Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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das Volk soll das Ansehen der Obrigkeit, die Obrigkeit dagegen die Freiheiten des Volkes in Ehren halten. Keine Landschaft soll wider Wissen und Willen der übrigen Bundesgenossen gegen die Obrigkeit Waffen tragen; aber auch keine Obrigkeit einheimisches oder fremdes Kriegsvolk gegen Unterthanen ins Feld führen.«

      »Und wenn der Rat von Bern, Luzern oder einem anderen Orte sich Euren Sumiswalder Gesetzen nicht unterwirft? Wenn die übrige Eidgenossenschaft Euch Truppen ins Land schickt?«

      »So vertreiben wir Gewalt mit Gewalt. Das ist zu Sumiswald unter freiem Himmel mit aufgehobenen Händen beschworen und wird am großen Landtage zu Hutwyl in acht Tagen bestätigt werden. Die Unterthanen der ganzen Eidgenossenschaft sind dahin eingeladen. Sie kommen.«

      »Addrich, Du gescheiter Mann, kannst Du Dich so gröblich selbst betrügen und das Scheermesser bei der scharfen Klinge fassen? Ist Euer Sumiswalder Bund nicht klarer Aufruhr gegen die Landesherrschaft? Glaubst Du, die Regierung werde anders als mit dem Degen in der Faust antworten? O, traue Deinen Bauern nicht, Du kennst sie ja. Sie sind tapfer, so lange Du das Glas füllst; treu, so lange Du Geld giebst; einig, so lange Du allein sprichst, und gehorsam, so lange der Stier nicht weiß, daß er Hörner hat.«

      »Und wenn ich sage, Fabian, Du habest mehr als Recht, so sage mir: Wer hat das Volk also gezogen, daß es zur vernunftlosen Bestie geworden? Wer hat im Ebenbilde Gottes die Menschenseele erdrosselt, wenn nicht die verruchte Politik dieser Gewaltherren? Sie wollen nicht den Völkern dienen, sondern für sich Heerden mästen, um Schlachtvieh, Wolle und Milch zu gewinnen. Aus Kirchen und Schulen haben sie Werkzeuge gemacht, um den Unterthanen den Verstand, wie einen Tollwurm, auszuschneiden. Siehe, die Gewalt treibt's, wie die Prasserei, die mit eigenen Zähnen ihr Grab gräbt; sie zimmert ihren Totenbaum mit Henkersbeilen . . . Fabian, schwatze mir Dein Alltagsgeschwätz nicht mehr. Die Sache der Menschheit ist die Sache Gottes. Ich will die Sache der Menschheit rächen und mit dem Volksbunde von Sumiswald den Stanserbund der Herren zertrümmern.«

      »Wahre Dich, Addrich, Du reißest, wie der blinde Simson, die Säulen des Hauses nieder, daß Du selbst mit den Fürsten und dem Volke darunter erschlagen wirst.«

      »Was hat das elende Leben für einen Wert, wenn es sich nicht einmal durch einen heiligen Tod adeln läßt?«

      So sprachen und stritten beide Wanderer, bis sie in die Nähe der Felder von Denikon gelangten. Hier wollte Addrich einen Fußpfad durch die Äcker einschlagen, um über die Ägerten und Waldhügel in gerader Richtung nach dem Moose zu eilen. Fabian aber versprach nachzukommen, weil er zuvor den Dechanten von Aarau über dessen und Epiphanias Verhältnisse zu dem verdächtigen Don Nardo befragen wollte. Addrich lächelte höhnisch zu Fabians Erzählung von dem Niederländer und sagte: »Dieser vornehme Landstreicher hatte Langeweile auf der Stußlinger Haide und sah, daß Du einen Milchbart trugest.«

      Mit diesen Worten eilte Addrich über die Äcker, ohne das Lebewohl des Jünglings zu erwidern.

      30.

       Die Entlebucher.

       Inhaltsverzeichnis

      Fabian sah dem Alten in böser Ahnung eine Zeit lang nach, schüttelte den Kopf und setzte bei der Kühlung des Frühlingsmorgens den Weg nach Aarau längs den Waldhügeln mit leichten Füßen fort. Er verzichtete von nun an darauf, eine Sinnesänderung des finstern, störrischen Alten zu bewirken, und beschloß, zufrieden zu sein, wenn er aus dem ungeheuren Schiffbruch, welcher der öffentlichen Ruhe der Schweiz bevorstand, Epiphania retten könne.

      Nach kaum anderthalb Stunden lag das Städtchen Aarau mit allen Türmen, seinen Ringmauern und Thoren, sobald er aus dem wilden, schattigen Grunde der Wöschnau am Saum eines Tannenwaldes die Höhe erstiegen hatte, vor ihm. Es herrschte dort ringsum wieder das alte, friedliche Leben. Weiber und Mägde gruben, hackten und jäteten unter fröhlichem Geschwätz in Feldern und Gärten und schienen des Landsturms, der sie vor etlichen Wochen bedroht hatte, wie eines vorübergestrichenen Sommergewitters, vergessen zu haben. Niemand wehrte ihm am offenen Thore den Eintritt, von wo er sogleich durch ein enges Seitengäßchen die Richtung zur Stadtkirche und dem wohlbekannten Pfarrhause nahm.

      Als ihn die Dunkelheit des kalten Hausflures umfing, wandelte ihn ein leiser, doch angenehmer Schauer an, als träte er in die stille Wohnstätte eines Wesens, das, in frommem Umgang mit göttlichen Dingen, das Dichten und Trachten irdisch-fühlender Herzen nicht mehr kennt. Er blieb einen Augenblick schüchtern, überlegend stehen, um auf die erste Anrede und Einleitung Bedacht zu nehmen; ein Geräusch langsamer Schritte, welche seitwärts von einer Stiege herabkamen, störte ihn jedoch und er erblickte den greisen Dekan Heinrich Nüsperli selbst, der in vollem Ornat, wie er die Kanzel zu betreten pflegte, niederstieg.

      Fabian entblößte das Haupt mit ehrerbietiger Verbeugung, entschuldigte seinen Eintritt und bat, da er wahrscheinlich zu ungelegener Stunde komme, einen gelegeneren Augenblick zu bestimmen. Der geistliche Herr aber reichte ihm freundlich und herzlich die Hand, sobald er den Jüngling erkannte, und ersuchte ihn, zu bleiben.

      »Du kommst wie von Gott gesandt, mein Sohn,« sagte der Greis lebhaft. »Ich habe mancherlei mit Dir abzuthun und nicht ohne Kummer an Dich gedacht. Jetzt aber begleite mich in dies Zimmer. Es wartet meiner da eine Gesandtschaft der rebellischen Bauern aus dem Entlebuch, welcher ich Bescheid geben soll. Du wirst vielleicht dort auch am rechten Platze stehen und Gutes hören und zu Herzen nehmen können.«

      »Entlebucher? Katholiken?« sagte Fabian verwundert, indem ihm das Verhältnis des katholischen Niederländers zum Dekan der reformierten Geistlichkeit schnell ins Gedächtnis trat.

      »In diesen unsern Tagen und den letzten Zeiten soll uns keinerlei Ding mehr befremden,« sagte der Greis. »Unter Kriegsstürmen und Drangsalen der Völker bereitet sich der Weg des Herrn. Da müssen nun dieselben, welche in ihrer papistischen Blindheit die Kirche Jesu so streng verfolgt haben, in allzugroßer Herzensangst Zuflucht zu einem unwürdigen Diener des heiligen Evangeliums nehmen, um Trost und Rat zu suchen. Sie haben sich in einem bitterlichen Klageschreiben, schon vor Wochen, an Dekan und übrige Kirchen- und Schulvorgesetzte der Stadt Bern gewendet gehabt. Doch hat das vortreffliche Antwortschreiben des gelahrten Herrn Professors Leuthard ihren Erwartungen nicht entsprochen. Nun wolle mich Gott stärken! . . . Folge mir, mein Sohn!«

      Der Dekan ging voran. Er trat, von Fabian begleitet, in ein geräumiges Zimmer, wo sechs bis sieben Bauern von ihren Sitzen längs der Wand aufstanden und die steifen Rücken tief verbeugten. Es waren kräftige, gewandte, untersetzte Leute, aus deren groben Gesichtszügen Trotz und Schlauheit zugleich redeten. Sie schienen in ihrer gleichförmigen Landestracht, mit den runden, kleinköpfigen Hüten, kurzen, braunen Wämsern von ungefärbter Wolle und kurzen Faltenhosen, Genossen eines und desselben Hauswesens zu sein. Der geistliche Herr reichte allen schweigend die Hand, und sprach dann mit einer Würde, die ihm, im langen Leben auf der Kanzel, eigentümlich geworden war: »Meinen freundlichen Gruß und geneigtwilligsten Dienst samt Wünschung zeitlicher und ewiger Wohlfahrt zuvor. Fromme, ehrsame und weise, vielgeliebte Herren Nachbarn aus dem Entlebuch, da Ihr das Begehren gestellt habet, mich in Euren Angelegenheiten zu befragen, so lasset mich Euer Vorbringen vernehmen.«

      Der Älteste unter den Entlebuchern verneigte sich abermals mit der ganzen Hälfte des Leibes, und indem die Entfärbung seines ernsten Gesichtes einige Verlegenheit verriet, sagte er: »Wohlehrwürdiger Herr Dechant, unser Herz ist voller Betrübnis wegen des von sämtlichen Orten löblicher Eidgenossenschaft wider uns gefaßten Zornes. Wir sind aber keineswegs aus Übermut, sondern notgedrungen aufgestanden, um von unserer Obrigkeit Recht zu begehren. Ihre Amtleute haben die Geldsaugerei zur Hauptsache gemacht; sie haben die armen Landleute, ja sogar die Toten, nach deren Abschied aus diesem Leben, mit unerschwinglichen Geldbußen belegt, und uns in vielen Stücken um unsere Freiheiten gebracht, die wir doch in alten Briefen und Siegeln bewahren, wie wir sie von unsern Vätern geerbt haben. Nun aber verschreit man uns im ganzen Schweizerlande als ruchlose Rebellen, droht uns mit Krieg zu überziehen, und will uns vielleicht wieder nehmen, was wir von Gotteswegen erhalten haben. Da nun alle weltliche Obrigkeit Hand in Hand gehen will, uns zu erdrücken, wenden wir uns flehentlich