Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Herzens. Es schien ihm eine Stimme, wie Epiphanias Stimme gewesen zu sein. Er eilte in das Dickicht nach, welches sich noch kaum mit jungem Laube bekleidet hatte.

      Da stand sie, nur wenige Schritte entfernt, bei seinem Anblick in Bestürzung versetzt, vor ihm.

      33.

       Das Geschwister.

       Inhaltsverzeichnis

      »Fabi, Fabi! Du selbst?« rief Epiphania erglühend, den in Freude leuchtenden Blick zu ihm gewendet. Sie erhob schon aus der Ferne die Arme, ihn zu empfangen, ließ sie aber wieder sinken, als er zu ihr trat. Sie reichte ihm stumm die Hand dar, legte stumm ihr Haupt an seine Brust. Er berührte mit seinen Lippen das dicke, goldfarbige Geflecht ihres Scheitels und ein Paar Thränen entfielen seinen Augen, auf dem schönen Haare gleich Tauperlen glänzend.

      »Fabi,« sagte sie still weinend, »Fabi!«

      »Weine nicht, Fania,« antwortete er mit zitternder, halblauter Stimme.

      »Du hast mich sehr erschreckt,« lispelte sie leise, sah zu ihm auf und legte ihren Arm um seinen Nacken. Beide schwiegen; beide betrachteten sich mit zärtlicher Innigkeit, lautlos und anhaltend, als wenn sie nicht an das Glück glaubten, sich wiedergewonnen zu haben, oder, als könne das längste Anschauen keinen Ersatz gewähren für so langes Entbehren. Die Augen beider schwammen in stillen Thränen, die Lippen beider waren halb geöffnet, wie um leichter das Entzücken auszuhauchen, in welchem die Herzen brechen zu wollen schienen.

      »Und konntest Du, Fabi, konntest Du Dich so lange überwinden und nicht kommen,« seufzte Epiphania leise, ohne ihren Blick von seinen Augen abzuwenden.

      »War ich denn nicht immer bei Dir, Fania? Sie hatten nur meinen Leib gefangen; meine Seele atmete bei Dir.«

      »Ja Oheim Addrich sagte mir's. Du hast recht, guter Fabi; Du bist schuldlos. Er sagte mir's; er verkündete mir Deine nahe Ankunft. Ja, Du warest immer bei mir, Du tratest selbst des Nachts in meine Träume. Das war Deine Seele; das warest Du. Sahest Du mich nie?«

      »Immer, immer, Fania! Wo könnte ich denn sein, daß ich Dich nicht sähe? Ja, Fania, auch in den Träumen kamest Du zu mir. O wie schön, wie unaussprechlich schön standest Du darin an der Flue des Röthliberges, bei den Wasserfällen, welche der Hauch des Windes, wie einen weißen Brautschleier über Dein Haupt und über das Thal flattern ließ. Weißt Du noch? Fania, o Fania, aber da erschien . . .«

      Hier unterbrach er sich plötzlich und ließ die Stimme sinken, während er unwillkürlich, durch die Erzählung seines Traumes, an Renold erinnert wurde. Epiphania bemerkte bei den letzten Worten die Verwandlung in seinem Gesichte. Er wandte verlegen den Blick von ihr und ließ ihn hierhin und dorthin irren, als möchte er sich von einem Gedanken loswinden, oder ihn nicht blicken lassen. Währenddessen neigten sich seine Augenbrauen zusammen und verrieten den innersten Verdruß.

      »Nun, Fabi, nun? Was erschien?« sagte sie und beobachtete mit aufmerksamer Ängstlichkeit seine Geberde.

      »Dein Verlobter, Hauptmann Renold, Dein Bräutigam erschien,« erwiderte er halblaut.

      Der Name und das Beiwort warfen in das zarte, bewegliche Spiel ihrer Mienen plötzlich den Ausdruck des lebendigsten Abscheus. Sie zog die Hände von seinen Achseln zurück und sagte, indem sie sich um ein paar kleine Schritte von ihm entfernte.

      »Warum betrübst Du mich so, Fabi? Wer hat Dir das gesagt?«

      »Addrich that es.«

      »Und Du, Fabi, und Du? Was dachtest Du, als er das gesagt?«

      Fabian, der noch immer vor sich niedersah, zauderte stockend mit der Antwort und erwiderte endlich: »Gideon ist ein schöner Mann.«

      »Ja,« versetzte sie und trat mit ihrem kleinen Fuße auf die vor ihr am Boden blühende Daphne, »ja, wie dieser giftige, trügliche Zyland mit der Pfirsichblüte und dem Gewürzduft. Das ist die Sinnblume der Sünde, das ist Gideons Ebenbild.«

      Der Jüngling richtete den Blick vom Spiel ihrer Fußspitze forschend nach ihrem Antlitze. Da stand sie mit heiligem Zorn in unnennbarer Anmut reizender da, als der Traum sie ihm gezeigt hatte. »Wirklich, Fania, Du bist seine Braut nicht? Warum sagte es Addrich? Warum rühmt sich Gideon Deiner? Bist Du nicht gern an seiner Seite durch diese wilde Einsamkeit gewandelt? Doch, vielleicht habe ich kein Recht zu solchen Fragen.«

      »Du kein Recht? O Fabi, Fabi, wer denn sonst? Bin ich nicht mehr Deine Schwester? Fabi, willst Du schon wieder der Zänker unter uns sein, wo wir kaum zusammengetroffen sind? Nein, thue das nicht! Lasse uns friedlich zusammenbleiben. Ich will ja in meinem Leben nicht mehr mit Dir streiten, denn wenn Du fern bist, habe ich nichts davon, als die bittere Reue, die mir bleibt. Höre weder auf Addrich noch auf Gideon. Sie sagen Dir nur, was sie wünschen, nicht, was ich fühle. Ich möchte tausendmal lieber die Braut des Grabes sein. Glaube an mich, wie ich nur an Dich glaube. Ich schalt ja auch den Gideon einen Lästerer, als er mir sagte, die Obrigkeit habe Dich eines Verbrechens wegen eingekerkert. Warum schaltest Du ihn nicht und den Addrich. als sie Böses von mir redeten.«

      Fabian nahm Epiphanias Hand und sagte: »Ich habe keine andere Zuversicht unterm Himmel, als zu Gott und zu Dir. Aber Gideon ist ein schöner Mann . . .«

      Epiphania betrachtete ihn mit dem ihr eigentümlichen, schelmischen Lächeln, während sein Blick voll ruhigen Wohlgefallens an ihr hing. Endlich sagte sie etwas stammelnd, aber lebhaft: »Und bist Du denn nicht . . . viel schöner als er? Und bist Du . . . denn nicht unendlich besser als er? O Du ehrliche Seele, muß ich Dir das erst sagen, und Du hast das nicht gewußt? Es schickt sich freilich nicht für mich, Dich aus der Unwissenheit zu ziehen, die Dir so wohl steht. Aber Fabi, Du bist noch ein wirkliches Kind und bleibst ein Kind, bei aller Deiner Gelehrsamkeit. Das muß ich Dir sagen.«

      Fabian wurde feuerrot, sah hinweg, dann wieder zu Epiphania und versetzte: »Hofmeistere mich nur und mache Dich lustig. Ich mag jetzt keinen Streit mit Dir anfangen, denn ich werde wohl nur kurze Zeit bei Dir sein, und habe vieles mit Dir zu besprechen und um vieles Dich zu fragen.«

      »Nur kurze Zeit?« rief Epiphania, schnell ernster werdend. »Wer treibt Dich von uns? Nein, Fabi, Du mußt bleiben. Du mußt! Wer soll mich gegen die erschreckliche Wildheit des Gideon in Schutz nehmen, wenn er wiederkehrt?«

      Jetzt erzählte sie ihm alles, was sie von Renolds Art und Weise und seinen Ansprüchen zu sagen wußte, und was sie von den bösen Künsten zu wissen glaubte, die er gegen sie in Anwendung gebracht haben sollte, um ihr Herz zu betrügen. Ihre Erzählung war so schlicht und aufrichtig, wie eine Schwester sich nur dem Bruder anvertrauen kann. Sein Inneres empörte sich gegen Gideons rohe Anmaßungen. Er schwor, zwischen den Zähnen murmelnd, dem hochfahrenden, gewalttätigen Kriegsknecht blutige Strafe und rief endlich: »Fania, nein, Du bist gegen die List und Wut des wüsten Bösewichts hier nicht geborgen, hier nicht! Addrich selbst schirmt Dich nicht; Addrich verkauft Dich jedem, der ihm in den unseligen Händeln wider die Landesobrigkeit hilft. Ach, Faneli, warum kann ich Dich nicht einatmen, wie diese reine Luft, daß Dich niemand sähe, Dich niemand hätte; daß man mich töten müßte, um Dich zu rauben! Eben dieser Renold, eben er, und kein anderer, ist der Mordbrenner, der mein Heimwesen zerstören ließ, damit ich ein armer Bettler und ganz ohnmächtig würde, Dich zu schützen. Alle Mittel hat er mir in dieser Zeit entrissen, wo Gesetz und Richter bei dem Aufruhr des Landes verstummt sind. Denke nach, Faneli, rate, wie wir uns beide aus dieser Not erretten? Was hilfts, wenn ich ihn erschlage und die Schweiz verlasse und Dich? Warum traf doch mein gutes Schwert den Frechen, in der Nacht vor Deinem Geburtstage, so schlecht!«

      Hier wandte sich die Unterredung durch Epiphanias neugierige Zwischenfragen auf die Begebenheit jener Nacht. Epiphania wollte alles wissen. Nun that es zwar ihrem Herzen wohl, zu hören, daß der kleine niedliche Vogel, dem Fabians Namen und einen Denkspruch zu rufen gelehrt worden, im Gefängnis zu Bern von der treuen Bruderliebe Unterricht empfangen habe, doch war es ihr beinahe unangenehm, daß das Wundergeschöpf ein ganz natürliches Wesen, kein Berggeist, kein Höhlenfürst oder Schrätteli gewesen