Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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weiß ich's? Das meine ist gebrochen. Du solltest mein Todesengel werden; Du bist es geworden. Ach, hätte die leidende Seele schon den letzten Faden gesprengt, mit dem sie noch ans Leben gebunden ist! . . . Komm', komm', mir ist nicht wohl!«

      »Fabi!« rief sie mit unbeschreiblicher Angst, denn sie sah ihn bleicher werden und mit den Armen um sich fassen, als wolle er sich an etwas aufrecht halten, dann sich beugen und auf den Boden niedersetzen, wie jemand, dem die Kräfte entwichen sind. Sie kniete zitternd neben ihn und hielt mit den Händen sein Haupt, das an ihre Brust sank. Sie wagte kaum, Atem zu schöpfen, bis er, nach langem Schweigen, endlich tief aufseufzte und sagte: »Es ist alles gut; gehe hinab; ich komme nach. Ich schäme mich meiner Schwäche. Gehe, Dir zürne ich nicht . . .«

      »Blicke doch auf, Fabi, blicke auf zu mir!« sagte sie, neben ihm knieend, indem die Thränen des Kummers über ihre Wangen rollten, und sie ihm die langen, braunen Haarlocken von der Stirn zurückstrich. »Ich bin Epiphania; sieh Deine Schwester an!«

      »Wie? Bildest Du Dir ein, der Wahnsinn habe meine treuen Sinne bestochen und verwirrt?« rief er aus, und rückte von ihr weg. »Ich erkenne Dich wohl. Fürchte nichts. Meine Sinne und mein Gedächtnis sind jung geblieben, indessen mich eine einzige Stunde zum Greise gemacht hat, getäuscht und lebensmüde, als trüge ich hundert Jahre.«

      »Du bist sehr krank, sehr, o teurer Fabi! Du thust und redest nicht so, wie gewöhnlich.«

      »Kein Wunder, da ich das Unglaubliche sah!« rief er, indem er sich vom Boden aufraffte. »Täusche Dich und mich nicht! Die Wassertropfen auf Deiner Wange werden die Stellen nicht rein waschen, die des Pfaffen Kuß entweihte, als Du Dich von ihm geduldig herzen ließest.«

      »Gott im Himmel!« schrie Epiphania, und sprang mit Entsetzen auf. »Du sahst uns? Fabi, ich mag es nicht glauben, Du wärest uns nachgeschlichen? Mich hättest Du heimlich belauscht?« . . . Sie ging bei diesen Worten rasch von ihm, dann kehrte sie sich wieder zu ihm und sagte mit stolzem Unwillen: »Das war deiner unwürdig. Ich hatte Dich gebeten, mich und den Berg zu verlassen. Du hast mein Zutrauen betrogen, und Deine sträfliche Neugierde zu sättigen war Dir lieber, als meine Bitte zu erfüllen . . .«

      »Du irrest! Nicht Neugierde zog mich, sondern die Besorgnis, Deine leichtgläubige Gutmütigkeit könne Dich in Gefahr bringen. Ich wußte freilich nicht, daß Du eben diese Gefahr suchen wolltest.«

      »Gefahr? Nirgends, Fabi! Du hast also . . . o Fabi, sage mir ehrlich, wie Dein Gewissen es dem Allwissenden sagt: hast Du alles gehört? Kennst Du ihn?«

      »Und wenn auch schon mein Gehör aus der Ferne nicht zu Euch reichte, las ich doch Eure Gespräche, Wort für Wort, in Euren Geberden. Alles, alles! Ja, ich kenne ihn, diesen Abenteurer, diesen Schleicher, den tückischen Papisten. Er ist glatt und still und kalt und heimtückisch, wie die Eisrinde des gefrornen Sees, die den Knaben im Winter anlockt, um dann unter seinen Sohlen zu brechen und ihn zu verschlingen.«

      »Fabi, bei Deinem und meinem Herzen, lästere diesen Heiligen nicht, oder ich entferne mich, denn ich darf und will die Zunge, mit der Du mich Schwester nennst, nicht ruchlos an dem freveln hören, was mir teurer als das eigene Leben gilt.«

      »Unglückliche, Dir teurer! Er, der uns für die Ewigkeit scheidet!«

      »Fabi!« . . . rief sie, und wollte fortfahren. Er aber unterbrach sie, und fragte mit zitternder Stimme: »Sage mir, in Gegenwart des lebendigen Gottes, sage mir . . . Epiphania, in Deiner Antwort liegt die ganze Wendung meines Schicksals . . . Epiphania, warum tritt dieser zwischen Dich und mich? Was ist sein Zweck? Er will Dich dem heiligen, evangelischen Glauben Deiner Väter abtrünnig machen; er will Dich zum Übertritt ins Papsttum bewegen. Epiphania, will er? Und wenn es der Jesuit will, warum das? Epiphania, weiche mir nicht aus, antworte: Will er Dich zur römischen Kirche hinüberziehen? Will er?«

      Epiphania erblaßte, senkte die Augen, und ohne diese zu erheben streckte sie die Hände in flehentlicher Stellung gegen Fabian aus. Da verstummte auch der Jüngling, und sein Antlitz wurde bleicher als das Antlitz eines Toten. Er that schwankend einige Schritte umher. Dann bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen, lehnte das Haupt an den Stamm eines vom Sturm gebrochenen Ahorns und weinte laut und bitterlich. Sie hörte sein Schluchzen, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Die Hände gefaltet und mit Innigkeit an die Brust gedrückt, stand sie da, ein rührendes Bild des unendlichen Schmerzes, der sie beklemmte. Obgleich die Thränen ihre Augenlider röteten und über die blassen Wangen niederperlten, verzog sich doch keine Miene ihres schönen Gesichtes, gab sie doch keinen Klagelaut von sich, als wäre sie in ein weinendes Marmorbild verwandelt. Kaum hörbar zitterten ihre Seufzer über ihre Lippen,

      Durch die Wohlthat der geweinten Thränen erleichtert, ermannte sich der Jüngling endlich. Er trocknete seine Augen. Sein Entschluß war gefaßt. Er wandte sich fest und mit der Ruhe verzweiflungsvollen Verzichtens zu Epiphania, die in ihrem Innern erstarrt blieb.

      »Lebe wohl, Schwesterherz, mein Leben!« rief er. »Es ist um mich geschehen, möge Gott mir weiter helfen! Ich will diese Nacht ein anderes Obdach suchen; ich kann Dich nicht zum Moose begleiten, Lebe wohl! Weine nicht . . . Ich liebe Dich noch. Ich bin allzu betrübt; ich kann Dir nichts mehr sagen. Lebe wohl! Gott erbarme sich Deiner Seele!«

      Sie antwortete nicht und starrte ihn mit unbeschreiblicher Wehmut, ohne eine Bewegung zu machen, durch ihre Thränen an. Er wandte sich mit tiefem Seufzer von ihr und ging mit schweren, langsamen Schritten auf dem Fußwege im Gebüsch vor sich hin bis zur Bergfläche. Dort blieb er wieder stehen und machte seinem unbesiegbaren Gram abermals in Thränen Luft. Dann schwankte er weiter, kehrte aber wieder um, Epiphania noch einmal zu sehen und zu befragen. Und als er zurück kam, stand sie noch mit auf der Brust gefalteten Händen und mit dem erblaßten Gesichte da, wie vorhin.

      »Ich komme zurück, um eine Antwort aus Deinem Munde zu hören, warum weigerst Du sie mir?« sagte er mit Fassung. »Warum willst Du schweigen, da ich Dich vielleicht von einem Abgrunde zurückführen könnte, an dessen Rand Dich, unerfahrnes Kind, arglose Güte und blinder Glaube an das Menschenherz geleitet haben?«

      Epiphania senkte ihren Blick vom Himmel auf ihn nieder; während sie jedoch den Jüngling mit klagendem Blicke betrachtete, blieb ihr Mund versiegelt.

      »So hat er Dich schon gänzlich von mir fortgerissen?« rief Fabian. »Warum frage ich denn noch? Über das, was meine Augen sahen, kann ja kein Wort und kein Eid von Dir eine Decke werfen. Ich habe Dich in den Armen der Hölle erblickt.«

      »Fabi!« sagte Epiphania mit einer Stimme, die sein Innerstes durchschnitt, mit einer Stimme, in welcher ihn Schmerz und Zärtlichkeit, Vorwürfe und flehentliches Bitten anriefen.

      »Nur ein Wort, Faneli, nur ein einziges!« rief er. »Du hast ja zu seinen Füßen, Du hast ja in seinen Armen gelegen. Du bist . . . o Mädchen, o Fani, soll ich mir denn das Gräuelvollste mit eigenem Munde vorsagen? Sprich doch, Du liebst ihn?«

      Sie ließ die Hände auseinander fallen und sagte mit dem Ausdruck der reinsten Gutherzigkeit: »Aber mit einer heiligen Liebe!«

      »Habe ich denn jemals zweifeln können, daß aus Deinem Herzen anderes als heiliges hervorgehe? Im römischen Babel, ja im Höllenreich selbst wirst Du ein Engel bleiben. Aber, Epiphania, die scheinheilige Schlauheit des . . . des . . . o, er sei, wer er wolle, er hat Dich in Deinen frommen Einbildungen gefangen und gebunden. Du bist betrogen . . . ich kenne ihn.«

      »Du kennst ihn also, Fabi!« sagte sie langsam, gespannt und forschend. Dann schwieg sie, als wollte sie mehr von ihm hören.

      Fabian erzählte nun, wie er mit dem Niederländer und dessen Begleiter im Hohlwege bei Erlisbach zusammengetroffen sei; wie derselbe in der Berghütte mit Geld und Versprechung erst in den Spielmann, dann in ihn selbst gedrungen sei, Epiphania zu entführen. Alle Gespräche, die er mit ihm gepflogen, widerholte er aus seinem treuen Gedächtnis, und dann fügte er die Frage hinzu: »Glaubst Du nun, daß ich ihn kenne?«

      Während der ziemlich langen Erzählung war auf Epiphanias Wangen die natürliche Farbe allmählig zurückgekehrt. Sie hörte mit seltsamer Neugierde alle Berichte, und that noch viele Zwischenfragen, um auch das Kleinste und Bedeutungsloseste zu vernehmen.

      »Glaubst