Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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zankte, das Urteil dieser Lästerung nicht fällen, sondern sprach: Der Herr strafe Dich! So gehet hin und lasset ihm das Richteramt, ihm, der da richtet die Toten.«

      Der kleine spitzköpfige Entlebucher, der schon einmal geredet hatte, verzog schelmisch das Gesicht und sagte: »Das ist für uns wahrlich zu spät; denn nach dem Tode gilt das Geld nicht mehr. Wir merken leider wohl, es pfeifen, schüttelt der Bauer am Joch, Pfaffen und Junker aus gleichem Loch. Nichts für ungut!«

      »Du unverschämtes Lästermaul!« rief Fabian. »Rede, solange Du hier stehest, mit geziemender Ehrerbietung, oder Du möchtest ungesegnet aus dem Tempel kommen!«

      »Still!« unterbrach ihn der Dechant mit gebietendem Anstande und wandte sich zum Hauptsprecher des abgeordneten Ausschusses. »Ihr aber, liebe Nachbarn, traget Sorge für Euer zeitliches und ewiges Wohl! Schreitet nicht selbst zur Rache mit Übergehung der Euch von Gott gesetzten Herrschaft! Ermahnet Euer Volk zum Frieden und denket: Güte giebt Gut, Gewalt aber Blut. Darum haltet fest an Recht und Eid, wie es christlichen Unterthanen geziemet.«

      »Dessen sind wir gewillt,« antwortete der alte Entlebucher mit stärkerer Stimme, als vorhin. »Jedoch, wohlehrwürdiger Herr, wir sind gekommen, Euch zu bitten, nicht uns allein, sondern auch den christlichen Obrigkeiten zu predigen, was ihnen geziemt. Aber Ihr gebet uns wohl zu verstehen, daß bei Euch hier zu Lande die Herren Prediger in denselben Schuhen laufen, wie die Pfaffen bei uns; sie hüten lieber die Schafe, als den Wolf. Nun denn, zürnet nicht, Herr Dechant, so ist unser Geschäft bei Euch hiermit schnell abgethan. Wir haben nicht wegen der Kinderlehre den weiten Weg gemacht. Wir wagens, und lassen Gott walten! Wer mit dem Kaiser Prozeß führt, merke ich, muß nicht bei seinem Vetter, dem Papst, klagen. Das ist in der Ordnung und der Welt Lauf. Gelobt sei Jesus Christ!«

      Damit wandte sich der Redner vom Dekan hinweg und der Thür zu. Die andern folgten ihm, ohne ein Wort zu sagen, zum Hause hinaus.

      »So gehts einem immer mit Leuten dieser Art,« rief der Dekan, der bestürzt und stumm dastand und den Weggehenden, bis sie das Haus verlassen hatten, unentschlossen nachsah. »Es sind Kranke, die den Arzt anrufen, aber sich klüger dünken als er, sobald die Arznei bitter schmeckt. Inzwischen ist es mir angenehm, daß Du Zeuge dieser flüchtigen und vergeblichen Unterredung gewesen bist. Gern hätte ich einen von meinen Herren Amtsbrüdern dabei gesehen; allein die Leute überstürmten mich zu hastig. Ich habe jedoch nach der Stimme meines Gewissens gesprochen und kann mich damit trösten.«

      Obwohl der geistliche Herr das letztere noch verschiedene Male wiederholte, konnte er doch seine Unzufriedenheit mit dem schnellen Abbrechen eines Gespräches nicht verbergen, von dem er glänzendere Erfolge erwartet zu haben schien. Und wenn auch Fabian das Wort auf andere Dinge leitete, kam jener immer ärgerlicher auf diese vom Teufel verdorbene und abgebrochene Unterredung, wie er es nannte, zurück.

      Als der Jüngling endlich, doch mit aller Bescheidenheit, dringender wurde, die Flüchtigkeit der Zeit, die nicht länger zu verschiebende Fortsetzung seines Weges in Addrichs Moos, die Notwendigkeit, mit Epiphania Erklärungen und Abreden zu nehmen, und den Zweck seines gegenwärtigen Erscheinens zur Sprache brachte, überwand der Greis schnell seinen Mißmut und sagte: »Wohlgethan, mein Sohn, daß Du mich daran erinnerst. Epiphania steht in böser Hand und in schwerer Gefahr des Leibes und der Seele. Du zwar hast, durch die Gewalt der Ruchlosen, alles verloren, und weißt nun kaum, wohin Dein Haupt legen. Doch ich fürchte für meine Pate noch schwereres Unglück. Folge mir!«

      Der Dekan führte den jungen Mann hinaus, und begab sich mit ihm, um ungestörter reden zu können, eine Treppe höher, in das obere Stockwerk des Hauses, nach seinem Studierzimmer.

      Fußnoten

      31.

       Der Brief.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein kleines, freundliches Stübchen; die Wände waren ringsum mit vielen in ihren Gestellen zierlich eingereihten Büchern bekleidet und ein paar Tische mit aufgeschlagenen Folianten und beschriebenen Papieren belegt. Durch die hellen Fenster erschien die weite Landschaft im Halbkreise der Gebirge, mit der Aussicht auf die Schlösser Gösgen und Wartenfels und die beiden Wartburgen, wie ein Bild in einem Rahmen.

      Fabian, den die letzten Äußerungen des Dekans nachdenklich gemacht hatten, wollte reden. Dieser aber mahnte durch einen sanften Wink, sich zu gedulden und niederzusetzen, und nachdem er aus einer verschlossenen Schieblade einen Brief und eine kleine Rolle Geld genommen hatte, legte er beides neben sich auf ein Tischchen, und nahm gemächlich seinen Platz nahe demselben, im gepolsterten Lehnstuhl. Dann befragte er den Jüngling, von wo er komme und was er in diesen traurigen Zeiten zu thun gedenke. Als Fabian von seinen Abenteuern im Landsturm, von seiner langen Gefangenschaft in Olten zu reden begann, unterbrach ihn der Dekan plötzlich mit einer Art von Schrecken und sagte: »Wie? Bist Du vielleicht Deines eigenen Unglücks nicht kundig? Bei den Unordnungen im Oberlande ist Dein Heimwesen am Thuner See ein Raub der Flammen und alles, was Du gehabt hast, zu Asche geworden.«

      Fabian erschrak und vernahm ausführlich, wie ihm Haus und Hof eingeäschert sei, daß keiner von den Nachbarn zu Hülfe geeilt wäre, ja, daß man sogar nächtlicher Weile und boshafter Weise seinen Baumgarten zerstört, die alten Obstbäume eingesägt, die jungen abgebrochen und ausgerissen habe; daß man auch vermute oder sage, dies Unheil sei durch einen Haufen rebellischer Bauern auf Anstiften eines Kerls geschehen, der aus schwedischen Kriegsdiensten zurückgekommen wäre.

      »Den Schweden kenne ich,« sagte Fabian mit Fassung und Ruhe. »Es ist der Gideon Renold, welcher um Epiphania wirbt. Also ein Mordbrenner! Ich will es noch nicht glauben, daß er es sie. . . . Nun denn, so habe ich tausend und mehr Gulden weniger als nichts, und Rock und Hemd auf meinem Leib gehören den Gäubigern, denn ich ließ eine verzinsbare Schuld auf dem Gute stehen. So bindet mich nichts mehr an mein Vaterland als die Schuld. Ich schüttle den Staub von meinen Füßen und verlasse die Schweiz, sobald ich weiß, woran ich mit Epiphania bin.«

      Der Dekan senkte einen Blick des herzlichsten Mitleides auf den Jüngling und sagte: »Mein Sohn, leider kann ich Dir auch das sagen. Epiphania ist unrettbar und unentreißbar in den Klauen des Satans. Ich hoffte sie durch die mächtige Verwendung des Junker Oberherrn von Rued und vielleicht durch einen vom Junker Landvogt ausgewirkten Befehl zu befreien, doch das ist zu spät. Die Bauern in den Bergen dort gehorchen dem rebellischen Addrich mehr, als der regelmäßigen Obrigkeit. Auf seinen Befehl wurde selbst ein ehrlicher Bürger dieser Stadt, den der Junker Oberherr, Epiphanias wegen, in's Kulmerthal schickte, gefangen fortgeschleppt, und er wäre ohne Zweifel umgebracht worden, hätte er nicht seinem betrunkenen Wächter zeitig bei Nacht entwischen können.«

      »Das ist der Meister Wirri,« sprach Fabian.

      »Richtig. Du wirst von ihm gehört haben, mein Sohn, denn er saß, gleich Dir, einige Tage im Kerker zu Olten. Er hat viel Ungemach erdulden müssen. Während dessen erhielt ich eines Abends von unbekannter Hand dieses Sendschreiben hier und dieses Geld; es sind zweihundert Gulden in lauterem Golde. Das Sendschreiben ist zwar im reinsten Latein abgefaßt, allein es sind Fälschungen vom Anfang bis zum Ende; vergoldete Fallstricke des Teufels, der gegen meine arme Pate mit bösen Absichten umgeht und mich selber zu seinem Werkzeuge gebrauchen möchte. Leider liegt Epiphania schon in seinen Schlingen verwickelt und gefangen. Es ist mir gelungen, in Addrichs Abwesenheit ein Teufenthaler Bauernweib, welches bei mir ein-