Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

Du hast keine Freiheit mehr? Bist Du schon eines andern Verlobte, eines andern Braut?«

      »Nein,« erwiderte sie schnell. »Nun sei ruhig!«

      »Und willst Du, wenn nicht meine Braut, mein Weib, nie das Weib eines andern werden?«

      Nach einigem Sinnen sagte sie mit erneutem Erröten, aber fester Stimme: »Das darf ich Dir und Gott geloben. Nein, ich will nie eines andern sein, so lange Du es selbst mir nicht gebietest.«

      Überrascht und als hätte er Argwohn gegen sein Gehör, verlangte er die Wiederholung der Worte. Sie gehorchte und sagte darauf wieder mit aller schwesterlichen Traulichkeit: »Nicht wahr, Fabi, nun bist Du ruhig? Nun weichst Du nicht von mir?«

      Er drückte sie mit seinem Arm fest an seine Brust, und seine Lippen brennend an die ihrigen. So standen sie lange. Die Sonne sank herab, die Gletscher traten erblassend in den blauen Duft zurück, und die Thäler zerflossen in ungewissen Dämmerungen.

      »Hinab ins Moos!« rief Fabian.

      »Ach,« seufzte Epiphania, »Geduld! Ich muß mich sammeln. Fabi, Du bist nicht mehr, der Du gewesen bist. Gewiß nicht; es wohnt ein anderes Wesen in Dir. Oder habe ich Dich noch nie gekannt, als heute? Oder habe ich Dich nicht immer über alles geliebt, daß ich Dich nun noch unaussprechlicher liebe? Oder ist meine Freundschaft sündig geworden, daß sie mir fremd und neu erscheint? Sonst ist's nicht so gewesen. Was wird er sagen?«

      »Wer, Fani?«

      »Hinab ins Moos!« rief sie, ergriff seine Hand und führte ihn durch die Gebüsche ins Thal hinab, zur Hütte.

      36.

       Unerwartete Hoffnung.

       Inhaltsverzeichnis

      Todesstille herrschte in Addrichs Hause. Das einfache Abendessen stand bereit. Brot, Milch und Käse, nebst einer irdenen Schüssel gekochten, trocknen Obstes. Für Fabian setzte das geschäftige Änneli freundlich eine Flasche Wein dazu. Knechte und Mägde standen versammelt umher; Addrich jedoch erschien nicht, auch als Epiphania ihm die Ankunft Fabians gemeldet hatte. Er verweilte im Krankenzimmer seiner Tochter Leonore, und verlangte mit ihr und seinem Grame allein zu bleiben.

      Nach dem Tischgebete, welches abwechselnd von den Mägden und Knechten halblaut und eintönig hergemurmelt wurde, nahm man auf den Bänken platz. Niemand versuchte, das Mahl mit Gespräch und Scherz zu würzen, und wenn einer der Speisenden das Schweigen unterbrach, so geschah es mit kurzen Worten und gedämpfter Stimme. Das war die Ordnung dieses traurigen Hauses.

      Nach beendetem Mahle, als der Tisch von Ännelis gewandter Hand abgeräumt und das Zimmer von allen verlassen war, blieben Epiphania und Fabian, beim gelben Schein der Lampe, auf ihren Plätzen am Tische im leisen Geplauder mit einander zurück. So fand sie Addrich, als er hereintrat und sie, über den Tisch die Hände einander vertraulich haltend, sein Kommen nicht bemerkten, bis er neben ihnen stand und den jungen Freund begrüßte. Fabian, ohne die Schwesterhand fahren zu lassen, reichte ihm von seinem Sitze die Linke entgegen, und sagte: »So möchte ich Euch beide mein Lebenlang an mir halten!«

      »Wir sind Schatten,« erwiderte der Alte, »die Du nicht fesseln kannst. Schatten ist was war, was ist und sein wird! Doch Du hast recht. Ergötze Dich am Gaukelspiel Deiner Wünsche. Vor Zeiten war ich ebenfalls ein Kind, wie Du.« Er sagte dieses mit einer innern, tiefen Bewegung, mit bebender Stimme, wie es jedesmal zu sein pflegte, wenn er vom Siechenbette der heißgeliebten Tochter kam. Seine Augen waren geröteter als sonst. Als hätte der Schmerz seiner Seele alle Kraft seiner riesigen Gestalt verzehrt, so hing er matt und schlaff über den Tisch indem er den vorgebogenen Leib mit aufgestemmten Händen und Armen unterstützte.

      Fabian versuchte auch jetzt und wie immer vergebens, ihn durch Vorstellungen und Gründe, die ihm Vernunft, Religion, oder der Stolz des Mannes darboten, zu ermutigen und zu erheben. Addrich antwortete seiner Gewohnheit nach entweder mit einem Lächeln, welches seine ganze Verachtung gegen solche Arznei aussprach, von der kein wahrhaft krankes Gemüt gesunden könne; oder mit Bemerkungen über Schicksal und Leben, die noch schrecklicher waren, als sein Lächeln. Endlich brach er die Unterredung ab und sagte zu Epiphania: »Gehe hinauf, Kind, zum armen Loreli. Es hat heute wieder einen seiner mildern Leidenstage, und hängt an nichts mehr auf Erden, als an seinem Vater und an Dir. So gehe denn. Entziehe Deiner Schwester keinen Augenblick, wo Deine Gegenwart, Dein freundliches Geplauder ihr die kurze Zeit ihres Daseins noch versüßen kann. Gehe. Es ist noch nicht spät und ich habe mit Fabian zu reden. Vielleicht mache ich noch einen weiten Gang an diesem Abend. Gehe!«

      Sie gehorchte und stand auf; Fabian mit ihr. »Vielleicht, Fabi, sehe ich Dich heute nicht wieder,« sagte sie. »Gute Nacht, Fabi!« Sie reichten sich die Hände und schieden.

      Addrich setzte sich jetzt zu Fabian auf die Bank, den Rücken an den Tisch gelehnt, und begann, als wolle er sich gewaltsam zerstreuen, allerlei Fragen, die anfangs ohne Zusammenhang schienen. Fabian mußte ihm über mancherlei berichten; auch über die Unterredung mit dem Dekan von Aarau. Als er von der Feuersbrunst am Thuner See, der dabei bewiesenen Thätigkeit des Schweden und von Fabians gänzlicher Dürftigkeit hörte, rief er, einen schweren Fluch über Gideon Renold murmelnd: »Hätte ich diese Bestie gegen die Wälle von Bern und Solothurn nicht nötig, wollte ich sie den nächsten Tag am Galgen zappeln lassen. Er ist schon so verrufen, wie ein Churer Batzen. Man muß jedoch hier zu Lande manchen zu Gast bitten, der längst vom Henkersmahl hätte satt sein sollen. Habe Geduld und wahre Dich einstweilen, da er Dir nachstellt, bis wir ihm das Bohnenlied singen.«

      Fabian bewies durch seine Gleichgültigkeit gegen Addrichs Warnung, wie wenig er den Schweden fürchtete, und setzte seine Erzählung von dem fort, was er im Pfrundhause zu Aarau durch den Dekan vernommen. Addrich hörte ihm mit wachsender Teilnahme zu, besonders, als die Rede auf den lateinischen Brief und auf die Vermutung des ehrwürdigen Geistlichen von Aarau kam, ob nicht der Prälat von St. Urban vielleicht mit dem Briefsteller, der so geheim thue, ein und dieselbe Person sein möge?

      »Blitz!« rief Addrich und sprang auf. »Es wird helle! Hast Du mir nicht von einem Mohren erzählt, den er bei Olten bei sich gehabt? Es ist dies Negergesicht vor einigen Wochen schon in dem alten Cisterzienstift bemerkt worden; nein, nicht da, doch nur wenige Büchsenschüsse davon, im Wirtshause vor Roggwyl. Die Pfaffen hassen wohl die Ketzer, aber nicht die Ketzerinnen, und heiraten nicht, so lange die Bauern Weiber haben. Ich will dem Abte nächstens über den Zaun schauen!«

      Fabian drängte es, von dem Schauspiel zu reden, welches er vor wenigen Stunden noch auf der Bampf gehabt, doch Ehrfurcht und Liebe für Epiphania geboten ihm zu schweigen. Indessen unterließ er nicht, den Alten zu warnen, daß er auf der Hut sein möge, denn man müsse vor der Mönche List und Gewalt ebenso sehr, als vor Epiphanias gutmütiger Leichtgläubigkeit zittern.

      Addrich beruhigte den Jüngling. »Dies Haus ist wohl bewacht,« fügte er hinzu, »meine Knechte sind auserwählte Burschen, alle bewaffnet, wie zu einer Belagerung. Wer hier Gewalt versucht, wird kalt gemacht, und Faneli verläßt mein armes Kind nicht so lange es atmet. Aber, Fabian, hätte ich das alles nicht erfahren, was ich nun weiß, ich müßte dennoch mit Dir ein Wort im Ernste reden, und der Bitte meines armen Loreli Genüge thun. Sie will Epiphania geborgen und glücklich sehen; sie zittert vor dem Lose derselben, wenn der Schwede . . . sie hat mirs gesagt, ich selbst wußte, daß meine Nichte nur für Dich lebe. Fabian, ohne Umstände, lege Deine Kinderschuhe ab; es ist Zeit, Faneli ist Deine Schwester nicht, Du bist nicht ihr Bruder. Es ist die letzte Freude, die Du meiner armen Tochter ins sterbende Herz träufeln kannst, wenn Du die unschuldige, kindliche, treue Fani nicht verlässest; wenn Du sie, ehe Leonorens Augen brechen, zu Deinem Weibe machst. Frage nicht, nun Du um Habe und Gut gekommen bist, wovon eine Frau zu ernähren! – Was ich besitze, teile ich mit Dir, Epiphania erbt ja alles von mir, da ich keine Tochter hinterlassen werde.«

      Er sagte diese letzten Worte mit leiser Stimme, die zuletzt ganz tonlos zum Seufzer wurde. Der Jüngling, anfangs durch den Antrag überrascht, flammte plötzlich in allen Strahlen der Freude auf, und rief: »Addrich,