Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

Gelübde gethan, und besitze augenblicklich keine Freiheit mehr. Ja, als die Teufenthalerin, auf meinen Befehl, von meinem lateinischen Briefe und dem Golde zu ihr geredet, und daß der unbekannte Verfasser des Schreibens ein verdächtiger Papist sein müsse, der sein Heil ihrer armen Seele nachstelle, hat sie geantwortet: Eben nach dem stehe ihr Verlangen.«

      »Was ist das?« rief der Jüngling voll unaussprechlicher Bestürzung und sprang vom Sessel auf. »Nach diesem hochmütigen, bleichen Schleicher steht ihr Verlangen? Ich kenne ihn; seinetwegen bin ich zu Euch gekommen, wohlehrwürdiger Herr. Er hat auch Meister Wirri und mich zu seiner verruchten Absicht erkaufen wollen. Fast überfällt mich ein Grauen, denn so wahr ich lebe, mit ihm ist's nicht, wie es sein soll. . . . Nach ihm ihr Verlangen? Er muß eine verbotene Kunst treiben und Bündnis mit dem bösen Geiste haben, daß er das Gemüt der unglücklichen Epiphania umstricken und ihren Willen verzaubern und binden kann.«

      Der Dekan schüttelte bedenklich den Kopf und ließ sich durch Fabian die geringsten Umstände berichten, die dieser von dem Herrn von Groenkerkenbosch wußte; auch Gestalt, Miene, Kleidung, Alter, Sprache beschreiben, und sagte endlich: »Je mehr Du von ihm meldest, desto weniger begreife ich von ihm. Nein, ich kenne den Menschen nicht und will ihn nicht kennen. Deiner Beschreibung nach mag er ein Rosenkreuzbruder sein, denn es sind unter den Katholiken noch viele dergleichen; und er mag mit der höllischen Magie und Theurgie umgehen, wie man davon ältere und neuere Exempel kennt. Hier, mein Sohn, lies dieses sein Schreiben!«

      Mit Neugierde und heimlichem Grausen schlug Fabian das Papier auseinander und las laut die Zuschrift, in lateinischer Sprache; in deutscher Sprache war der Inhalt ungefähr folgender: »Die Hand, welche diese Buchstaben zeichnet, o mein geliebtester Heinrich, ist, so hoffe und glaube ich, Dir noch immer teuer. Sie gehorcht einem Herzen, das von jeher für Dich schlug und noch stets für Dich betet. Darum vertraue diesen Zeilen, wenn schon ihr Urheber sich vor Dir verhüllt; er betet für Dich und für die Erleuchtung Deines Gemütes durch das göttliche Licht. Was uns für Leben und Ewigkeit vereinen sollte, das hat uns geschieden: der Glaube und die Kirche. Ich weiß, daß Du mich im beklagenswürdigen Irrtum verdammst, aber wisse, daß meine Seele nur im stillen Mitleid über Dich weint, wie der Sohn Mariens, als er das Kreuz zur Schädelstätte trug. O, daß Du lieber der blindgeborenen Heiden einer wärest, statt einer der Verblendeten durch Menschenlehre zu sein, so dürfte ich leichter auf Deine Wiederkehr zur ewigen Gemeinschaft der Heiligen hoffen.«

      Hier fuhr der Dekan mit glühendem Gesichte vom Lehnstuhl auf und rief: »Weiche Satanas! Das ist der Römischen Art und Weise. Ihm wäre es lieber, daß ich ein Heide, als ein evangelischer Christ sei. Welche wahnsinnige Verstocktheit in der babylonischen Abgötterei. Und sagt's nur im schönsten ciceronianischen Styl. Fürwahr, nie verbarg Beelzebub den verräterischen Schwanz unter einem schöneren Engelsflügel!«

      Der Vorleser ließ sich jedoch durch diese Aufwallung des evangelischen Eifers nicht stören, sondern fuhr fort: »Inzwischen, geliebtester Heinrich, wende ich mich in großer Angst des Gemütes zu Dir, daß Du Dich einer verlassenen Waise erbarmen, und Epiphania, die Tochter eines Deiner verstorbenen Freunde, ohne Verweilen in Deinen Schutz und in Dein Haus aufnehmen wollest, damit ihr Leben und ihre Seele gerettet werde. Denn sie lebt in der Wohnung eines Mannes, genannt Addrich im Moos, dessen hartes Gemüt durch den kläglichen Untergang des Weibes und Bruders weit berüchtigt, dessen Unglaube und Abfall von Gott selbst Deiner Kirche ein Gräuel geworden, und dessen Aufruhr gegen die Majestät der Gesetze das Ziel der öffentlichen Rache geworden ist. Errette sie aus der Hand des unrettbaren Sünders, bevor sie mit ihm und durch ihn in den Abgrund seiner Verbrechen hinabgerissen wird. Ich füge als Beihilfe zu diesen Zeilen mein weniges Gold hinzu. Ich beschwöre Dich bei Deinem und meinem Gotte, säume nicht. Erinnere Dich, daß Du im heiligen Sakrament der Taufe dem Himmel gegenüber Bürge für sie geworden bist. Gedenke Deines Wortes am Sterbelager ihrer Mutter. Vor dem Richterstuhl dessen, der die Toten richtet, werden dereinst ihre Eltern die Seele ihres Kindes von Dir fordern. Säumest Du, werde ich droben wider Dich zeugen. Lebe wohl. Die unruhigen Blicke meines Kummers beobachten und begleiten Dich auf allen Deinen Wegen. Lebe wohl!«

      Fabian legte das Schreiben stumm und den Kopf voller Zweifel schüttelnd auf den Tisch nieder.

      »Längst schon hätte ich,« sagte der ehrwürdige Dekan, »meiner armen Pate geholfen, aber wer gebietet oder gehorcht in diesen verwirrten Zeitläufen des Aufruhrs und der Meuterei? Ich weiß gar wohl, daß es mitten im pharaonischen Diensthause nicht pharaonischer zugegangen ist, als in dem Hause des Addrich. Darum, mein Sohn, kommst Du wie von Gott gesandt. Eile denn dahin und führe sie meinem Hause zu. Mein Gebet und Gott ist mit Dir.«

      »Aber nach ihm steht ihr Verlangen,« sprach Fabian in seinen Gedanken vor sich hin. Dann aber wandte er sich mit Lebhaftigkeit zu dem Greise und fragte: »Wer ist dieser Don Nardo? Denn er hat diesen Brief verfaßt und kein anderer. Welchen Anteil darf er an Epiphania haben? Ihr, wohlehrwürdiger Herr, Ihr müsset ihn kennen, denn er kennt Euch. Habt Ihr diese Handschrift nie gesehen? Rufen Euch die Züge derselben nicht irgend einen Katholiken ins Gedächtnis, dessen Umgang Ihr irgend einmal genossen habt?«

      Der Dekan verneinte nachdenkend mit Schütteln seines Kopfes und erwiderte endlich: »Außer dem gegenwärtigen Herrn Abt von St. Urban, mit dem ich in jüngern Jahren vielmals auf der Jagd im Bowald . . . nun ja, wir waren damals leichte Bursche und paßten wohl für einander . . . allein seit jener Zeit, ich war noch auf den Schulen zu Bern . . . doch es ist wahr, er sprach das Latein damals fertiger als ich, obwohl er jünger war . . . was konnte ihn jedoch jetzt bewegen . . . auch entspricht Deine Beschreibung nicht seiner Gestalt . . . freilich schmächtiger, zarter Wuchs; ja wohl, und die Jahre . . . Wozu indessen zieht er in seltsamer, weltlicher Tracht . . . allerdings, die Prälaten gingen vordem auch geharnischt ins Feld, und thun wohl noch heute gern mitunter etwas weltlich . . . nein, mein Sohn, alles überlegt und erwogen, der Prälat von St. Urban ist's nicht. Und mit andern seiner Konfession habe ich nie vertrauten Umgang gepflogen.«

      Das etwas verworrene Selbstgespräch des alten Geistlichen wurde von Fabian mit großer Aufmerksamkeit angehört. Wenn gleich der Schluß zuletzt auf Lossprechung des Prälaten ging, blieb doch in der Brust des jungen Mannes ein Argwohn gegen denselben, weil der Dekan wiederholt beteuerte, er habe in seinem Leben mit keinem andern unter den Katholiken nähere Gemeinschaft gehabt.

      Fabian beschloß, von Addrichs Hause hinweg nach St. Urban zu gehen und die Umgegend des Klosters nicht eher zu verlassen, als bis er die Person des Abtes mit der vielleicht nur verkappten des Herrn von Groenkerkenbosch verglichen haben würde, denn im fortgesetzten Gespräch mit dem Dekan traten mancherlei Umstände hervor, die den Verdacht einigermaßen rechtfertigen konnten, wie viel Unwahrscheinlichkeiten mit ihm auch verknüpft waren.

      Sobald der Jüngling nach längerer Unterredung einsah, daß er über Epiphanias rätselhaften und in jedem Fall zweideutigen Freund keine weitern Aufklärungen gewinnen könne, und auch über den Verlust seines mäßigen Vermögens am Thuner See nichts anderes, als was durch Briefe von Bern mit Zuverlässigkeit berichtet worden war, zu erforschen blieb, beurlaubte er sich vom Dekan. Dieser hielt ihn vergebens mit gastfreundlicher Hand zurück, um nur einen Tag bei ihm zu ruhen, und hatte selbst Mühe, den Ungeduldigen zu bewegen, seinen Weg wenigstens nicht ganz nüchtern fortzusetzen. Erst nachdem Fabian halbgezwungen Speise und Trank zu sich genommen hatte, entließ ihn der gutmütige Greis unter frommem Segenswunsch und wiederholtem Ermahnen, alles was Klugheit und Mut gebieten oder erlauben, für die Befreiung Epiphanias daran zu setzen.

      32.

       Der Gang zur Bampf.

       Inhaltsverzeichnis

      Der junge Mann verließ die Stadt mit einem jener widerwärtigen Gefühle, für die es noch keinen Namen giebt. Seine gesamten Hoffnungen hatten den Todesstreich empfangen. Für ihn gab es keine Zukunft mehr, nach der es der Mühe lohnte, aufzuschauen. Sein ganzes Dasein war verkümmert, denn nur das Tier ist mit dem Genuß einer Gegenwart abgefunden, ohne von Vergangenheit und Zukunft zu wissen. Der geistige Mensch wohnt im Unendlichen, lebt daher im Gewesenen und Werdenden und hat keine wahre Gegenwart des Augenblicks. Der Verlust