Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Addrichs Herz brach bei diesem Anblick. Er floh stilljammernd aus dem Gemache an einen einsamen Ort.

      Es herrschte ein langes Schweigen. Die Knieenden wagten nicht einmal, laut zu seufzen. Endlich sagte Eleonore: »Nimm mir die harten Ringe wieder von den Fingern, Faneli . : . Dir den einen, Dir, Fabi, den andern. Traget sie zu meinem Gedächtnis!« . . . Und nachdem der rührende Befehl erfüllt war, lächelte die Selige und sagte: »Geh', es ist Zeit, es ist Zeit! Ich bete für Euch.«

      Epiphania und Fabian standen auf. Beide küßten die blassen Lippen der Jungfrau, die nur mit einem still lächelnden Blicke antwortete. Dann verließen beide leise das Zimmer, in welches, zur Pflege der Dulderin, eine der Mägde eintrat. Epiphania aber führte ihren Freund in ihr Gemach und sagte: »Fabi, also mußt Du schon wieder von hinnen, mit dem Oheim? Er hat mir alles gesagt und mir erlaubt, Dich und ihn bis Kulm hinab zu begleiten. Fabi, Du gehst ohne Gewehr, und es ist eine böse Zeit und unsichere Straßen. Wache über Dein Leben, denn es ist ja auch mein Leben, und kehre bald und glücklich wieder!«

      Nach diesen Worten eilte sie zu einer beinahe fünf Fuß langen, mit rotem Tuch und schwarzem Leder zierlich beschlagenen Kiste, wie dergleichen damals in reichen Bürgerhäusern zur Benutzung und zum Schmuck der Gemächer standen. Epiphania öffnete den Kasten mit dem Schlüssel und nahm ein breites Schwert daraus, dessen Handgriff mit Silber ausgelegt und dessen Gehenk mit Silber gestickt war. »Sieh', Fabi,« sagte sie, indem sie ihm das Degengehenk über die Achsel warf, »ich will Dich ausrüsten. Ich gebe Dir das einzige, was mir von meinem unglücklichen Vater, dessen ewiger Grabstein der hohe Rawyl geworden, geblieben ist.« Sie drückte bei diesen Worten den Griff des Schwertes an ihre Lippen und fuhr fort: »Diese Stelle ist durch Berührung von seiner Hand mir heilig.«

      »Und mir durch die Deiner Lippen,« sagte Fabian. »Ich werde es für keine ungerechte Sache entblößen.«

      »Wehe Dir, Fabi, wenn Du das thätest! Ich weiß vom Oheim, daß mein Vater, der heftigen Gemütes gewesen sein soll, einst im Irrtum fehlte, und einen Mann mit Unrecht erbitterte. Da riß ihm dieser das Schwert aus der Scheide, um ihn damit zu durchbohren. Fabi, ich erzähle Dir's nicht vergebens. Seitdem ich diese Geschichte gehört habe, blieb mir der Glaube, dieses Schwert habe irgend eine geheime Bestimmung.«

      »Und welche?«

      »Daß es seinem eigenen Besitzer gefährlich sei, wenn er sündigt. Ich selbst bin schon einmal von der Schärfe der Klinge verwundet worden; es schien zwar damals ein bloßer Zufall zu sein . . . aber, Fabi, ich wußte wohl, wie ich mich vorher schwer an Gott und den Menschen vergangen hatte. Fabi, verachte meine Ahnung nicht! Es giebt keinen Zufall, weil ein Gott ist, und glaube es, Fabi, in der Menschenbrust klingt und weissagt dem, der darauf horcht, zuweilen eine Stimme, die nicht die der Menschen ist.«

      Sie plauderte dieses und mehreres so ernst und gläubig, und sah dabei mit ihren Himmelsaugen so flehentlich und zärtlich zu dem Jünglinge auf, daß dieser gegen die Ahnungen und Stimmen aus Epiphanias Brust nicht das mindeste erwidern konnte und wollte. Er reichte ihr die Hand und sagte, an die Waffe schlagend: »Dem Unrecht Trutz, dem Rechte Schutz!«

      Sie wurden in dieser Unterredung durch Ännelis Eintritt gestört, welches ihnen ankündete, daß Addrich mit Ungeduld vor der Hausthür warte. Änneli selbst deutete durch ihr festtägliches Kleid schweigend an, daß sie der Gesellschaft folgen werde, um Epiphania wieder ins Moos zurück zu begleiten. Man ging hinab und schlug den Weg niederwärts durchs Thal ein. Addrich schritt mit weiten Schritten stumm voran. Hand in Hand, in ununterbrochenem Gespräch, folgten ihm Fabian und Epiphania durch Gebüsche und Wiesen. Änneli blieb bescheiden eine Strecke zurück und vertrieb sich die Langeweile mit Sammeln bunter Feldblumen, die sie am Wege pflückte und in kleine Sträuße band.

      Nur zu schnell für die Plaudernden war man am Fuße des Steinbergs von Kulm angekommen. Bei den ersten Häusern stand Addrich, die Nachkommenden erwartend, still. Epiphania hatte Halme gepflückt, die Fabian halten mußte, während sie die Enden derselben zum wahrsagenden Ringe verknüpfen wollte. »Aber, Fabi,« rief sie, während beide stillstanden und sie die prophetische Arbeit begann, »denke indessen an nichts anderes, als an unser baldiges Wiedersehen. Hörst Du? Bilden alle Halme zuletzt einen ganzen Ring, so werden wir bald wieder vereinigt sein; hängt aber im größeren Ringe, wie zwei Kettenglieder, ein kleiner: so sehen wir uns lange, lange nicht. Ach, Fabi, es quält mich ein banges Gefühl, es wird wohl so sein, da Du Addrich bei gefahrvollen Unternehmungen begleiten mußt. Man spricht ja noch immer vom Kriege. Wenn es aber gar zwei getrennte Ringe geben wird . . . dann steht uns Schweres bevor.«

      Sie knüpfte die Halmenden mit ihren kleinen Fingern zusammen; beide schwiegen. Änneli trippelte um beide herum, den Ausgang ängstlich erwartend. Endlich ließ Epiphania das Verknüpfte auseinanderrollen, und es entwickelte sich ein großer Halmenring. »Ach!« schrie Änneli laut. Es war ein kleinerer, einzelner zur Erde gefallen . . . . »Was?« stammelte Epiphania erschrocken. »Trennung für immer? Du wirst nicht wieder heimkehren zu mir? . . . O Fabi, was bedeutet es? Soll ich Dich nicht wiedersehen?«

      Wenngleich das Niederfallen des kleinen Halmenringes dem Jünglinge einen unangenehmen Eindruck verursacht hatte, wollte er doch alles kindischen Aberglauben nennen. Er lachte und spottete; sie aber schüttelte mit trüben Augen, ohne ein Wort zu erwidern, den Kopf und seufzte endlich: »Du wirst's erfahren, Fabi! Es wartet unserer beider großes Unglück. Fabi, gehe nicht mit Addrich. Fabi, gehe nicht! Er zieht Dich ins Verderben hinab.«

      In diesem Augenblicke erklangen vom Dorfturme die Glocken zum Beginn des freitägigen Gottesdienstes. Addrich, schon weit voraus, kehrte hastig zu den Zögernden zurück und ermahnte zur Eile. Während sie den Weg fortsetzten, schalt Addrich, als er vom Halmen-Orakel vernahm, die Thorheit seiner Nichte. »Possen!« rief der Alte unwillig. »Sollen verständige Männer ihren Rat vom blinden Finger eines Mädchens entnehmen? Kommt ins Dorf!«

      Als sie unter dem lauthallenden Geläute in die Nähe der Kirche gekommen waren, wendete sich Addrich mit einem eigentümlichen, boshaften Lächeln zu ihnen und sagte: »Dieweil wir doch, wie Faneli meint, einen gefährlichen Gang machen, so laßt uns ein Vaterunser lang in die Kirche treten!«

      »Spotte nicht, Addrich, spotte nicht,« sagte die Jungfrau ernst und mit dem Zeigefinger warnend. »Du machst das Wirtshaus zu Deinem Gotteshause; laß Gottes Haus einmal Dein Wirtshaus sein. Ja, kommet, kommet hinein! Lasset uns, ehe wir scheiden, zusammen beten! Uns ist Gottes Segen vonnöten.«

      »Ja, Dir und Fabian,« erwiderte Addrich. »Der Pfarrer ist bereit, Eure Trauung zu vollziehen; ich habe es gestern, noch spät abends, mit ihm verabredet. Zu anderer Zeit hätte er mir die Thür gewiesen wie ein Landvogt; jetzt ist er geschmeidig wie ein Ohrwurm. Tretet hinein!«

      Epiphania erblaßte. Sie wollte reden, doch die Worte erstarben auf ihren Lippen. Fabian betrachtete verlegen bald den Alten, der ein Kränzchen von künstlichen Myrten aus einer kleinen Truhe hervorzog und es dem bestürzten Änneli mit dem Bcfehle reichte, dasselbe auf Epiphanias Haupt zu heften.

      »Nein!« rief Epiphania. »Welches Spiel treibst Du mit uns?«

      Addrich suchte sie mit Ernst und Güte zu beruhigen. »Willst Du Fabian verschmähen, den Du lieb hast und den ich Dir für immer gebe, weil es der letzte Willen Leonorens ist? Dieser Kranz – Du kennst ihn wohl – ist der Brautkranz ihrer Mutter. Loreli gab ihn mir gestern mit den Worten: Erst soll er auf Epiphanias Scheitel, dann auf meinem Sarge liegen. Gehorche der sterbenden Schwester. Sie reichte Euch ihre Silberringe nicht unnützer Weise.«

      Epiphania stand bleich, bebend und wortlos da. Der Kranz befand sich schon auf ihrem Haupte. Sie warf einen klagenden Blick zum Himmel und faltete die Hände stumm zusammen.

      »Du hast uns in Deiner Art überraschen wollen, Addrich,« sagte der Jüngling, »aber Du hast uns betäubt. Nein, Faneli, zittere nicht. Nimm den Kranz aus den Haaren und gehe frei ins Moos zurück. Ich will Dich von Dir allein, nicht durch den Willen eines Lebenden oder Sterbenden, nicht durch List oder Gewalt. Gehe frei zurück! Addrichs roher Streich gegen unsere Herzen hat mich erschüttert, wie Dich. Aber in meinem Schrecken erwachte eine Freude, in Deinem nur Verzweiflung. Ich entbinde Dich von dem Gelübde, das Du mir auf der Bampf gegeben. Sei jedes andern Weib, wenn Du schaudern