Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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dieser Vorbereitung wurden die Satzungen des Sumiswaldener Landesbund's dem versammelten Volke vorgelesen. Es herrschte die tiefste Stille. Die Urkunde begann unter Anrufung der heiligen Dreieinigkeit, und gab dann zu erkennen: Es solle der alte Bund der ersten Eidgenossen verjüngt werden, zur Entfernung aller Ungerechtigkeit, also daß zwar den Herren und Obrigkeiten, aber auch den Bauern und Unterthanen verbleiben sollte, was jedem gebühre. Der Bundesleute Recht sei zu schirmen mit Leib, Hab, Gut und Blut, doch ohne Nachteil der Religion. Die Angehörigen jedes eidgenössischen Standes hätten für sich selbst mit ihren Obrigkeiten zu verhandeln; entstände aber Streit mit diesen, sollten die Untertanen sich nicht durch Eigenmacht ihr Recht verschaffen, sondern der Volksbund müsse entscheiden. Würden die Obrigkeiten hingegen fremdes oder einheimisches Kriegsvolk zur Unterdrückung des Bundes herbeiführen, so solle man einander mit aller Macht tröstlich gegen die Unterjocher beispringen; desgleichen auch, sobald nur ein einzelner Angehöriger des Bundes, und zwar des Bundes wegen, an Leib, Gut und Leben beschädigt werden würde. Kein Teil der Bundesgenossen könne sich, ohne Einstimmung aller, mit seiner Regierung aussöhnen und Frieden schließen. Würde aber ein Bundesgenoß vermessen genug sein, wider den Bundesschwur zu reden oder zu handeln, so solle man den Frevler als meineidigen, ehrlosen Verräter abstrafen. Alle zehn Jahre solle der Bund durch einen Schwur erneuert werden.

      Darauf wurden in einem langen Verzeichnis diejenigen Ämter und Herrschaften der verschiedenen Kantone namhaft gemacht, welche dem festen Bunde schon beigetreten waren.

      Während dessen lächelte Addrich, der hinter des Obmanns Stuhle stand, etwas tückisch vor sich hin. Er hatte, wie schon bei der Beratung im Moos, auch bei der Beratung in Sumiswald gegen die abenteuerliche Gestaltung des Bundes, welche vorzüglich aus Leuenbergs Gehirn hervorgegangen war, gearbeitet. Er hatte mit scharfem und richtigem Blicke die Unhaltbarkeit eines Vertrages durchschaut, der die Unterthanen zu Aufsehern und Richten ihrer Obrigkeit erheben wollte, beide Teile in ewigen Widerspruch und Krieg stürzte, und notwendig entweder mit der Unterwerfung des Volks und der Auflösung des Bundes oder mit dem Umsturz und der Verbannung der Regierungen enden mußte. Doch was er nicht hatte hindern können, ließ er, voll Spott über die Kurzsichtigkeit der Volksführer, geschehen, überzeugt, nichts werde bleiben von allem, was beschlossen sei, sondern früh oder spät auf dem Schlachtfelde mit dem Schwerte das Wahre zwischen Stadt und Land bestimmt werden. Erst dann werde der Sieger so weit schreiten, wie seine Gewalt es gestatte. Darauf gefaßt, war sein ganzes Trachten nur die allgemeine Bewaffnung und kriegerische Besetzung der vornehmsten Pässe gegen Bern und Zürich. Die große Feierlichkeit auf der Almend von Hutwyl blieb in seinen Augen ein, wenn auch nicht überflüssiges, doch lächerliches Kinderspiel.

      Indessen war er bald selbst, wider seinen Willen, von der Größe des Schauspiels ergriffen, als der Obmann des festen Bundes das versammelte Volk zur Leistung des Schwures aufforderte, und als die Tausende unter freiem Himmel mit entblößten Häuptern zur Erde niederknieten und die Hände zum Eide emporstreckten. Der Geheimschreiber des Bundes las mit lauter Stimme die Formel: »Allen diesen Worten, wie die Schrift ausweiset, will ich nachgehen und dieselben vollbringen und halten in guten Treuen. Wenn ich das halte, daß mir Gott wolle gnädig sein an meinem End. Wenn ich aber das nicht halte, daß mir Gott nicht wolle gnädig sein. So wahr mir Gott helfe. Alle Gefährde vermieden! Gott gebe Gnade und behüte uns vor Falsch und Untreu!« Satzweise las der Schreiber die Worte vor und satzweise sauseten sie dumpf vom Munde der Landesgemeinde zurück, wie das Rollen fernen Donners. Die religiöse Handlung erschütterte die Gemüter. Leuenberg sah mit nassen Augen auf den Kreis der knieenden Menge nieder und sprach: »Im Grütli haben einst drei Männer geschworen; heute schwören dreitausend. Es gilt die Freiheit und Gerechtigkeit. Bundesgenossen, es gilt das Heil unserer Kinder. Blut und Leben soll geringe werden für das edle Kleinod, welches wir den Nachkommenden erwerben wollen!«

      Er war zu bewegt, um mehr zu sagen oder, beim Zittern seiner Stimme, von vielen verstanden werden zu können. Dennoch jauchzte das Volk laut auf, welches, sobald er sein Haupt bedeckte, sich wieder von der Erde erhob.

      Eine geraume Zeit mußte vergehen, bis die Wellen dieses aufgeregten Menschenmeeres ruhiger, das Tosen der Stimmen leiser wurde, bis die bald auseinander fließenden, bald sich zusammendrängenden Haufen zum Stillstand gelangten und die Tagesgeschäfte fortgesetzt werden konnten.

      Dann wurde die Zuschrift des französischen Botschafters de la Barde vorgelesen, welcher zur Eintracht und Versöhnung mit den Regierungen ermahnte; an das Verderben erinnerte, welches durch innerliche Unruhen und Bürgerkriege über das königliche Frankreich gekommen sei; vor Österreich, dem Erbfeinde der Eidgenossenschaft, warnte, weil Erzherzog Leopold wirklich schon in der Nähe der Schweizergrenzen befindlich wäre, um die allgemeine Verwirrung durch seine Ausgesandten zu vermehren, und einen Vorwand zu bekommen, ein Kriegsheer in das Innere des Landes führen zu können. Dieses Schreiben endete mit dem dringenden Wunsch und Rat des allerchristlichsten Königs, man solle den Obrigkeiten zu billigem Vergleich die Hand bieten.

      Den schriftlichen Ermahnungen fügte der Schreiber der französischen Gesandtschaft noch einiges mündlich hinzu. Obgleich er seinen Vortrag, um ihm mehr Wirksamkeit zu verschaffen, im Geschmack damaliger Zeit mit den besten Blumen geistlicher Beredsamkeit verzierte, verfehlte er nichts desto weniger das Ziel. Nachdem über den Antrag der französischen Gesandtschaft einzelne Volksredner ihre Stimme erhoben und immer auf den eben beschworenen Bund hingewiesen hatten, erklärte die Landgemeinde durch Handmehr ihren Willen. Der Obmann des Bundes sprach denselben ungefähr in folgenden Worten gegen den Boten des königlichen Ministers aus: »Wir sind keine Rebellen, denn wir wollen unsern Herren und Obern unterthänig bleiben und denselben gehorchen, wie unsere Vorfahren es gethan haben. Doch widerstreben wir billig ungerechter Eigenmacht und Willkür, und verlangen, daß man uns bei alten Freiheiten und Herkommen lasse, gleichwie wir Freiheiten, Rechte und Herkommen der Städte ehren. Nichts anderes will der von uns vor Gott geschworene Bundeseid, den Ihr vernommen habet. Wir mußten zusammentreten, weil wir keine Bürgschaft für unser Recht gegen die Städte finden, als in unserer Eintracht. Doch zweifeln wir keineswegs, daß zwischen uns und den Obrigkeiten ein billiger Vergleich zu Stande kommen werde. Also bitten wir den französischen Herrn Gesandten, er wolle durch Schrift und Mund mithelfen, und die Völkerschaften des Schweizerlandes und deren Schritte bei der königlichen Majestät zu Frankreich und bei den Herren seines Hofes rechtfertigen, sintemal uns nicht unbewußt ist, daß man unser Beginnen in aller Welt fälschlich verschreit und mit Unwahrheit verlästert.«

      Diese Antwort, welche in solchen Verhältnissen selbst gewandten Staatsmännern zur Ehre gereicht haben würde, empfing der Bote des Gesandten auch schriftlich zur Erwiderung von de la Barde's Sendschreiben. Dann wurde das Patent der eidgenössischen Tagherren zu Baden vorgetragen, welches der Untervogt von Baden überbracht hatte. Die Antwort darauf war eine Abschrift des beschworenen Bundesbriefes, mit den lakonischen Worten: »Dabei wollen wir bleiben.« Auch ließ man noch für das Volk der Kantone Bern, Luzern, Solothurn und Basel den Bundesbrief in vier gleichlautenden Urkunden ausfertigen und mit dem Landessiegel vom Entlebuch bekräftigen.

      So endete die Versammlung, nachdem sie von morgens fünf Uhr bis abends fünf Uhr gedauert hatte.

      41.

       Der Gang des Aufruhrs.

       Inhaltsverzeichnis

      »Nun haben wir ihnen den Knoten stark genug geknüpft,« sagte Addrich triumphierend zu Fabian, als er mit diesem, den er den ganzen Tag nicht gesehen, des Nachts in der engen Schlafkammer zusammentraf.

      »Ich sah das Gegenteil,« erwiderte Fabian. »Ihr habt den morschen Knoten zerrissen; alles fällt auseinander und Ihr insgesamt werdet's nicht wieder binden können.«

      »Nicht wahr, Fabian,« sagte Addrich lächelnd, »Du denkst an Deine Haut, und weit davon, ist gut für den Schuß? Fürchte nichts, das Spiel ist unverlierbar, weit wir nicht rückwärts können. Jeder weiß, es geht an Kopf und Kragen; also muß es durchgehauen sein. Der Stärkste aber wird Meister; und der Stärkste ist der Verzweiflungsvolle, dem gesagt wird: Vogel friß oder stirb. Ich gebe für des Leuenbergs Verstand keinen Angster; er weiß zur Stunde nicht, wohin er rennt