Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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als wollte sie sagen: »Wie kannst Du also reden, Fabi?«

      »Kehre heim, Faneli!« fuhr er fort. »Du bist frei. Ohne Deinen Frieden habe ich keine Seligkeit. Ich werde Dich niemals anklagen. Du wurdest durch Addrichs Einfall auf grausame Weise überstürmt. Wir kennen den Oheim. Er scherzt mit dem Heiligsten in roher Weise und sieht dort nur Mauer und Turm, wo wir die Kirche und Ewigkeit vor uns sehen. Du kannst mir Deine Hand nicht geben; Dein Zittern und Erblassen haben Dich losgesprochen.«

      Er sagte dies mit bebendem Tone und bei erbleichendem Antlitz. Epiphania warf einen stummen Blick voll Schmerz auf ihn, ergriff aber seine Hand und ging langsam, das Haupt auf die Brust gesenkt, die Augen zur Erde gerichtet, zwischen frischen Gräbern hin, mit ihm voran zum Kirchhofe und dann in die kleine, schmucklose Kirche.

      »Epiphania!« sagte Fabian leise, indem er unter der Kirchenpforte stehen blieb und seine Führerin mit einem zweifelhaften Blick voll Bangigkeit und Freude ansah.

      »Fabi,« sagte sie gefaßt, »tritt mit mir vor Gottes Angesicht!«

      Sie schritten durch den mittleren Gang, zwischen den schmucklosen, grob aus Holz gezimmerten, vom Alter und Gebrauch glänzend gebräunten Bänken hindurch, zum Taufstein. Addrich und Änneli folgten; jener trat mit Fabian zur Rechten, diese mit Epiphania zur Linken. In den Sitzen der Kirche hatte die Andacht nur wenige alte Leute versammelt, die jetzt Zeugen einer unerwarteten Feierlichkeit wurden. Der Pfarrer erschien; die Glocken verstummten. Die Trauungsgebete begannen, die Ringe und das Jawort wurden gewechselt. Man ging zu den Sitzen der Zuhörer zurück, um noch das Gebet des Geistlichen auf der Kanzel anzuhören, mit dem die heilige Handlung geschlossen wurde. Epiphania, auf den Knieen, in sich selbst zusammengesunken, verloren in der Inbrunst des Redens zu Gott, vernahm weder das heilige Wort, noch das Schweigen des Mannes auf der Kanzel. Das Geräusch derer, welche die Kirche verließen, störte sie nicht. Lange harrten ihre Begleiter schweigend oder flüsternd neben dem Geistlichen, der sich zu ihnen begeben hatte. Endlich erhob sie sich und trat zu den Wartenden mit einer Miene, welche verriet, daß sich ihr Geist noch nicht ganz in die Gegenwart zurückgefunden habe.

      38.

       Trennung.

       Inhaltsverzeichnis

      Nachdem die Neuvermählten noch die Glückwünsche des frommen Geistlichen empfangen hatten, gingen sie schweigend nebeneinander durch's Dorf und den Fußweg, den sie gekommen waren, über die Wiesen rechts zum Steinberg zurück. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Addrich schritt finster voran; minder mit der Gegenwart, als mit der Zukunft rechnend, murmelte er zuweilen einzelne, unverständliche Worte vor sich hin. Fabian blickte von Zeit zu Zeit still beobachtend auf Epiphania. Was seit einer Viertelstunde vor dem Taufstein der Dorfkirche verhandelt worden war, hatte seinen Gemütszustand unverändert gelassen und schien an den alten Verhältnissen zu der Jugendgespielin nichts geändert zu haben. Der Abend auf der Bampf war für ihn mit weit höherer Feierlichkeit geschmückt gewesen; die kirchliche Trauung hatte für ihn nur die Gestalt einer trockenen Förmlichkeit oder einer bürgerlichen Anerkennung dessen gehabt, was schon von selbst zwischen beiden Herzen abgeschlossen war.

      Ganz anders aber stand das Geschehene vor Epiphanias Seele. Zu ihr hatte nicht der Pfarrer, sondern der ewige Gott gesprochen, für die Ewigkeit; das Jawort war kein öffentliches Geständnis, sondern ein furchtbarer Eid gewesen, den sie vor dem Throne des Allerhöchsten abgelegt; das Wechseln der Ringe, das Auswechseln der Seelen, das Ende des Sichselbstgehörens. Sie hatte Fabian geliebt. Die Liebe war geblieben, aber, vom Irdischen ins Überirdische gehoben, nun Gottessache geworden. Sie selbst begriff nicht, woher sie die Kraft empfangen, die Majestät und Gewalt eines Augenblickes zu ertragen, der, ihr ganzes Schicksal wendend, erhabener als ihr gesamtes Leben dastand. Sie mußte die Einzelheiten der ganzen Begebenheit in ihrem Gedächtnis wiederholen, um an deren Wirklichkeit zu glauben.

      Während dessen trippelte Änneli dem jungen Ehepaare, mit sehr weltlichen Gedanken beschäftigt, nach. Diese Vermählung, so Knall und Fall, ohne alle Vorbereitung, ohne Nachgeschmack, ohne Kranz und Tanz, diese Hochzeit ohne Hochzeit, diese Brautleute in Haus- und Reisekleidern . . . dies alles hatte anfangs nur ihre Verwunderung, nachher ihre völlige Mißbilligung, zuletzt die Überzeugung hervorgerufen, es sei dieses eine Winkelheirat und vor Gott und Menschen ohne Gültigkeit.

      Als man zur Spitze des Waldes am Fuße des Steinberges gekommen war, wo der schmale Fußpfad in den Matten sich mit dem Fahrwege nach Dürrenäsch vereinigt, hielt Addrich still und mahnte zur Trennung. »Ich hoffe,« sagte er, »Ihr werdet mit mir zufrieden sein. Alles ist abgethan nach Wunsch; kurz und gut!«

      Fabian entgegnete: »Ich weiß nicht, ob gut, aber kurz gewiß. Gethan ist's, wie es der Platzregen auf durstigem Felde bewirkt, der, was nicht verdorrt ist, zu Boden schlägt. Dich verfolgt ein eigenes Geschick. Selbst das Almosen, welches Du giebst, überschimmelt zwischen Deinen Fingern sogleich mit Gift, und die Freude, die Du bringst, kommt mit keinem Lächeln, sondern mit Entsetzen und Schrecken daher, wie das Unglück.«

      »Mag sein, Bursche,« sagte der Alte finster, »doch das wünschte ich wenigstens: Du verständest, mir besser zu danken.«

      »Zürne nicht!« rief der Jüngling gerührt und reuig, indem er die Hand des Alten ergriff und an seine Brust drückte. »Ich danke Dir dennoch. Du hast mich zu Deinem Neffen gemacht, ich aber will Dich zu meinem Vater machen. Ich werde Dir folgen, wohin Du winkest. Lebe wohl, Faneli! Gedenke seiner und meiner in Liebe und Gebet. Ich gehe mit dem Oheim!«

      Epiphania, als hätte sie sich aus den Ereignissen dieser Stunde noch nicht ganz wiedergefunden, betrachtete den Oheim und den ihr vermählten Jüngling mit träumerischem Nachdenken und sagte: »Was treibet Ihr beide mit mir? Wohin wollt Ihr ohne mich? Was beginnet Ihr?«

      Addrich erwiderte sanft: »Wir wandern nach Hutwyl. Gehe heim, Kind, bewache das Haus und pflege Deine kranke Schwester, wie Du mir's angelobt hast.«

      »Was denn? Wie redest Du, Addrich?« rief Epiphania. »Bin ich nicht das Weib dieses Jünglings, dessen Schwester ich noch am Morgen war? Wie willst Du scheiden, was Gott verbunden hat? Ich habe vor dem Himmel einen Schwur gethan, der alle Eide löst, und ein Gelübde, neben dem kein anderes mehr gilt. Und hätte ich Vater und Mutter auf Erden, ich müßte Vater und Mutter verlassen, dieses Mannes wegen.«

      Der Alte schüttelte heftig den Kopf und sagte: »Schweige, Thörin, und halte uns nicht auf mit Deinen Grillen. Wir gehen einen Gang, den kein Weib gehen darf.«

      »Das sei Gott geklagt!« schrie Epiphania mit schmerzvoll zum Himmel gerichtetem Blick und auf die Brust gedrückten Händen. »Ich kenne Deinen Gang, es ist der Gang in den Abgrund. Du schleppst den Schuldlosen mit Dir hinunter und führst ihn aus der Hölle nicht wieder zurück. Ich bin einem Toten vermählt worden, keinem lebendigen Manne; Braut, Eheweib und Witwe bin ich in der nämlichen Unglücksstunde geworden. Du hast ihn und mich betrogen, Addrich; wie wirst Du Dein frevelhaftes Spiel vor dem Angesicht dessen verantworten, vor dem Du mich in dieser Stunde ihm geweiht hast?«

      Fabian schloß die Hand der Wehklagenden mitleidig in die seinigen und suchte sie durch einige Trostworte zu beruhigen. Addrich schien die Geduld zu verlieren, er lief einige Schritte voran und wieder zurück und sagte ärgerlich: »Mit weichherzigen Weibern und hartmäuligen Pferden bringt's keiner zum Ziel. Fort, Fabian, stecke Dir Wolle in die Ohren! Sie wird sich trösten, wenn wir hundert Schritte von ihr sind. Ich kenne die Weiber; sie lachen die nämlichen Thränen, die sie weinen, und drehen, wie den Rücken, ihren Sinn.«

      Unwillig erwiderte Fabian: »Du bist ein feiner Maler, Addrich; wenn Dir die Engel nicht geraten, machst Du Teufel daraus . . . Faneli, fasse Dich; wir kehren bald zurück. Ich beschwöre Dich, brich mir, durch Deinen Jammerblick, nicht das Herz. Nur noch ein einziges Lächeln gieb mir zum Abschiede!«

      »Wie soll ich neben Deiner Leiche lächeln, Fabian?« seufzte sie. »Du kehrst nicht wieder, glaube mir, nimmer kehrst Du wieder. Denkst Du nicht mehr an die verhängnisvollen Kränze, die auseinander fielen, ehe wir zur Trauung gingen? O Loreli's weissagender Gesang!«

      »Kindereien!«