes Gesicht. Genug davon! Ziehet mit Gott!«

      27.

       Kriegsgefangenschaft.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Niederländer wandte bei diesen Worten dem Jüngling den Rücken, um sich zur Hütte und zu seinen Leuten zu begeben. Er sah aber, mit nicht geringem Erstaunen, diese und seine Pferde von bewaffneten Bauern umringt. Bald war