Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Thälern.

      Der Weg ging über den Berg nach Sursee hinab und ohne Rast, bis in die Nacht, am kleinen schilfigen Mauensee entlang, von Thal zu Thal über die Berge, bis zum Städtchen Willisau. Von Zeit zu Zeit schickte Addrich bald diesen, bald jenen seiner Begleiter mit geheimen Aufträgen nach verschiedenen Richtungen; aber mehr noch, als er absandte, stießen von verschiedenen Seiten unterwegs wieder zu ihm. »Gelobt sei Jesus Christ!« und »Grüß Euch Gott, Ihr Männer!« schollen die Grüße katholisch und reformiert durch einander. Der laute Handschlag erfolgte darauf von Mann zu Mann, und die Losung aller wurde Hutwyl und die Bundesversammlung. Addrich und Fabian fanden im engen Städtchen Willisau kaum Nachtlager und Herberge; so groß war das Gedränge der Leute, die aus allen Gegenden zum ausgeschriebenen Landtage herbeiströmten.

      Des folgenden Morgens war Addrich beim ersten Hahnenschrei schon wach und rüttelte Fabian aus dem Schlafe. Den Alten hatte die Herankunft des verhängnisvollen Tages, die Nähe entscheidender Ereignisse um einige Jahrzehnte verjüngt; der Jüngling dagegen war durch die Erfahrungen, die in den letzten Tagen sein Gemüt erschüttert, um einige Jahrzehnte ernster geworden.

      So schritten sie, in entgegengesetzten Gemütsstimmungen, durch die nächtlich ruhigen Gassen der Stadt zu dem getürmten Thor hinaus. Sie traten in einen Kranz von Bergen und Hügeln, deren Fuß die Wellen der eilenden Wigger benetzten. Nach einigen Stunden endlich traten die Wanderer aus dem Walde in eine weite sonnige Ebene, in die Almend des Städtchens Hutwyl, welches im Hintergrunde wie ein grauer, verwitterter Schutthaufen emporstieg; links und rechts erhob sich das Thal, welches vielleicht in der Urzeit das Bette eines kleinen Landsees gewesen war, zu anmutigen Hügeln. Einzelne Schwärme von Bauern standen zerstreut in den Wiesen umher; andere kamen aus Hutwyl herbei, noch andere zogen erst aus verschiedenen Richtungen dahin. Wenn man aber aus der Tiefe, wo sich der wilde Langetenbach in die Sandfelsen eingegraben hat, zu den engen Gassen und hölzernen Häusern des kleinen Städtchens hinanstieg, fehlte es der Menschenmenge fast an Raum, sich zu bewegen.

      Addrich wurde von einem Bekannten, dem er zufällig begegnete, in ein Gebäude, welches sich als Gemeindehaus nur durch seine Größe von den übrigen unterschied, geführt. Vor dem Hause hielten sechs Hellebardirer Wache. Nach besonderer Meldung, auf welche ein wohlgekleideter Landmann aus dem Hause erschien, wurde erst der Eintritt für Addrich gestattet, Fabian jedoch zurückgewiesen.

      In einem langen, niedrigen Saale, in dessen Mitte ein hölzerner Pfeiler die Decke unterstützte, sah Addrich mehrere bekannte und fremde Gesichter um einen wohlgekleideten Herrn versammelt, der in gebrochenem Deutsch zu ihnen sprach. Addrichs Ankunft unterbrach das Gespräch einige Augenblicke, denn Klaus Leuenberg, Adam Zeltner, der Untervogt, der greise Ulli Galli, auch Christen Schybi von Escholzmatt und sein Gefährte Stürmli aus dem Entlebuch traten dem Kommenden mit Gruß und Handschlag entgegen und deuteten mit einer wichtigen Miene an, daß man eben mit dem Geheimschreiber des französischen Botschafters, Herrn de la Barde, Marquis de Marolles, in Verhandlung begriffen sei.

      Sobald die Ruhe hergestellt war, nahm der Franzose, der sich indessen die breite, mit den feinsten Spitzen umsäumte Halskrause über die Achseln gezogen hatte, den Faden der Rede wieder auf und sagte: »Meine Herren, ich habe Eure Entschließung vernommen. Sie scheint mir sehr redlich, aber mit Eurer Erlaubnis, nicht politisch zu sein. Ihr begreift leicht, daß bei allem Wohlwollen des Herrn Gesandten für Euch er in seiner amtlichen Note der Tagsatzung der dreizehn Orte ein Dementi geben konnte. Ihr werdet nicht zweifeln, ich kenne den Inhalt des Schreibens, welches ich überbringe. Der Herr Marquis rät darin, wie ersichtlich ist, von aller Gewaltthätigkeit und Widersetzlichkeit ab und ermahnt, wie es seine Stellung erheischt, zu einem billigen Vergleich mit Euren Herren und Oberen. Wollet Ihr nun den Brief vor den tausend Leuten bekannt machen, die ich hier im Städtchen zusammenlaufen sehe, so wird die Vorlesung den übelsten Eindruck machen. Man wird am guten Willen des Herrn de la Barde zweifeln und Ihr macht Euch, wie ihm, den Weg zur Dazwischenkunft und Vermittlung Seiner Majestät des Königs, meines Herrn, unmöglich.«

      Leuenberg erwiderte nach einer höflichen, doch leichten Verbeugung: »Die großmütigen Absichten und Gesinnungen des Herrn Gesandten, wie Ihr sie uns eröffnet, sind der höchsten Ehren wert. Jedoch sind wir für diesen Augenblick nur die Sprecher des Volkes, nicht dessen Häupter. Wir dürfen und sollen vor demselben keinerlei Geheimnis haben, können ohne dessen Willen nichts verrichten, noch ohne dessen Vollmacht etwas verfügen.«

      »Dessenungeachtet, meine Herren,« fiel ihm der Gesandtschaftsschreiber in die Rede, »seid Ihr hier zu Lande wunderliche Leute. Seid Ihr die Sprecher, so seid Ihr die Häupter, denn in aller Welt ist der Mund immer am Kopfe. Kurz meine Herren, denkt über die Sache nach. Es ist Eure Angelegenheit und nicht die des Gesandten.«

      Hier nahm Schybi das Wort und sagte: »Es ist auch nicht unsere, sondern des Volkes Sache, darum muß die Gemeinde entscheiden. Im Übrigen aber scheint der Herr Gesandte doch, wenn ich Euch ganz verstanden habe, einzugestehen, daß das Recht auf unserer Seite sei?«

      »Und gesetzt nun, es wäre?« entgegnete der Gesandtschaftsschreiber etwas verdrießlich. »Das ist alles schon besprochen. Ihr wiederholt beständig das alte Lied und die Beratung nimmt kein Ende. Wenn das Recht immerdar siegte, wären keine Armeen, keine Flotten, keine Festungen auf Erden nötig.«

      »Ihr wollt sagen,« fiel Leuenberg ein, »das Recht muß Speer und Schild führen und an seiner Seite die Stärke sehen. Wohlan, zweifelt nicht, der Arm unseres Volkes ist gewaltig genug, sein Recht zu behaupten.«

      »Nur immer langsam!« rief der Unterhändler. »Wenn Recht und Stärke alles wären, würde kein Stier mehr zur Schlachtbank geführt werden. Der Stier hat auch ein heiliges Recht zum Leben und größere Stärke als der Mensch. Klugheit aber wirft ihm das Seil um die Hörner. Versteht Ihr mich?«

      Der Untervogt von Buchsiten erhob nun seine Stimme und sagte: »Ihr Herren, der Fall ist einfach und klar. Wir müssen uns den Rücken sichern, es lauf ab, wie es wolle. An der Gerechtigkeit unserer Beschwerden zweifelt der Herr Gesandte nicht; aber, als königlichem Botschafter bei der Eidgenossenschaft, steht es ihm nicht zu, dieses offiziell zu erklären. Dürfen wir auf seine und seines Königs mächtige Verwendung für uns rechnen, ich frage Euch, warum sollen wir sie mutwillig oder stolz zurückstoßen? Warum nicht morgen vor dem versammelten Volke darauf antragen, daß man Ausschüsse nach Solothurn zum Herrn de la Barde schicke, seine Dazwischenkunft zu erbitten? Meinst Du nicht, Mooser?«

      Bisher hatte Addrich den französischen Gesandtschaftsschreiber mit unverwandten Blicken beobachtet, welcher in seiner glänzenden, zierlichen Hofkleidung gegen die Schweizerbauern ebenso sehr als von ihrem ehrbarsteifen Wesen durch seine Beweglichkeit abstach. Bald schnellte er mit den Fingern ein Stäubchen vom knappen, schwarzseidenen Wamms, auf dessen glänzendem Grunde man große Blumen, Ranken und verschiedene Gestalten eingewebt sah; bald fuhr er mit der Hand spielend über die dichte Reihe der kleinen, goldenen Knöpfe seines Gewandes; bald drehte er an den Brillantringen der Finger, bald am silbernen Degengriff von durchbrochener und getriebener Arbeit; bald schlug er die über die Finger gefallenen köstlichen Spitzen seiner Handkrausen über den Unterteil des Ärmels zurück. Ebenso beweglich war sein lauernder Fuchsblick und das Geberdenspiel seines falben, zusammengeschrumpften Gesichtes, über welches so viele Leidenschaften in einer Reihe von Jahren ihren Weg genommen zu haben schienen, daß man in den zurückgelassenen Fußtapfen derselben keine einzige mehr mit Bestimmtheit unterschied.

      »Fragst Du mich?« sagte Addrich zu Adam Zeltner gewandt. »Dir ist schon um den Kopf bange, daß Du ihn in Sicherheit bringen und unter den Mantel des Gesandten verstecken willst. Wer im häuslichen Streite einen Fremden zum Vermittler anruft, macht den Fremden zum Herrn im Hause und verkündet seine Furcht und Schwäche. Die alten Eidgenossen, wenn es der Freiheit galt, hatten bei Morgarten und Sempach keine Vermittler, als ihren Gott und ihr Schwert. Thor, meinest Du, daß wenn Völker mit ihren Obrigkeiten rechten, die Könige ihres Handwerks vergessen und den eigenen Unterthanen und Sklaven mit den Laternen voranleuchten werden, wo sie die Freiheit suchen sollen? Oder glaubst Du, der König und sein Botschafter hätten nicht schon den Herren zu Bern und Luzern, Solothurn und Basel ebenso höflich, als uns, die Hand zur Vermittlung angeboten? Fürwahr, niemand verkauft schlechte Waare teurer, als ein Fürst. Der König von Frankreich will zwischen Herren und Bauern vermitteln,