Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

ermahnen wolle.«

      Der Dekan erwiderte: »Gleichwie das Volk Gottes im Alten Testament, in wichtigen und gefährlichen Stücken, den Mund des Herrn durch die heiligen Propheten befragt hat, also kommet Ihr zu uns. Es ist wahr, die Richter und Könige in Israel haben wohl auch oft gefehlt und sind deswegen von Gott durch die Propheten gescholten worden. So spricht Jesaias: der Herr wird in's Gericht gehen mit den Ältesten seines Volkes und mit desselben Fürsten und wird sprechen: Ihr aber habet den Weingarten abgeätzet und den Raub der Armen in Euren Häusern. Was ist Euch, daß Ihr mein Volk zermalmet, spricht der Herr der Heerscharen! . . . Gleichwohl finde ich nicht, daß sich das Volk Israels damals, wie Ihr thuet, wider seine Obrigkeit empört hat. David sprach, als sein Diener Abisai den König Saul umbringen wollte: Wer will die Hand legen an den Gesalbten des Herrn? – Wohl aber finde ich, daß Gott der Herr die tyrannischen Regenten durch Überziehung von fremden Völkern und Wegführung in das babylonische Gefängnis bedroht und gestraft hat.«

      Diese Worte des wohlehrwürdigen Dekans verursachten dem Sprecher aus dem Entlebuch ein leises Kopfschütteln, und indem durch den steifen Ernst seiner Mienen ein schelmisches Lächeln zuckte, versetzte er: »Das mag dem Volk Gottes ganz recht gewesen sein, aber uns Leuten im Neuen Testament und im Schweizerlande käme dergleichen ungelegen. Denn wenn fremde Volker in's Land dringen würden, gingen die Herren in den Perücken frei aus, und wir gemeinen Leute sollten für sie Haare lassen. Und wenn Schultheiß, Räte und Hundert in's babylonische Gefängnis wanderten, sollten wir für sie die Ätzungskosten zahlen, denn an der Armut will jedermann den Schuh wischen. Aber, wohlehrwürdiger Herr Dechant, nichts für ungut, der Gulden vom Bauer ist auch sechzig Kreuzer wert.«

      Der geistliche Herr schien von der unerwarteten Antwort zwar betroffen, doch lenkte er sogleich wieder ein und sagte: »Liebe Nachbarn, um Gotteswillen gehet in Euch und denket, wie Gott in seinem heiligen geschriebenen Worte von den Obrigkeiten redet, indem er sie Götter nennt, das ist: Gottes Statthalter, wie der Apostel Paulus sie tituliert. Deswegen soll ihnen Achtung und Gehorsam bezeigt werden, ja sogar, wie der Apostel Petrus schreibt, nicht allein den gütigen, sondern auch den störrigen.«

      »Ihr habt vollkommen recht und die Apostel auch,« entgegnete der Entlebucher. »Als Gottes Statthalter jedoch machen sie ihre Sache gar zu schlecht. Sie sind nicht nur störrig, sondern auch stößig. Sie werden nicht einmal rot vor Scham, wenn man sie ›gnädige Herren und Obere‹ nennt, da sie doch wohl wissen, wie unbarmherzig und rechtswidrig sie mit ihren armen Untertanen verfahren.«

      »He, wohlehrwürdiger Herr,« rief ein kleiner, lebhafter Mann dazwischen, »ich erinnere mich doch auch, daß, als König Salomo gestorben war, das ganze Volk zu seinem Sohne Rehabeam kam und sprach: Mache das schwere Joch leichter, das Dein Vater uns auferlegt hat. Und als er ihnen einen harten Bescheid gegeben und gesagt hatte: Mein Vater hat Euch mit Geißeln gezüchtigt, ich aber will Euch mit Skorpionen züchtigen – sind von diesem Statthalter Gottes zehn Stämme abgefallen.«

      »Ihr könnt Euch dieses Beispieles gar nicht bedienen,« antwortete der Dechant, »denn nachdem Ihr Eurer christlichen Obrigkeit mancherlei Beschwerden vorgebracht, hat sie, außer wenigem, alles bewilligt, was doch, wie Ihr selbst bekennt, Rehabeam niemals hat thun wollen.«

      »Nun ja, weil ›Muß‹ ein bitteres Kraut ist,« sagte der erste Redner. »Als die Mittelsherren der sechs alten Orte einsahen, daß wir nichts als Billigkeit gesucht, haben sie uns in allen Punkten gewillfahrt. Warum erhebt man nun ein Geschrei und verklagt uns vor den Herren Eidgenossen zu Baden so heftig und lästert uns durch einen gedruckten Erlaß unbilligerweise vor der ganzen Welt als Rebellen? Darum begehren wir, daß unsere Obrigkeit durch einen anderen öffentlichen gedruckten Erlaß uns von diesen Vorwürfen befreie, und solches widerrufe. Es gehet wahrlich, unter einer Bauernkappe, ebensoviel Ehre auf zwei Füßen, als unter einem Ratsherrenhut.«

      »Liebe Nachbarn,« sagte der Dekan mit sanftem, beschwichtigendem Tone, »lasset einen Unterschied gelten. Was meint Ihr, wie würde es vor der ganzen ehrbaren Welt aussehen, wenn Eure rechtmäßige Obrigkeit solchen Widerruf thun sollte? Zudem hat sie nicht Euch alle, sondern nur etliche angeklagt. Es wäre daher mein Rat, als der ich Euch, Gott weiß es! alles Gutes gönne, daß Ihr mit gebührender Unterthänigkeit bei Euren gnädigen Herren, oder bei sämtlichen Obrigkeiten der allgemeinen Eidgenossenschaft einkämet, die Bekanntmachung des Erlasses zu unterdrücken. Das badische Mandat ist ohnedies nur zu einer Zeit gemacht worden, als Ihr mit Luzern in Zwist und Spannung waret. Da nun aber der Vergleich erfolgt ist, wird sich alles andere ohne Mühe beilegen lassen.«

      »Daß Ihr und die wohlehrwürdigste Geistlichkeit durch die Herren von Bern und deren Fürsprache uns dazu verhelfen wollet, ist allein unser untertäniges Gesuch bei Euch. Wir richten bei jenen in Ordnung nichts mehr aus. Sie verstehen das Befehlen aus dem Grunde, aber nicht das Überzeugen. Haben sie nun den Flegel stets im Munde, so haben wir ihn stracks bei der Hand. Gegenwehr ist nicht verboten, heißts im Entlebuch.«

      »Nicht das, Ihr Herren Nachbarn, nicht das ist die Sprache christlicher Unterthanen gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit,« rief der alte Dekan mit Unwillen. »So haben auch die aufrührerischen Truppen des Korah, Dathan und Abiram gesprochen, und die Erde riß unter ihnen und that ihren Mund auf und verschlang sie, mit ihren Häusern und mit aller ihrer Habe. Sie fuhren lebendig in die Hölle hinunter, mit allem, was sie hatten, und die Erde deckte sie zu. Christliche, liebe Nachbarn, sehet Euch vor, und fahret nicht der Rotte Korahs nach. Der schwarze Abgrund liegt unter Euren Füßen. Wisset, und wenigstens darin sind wir allesamt einig, Ihr Herren, Katholische und Evangelisch-Reformierte, es ist ein Gott, und dieser ist die höchste Obrigkeit, König und Herr aller Dinge; und er hat sich Ebenbilder und Statthalter gesetzt, im Bereich des Toten und Lebendigen, daß eins dem andern unterthan sei der Ordnung wegen. Also muß die Sonne und der Mond mit allen Sternen des Firmaments unserm Erdball dienen, der da ist der Mittelpunkt alles Erschaffenen. Und auf Erden haben die Völker ihren Mittelpunkt am Throne und Stuhl ihrer Obrigkeit, die da sitzet an Gottes Statt. Wollet Ihr nun gegen diese Aufruhr beginnen und mit ihnen zu Gericht gehen: so wollet Ihr Könige sein und die Obrigkeit zum Schemel Eurer Füße machen; verkehrt Ihr die Ordnung und das Gesetz des Schöpfers, so lehnet Ihr Euch auf gegen Gottes Weisheit und Macht, und rufet die Schrecken des jüngsten Tages herbei, wo auch die Gestirne des Himmels ihre Stellen verlassen und im allgemeinen Aufruhr zermalmend gegen die Erde fahren. Sehet Euch vor, ihr Verirrten. Auch die Engel und Erzengel, Satan an ihrer Spitze, haben sich auflehnen wollen und Gott, der Herr, hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen. Wenn nun Gott der Engel nicht geschont, da sie gegen ihn gesündigt hatten, meinet Ihr ihm in frevelvollem Mutwillen Trotz zu bieten? Zittert, Ihr Unglücklichen! Ich sehe ein flammendes Schwert, gleich einer glühenden Rute, über Euren Scheiteln. Es ist das Schwert des grimmigen Zornes des allmächtigen Gottes!«

      Hier schwieg der Greis, als wollte er eine Antwort hören, doch alle blieben stumm. Der Donner seiner Stimme schien in ihren Ohren noch fortzuhallen. Er stand da, vor den Rebellen, mit der Majestät eines Boten Gottes, und ein Sonnenstrahl, welcher während dieser Worte vom Fenster aus blendend über die ehrwürdige Gestalt sich ergoß, schien die Versinnlichung der himmlischen Erleuchtung eines frommen Innern zu sein.

      »Kehrt denn heim! Legt die Waffen ab! Haltet Frieden!« fuhr er nach geraumem Schweigen mit sanftem Tone fort. »Was mich anbelangt, will ich ohne Unterlaß zu Gott rufen, daß er beiden, den Unterthanen und den Obrigkeiten, seinen heiligen Geist verleihe, auf daß ihre Gedanken, ihr Sinnen und ihre Ratschläge auf unseres geliebten, allgemeinen Vaterlandes Frieden und Ruhe gerichtet werden mögen.«

      Der Sprecher der Landleute erwiderte: »Euer Wohlehrwürden wohlgemeinte und fromme Vermahnung ist allerdings des Dankes wert. Wir wollen jedoch nichts gegen die hohe Obrigkeit, sondern allein gegen ihre schnöden Amtsleute, welche die Regierung belügen und das arme Volk betrügen. Wir wissen, ohne daß es noch gesagt sein muß, daß Obrigkeit sein soll; unser wohlvererbtes Recht aber soll auch sein. Gestohlene Ware darf man wieder zurücknehmen, und hätte man sie auch der Obrigkeit in den Sack gesteckt. Der Wurm, den man tritt, darf sich krümmen. Der Herrgott gab der Biene den Stachel, daß sie sich rächen könne, uns armen Leuten aber Kopf und Faust.«

      »Mein ist die Rache, spricht der Herr, nicht dein!« rief der Dekan mit seiner Donnerstimme. »Gehet nicht den Weg Kains