Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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der Landleute in ihre Heimat, nach Auslieferung des Bundesbriefes und nach geschehener neuen Huldigung, welche die Unterthanen zu leisten hätten, entrichtet werden.

      Leuenberg willigte plötzlich in alles, ohne es damit ernstlich zu meinen, und nur um von dieser Seite frei und sicher zu werden, denn er hatte die Nachricht bekommen, Secklermeister Konrad Wertmüller von Zürich rücke mit mehr denn 6000 Mann zu Fuß und Pferde und zahlreichem Geschütze gegen den Heitersberg und die Reuß heran; von der andern Seite, von Luzern her, komme der Urner Feldherr Zweyer mit 5000 Mann gegen das Amt Lenzburg gezogen. Wertmüller hatte außer den Zürichern auch Schaffhausener, Thurgauer und Appenzeller unter seinen Fahnen. Die Tage der Entscheidung traten herein. Leuenberg, sobald er Bern zufrieden gestellt zu haben glaubte, ließ den Ruf zum allgemeinen kriegerischen Aufbruch durch alle Thäler und Gebirge ergehen und alles die Richtung nach dem Aargau und gegen die Reuß nehmen. Er selbst eilte mit schlagendem Herzen dahin, sich Glück wünschend, einstweilen in seinem Rücken wenigstens Bern unschädlich gemacht zu haben.

      Dem Obmann war bei allen den bösen Nachrichten, welche ihm unterwegs über die Rüstungen der Eidgenossen zugetragen wurden, Stolz und Mut bedeutend gesunken. Wenn seine Eitelkeit ihm auch nicht erlaubte, öffentlich seine Verlegenheit zu zeigen, so konnte er doch selbst nicht leugnen, daß er dem ins Ungeheure hinausgewachsenen Unternehmen auf keine Art gewachsen sei. Die Menge der Fragen, welche er den Kommenden und Gehenden stündlich zu beantworten, die Menge der Befehle und Weisungen, welche er nach allen Seiten hin zu erteilen hatte, brachte ihn in solche Verwirrung, daß sein Geist im Chaos von tausend Dingen unterging und die Übersicht des Ganzen verlor. Ebenso deutlich verspürte er den Mangel des Feldherrntalentes in sich, wie Geistesgegenwart, treffenden Blick, Würdigung des Augenblickes und Festigkeit des Willens. Und doch trieb ihn die Macht der Verhältnisse, das blinde Vertrauen des Volks und der Ruf, der ihm voranging, die Rolle des Feldobersten unter seinen Bundesgenossen zu übernehmen.

      Erst da, als er, in der Nähe des aargauischen Schlosses Wildegg vorübergekommen, mit seiner zahlreichen Begleitung in die Ebene eintrat, welche das Lager und der Sammelplatz des aufständischen Heeres war, richtete sich sein schwererschüttertes Selbstvertrauen wieder auf. Er erblickte hier schon an 10 000 Mann zusammengelagert, deren Zahl sich durch frisch anrückende Haufen beständig verstärkte. Alle erschienen dabei wohlbewaffnet, und nach ihren Waffenarten in Schlachthaufen geteilt; meistens unter dem Befehle von Hauptleuten, welche schon als gemeine Soldaten in ausländischen oder einheimischen Kriegen gedient hatten. Auch waren alle gewissermaßen gleichförmig gekleidet, um sich im Gefechte oder schon auf dem Marsche in der Ferne zu erkennen. Ihr Kriegsgewand bestand in einem roten wollenen Hemde, welches jeder über seine Kleider trug. Der rechte Flügel dieses Heeres lehnte sich an das Dorf Magenwyl und an die schroffen Felswände neben demselben; der linke an die waldige Halde des Berges, von welchem die Mauer und der Turm des alten halbverfallenen Schlosses Brunegg durch die benachbarten Landschaften weit umher schaute. Das Ganze unterschied sich in vier Abteilungen, mit ebensovielen fliegenden Fahnen nach den Kantonen Bern, Luzern, Basel und Solothurn, von wo die streitbaren Rotten stammten.

      Alles das hatte Christen Schybi, der vielleicht unter allen Befehlenden der kriegserfahrenste Mann sein mochte, vorbereitet und geordnet. Er hatte für Vorwacht und Nachhut und für reichliche Zufuhr von Lebensmitteln gesorgt, welche die umliegenden Dorfschaften freiwillig, doch gewöhnlich auf Unkosten derer herbeischafften, die im Verdacht standen, Anhänger der Herren zu sein. Halbe Dörfer wurden unter diesem Vorwand ihrer Herden und aufgespeicherten Vorräte gewaltsam beraubt.

      42.

       Im Feldlager.

       Inhaltsverzeichnis

      An demselben Tage, an welchem Leuenberg den Oberbefehl des Bundesheeres übernahm, waren auch Addrich und Fabian im Lager angekommen. Aus dem Haslilande, am Fuße der Schneeberge, hatte sich der Mooser über den Brünig in die wildschönen Thäler oberhalb des Kernwald begeben, hier die Stimmung der freien Unterwaldner behorcht und überall tröstliche Versicherungen von ihnen mitgenommen, dann durch den Kanton Luzern gegen die freien Ämter hinab zum Ufer der Reuß sich gewendet, und überall die waffenfähige Mannschaft zum Aufbruch bereit oder scharenweise schon auf den Landstraßen im Anzuge gefunden. Er sammelte, ordnete und begeisterte durch ein Wort die verworrenen, einzelnen Banden und führte sie, ihrer fast 2000 Mann, in einem langen Zuge durch die sumpfigen Gefilde von Othmarsingen dem allgemeinen Lagerplatze zu.

      Hier begrüßte der wilde Freudenruf der schon gelagerten Tausende die frischen Ankömmlinge. Leuenberg, Schybi, Zeltner und die übrigen Befehlshaber, welche den heranziehenden Haufen entgegengeritten waren, um sie zu mustern und in das Gesamtheer einzureihen, erkannten nicht so bald den Addrich an der Spitze dieser Scharen, als sie ihm entgegensprengten und ihm ein fröhliches Willkommen zujauchzten.

      »Zum Teufel, von welchen Thälern und Bergen hast Du das Volk noch zusammengewischt, Du alter Kriegsbesen?« rief Christian Schybi und schüttelte des Moosers Hand. »Das ist eine wackere Nachhut!«

      »Nachhut?« erwiderte Addrich lachend. »Ich meine, es sei die Vorhut einer neuen Armee, die sich mit uns vereinigen wird, sobald Ihr sie ruft. Die Völker von Obwalden und Nidwalden, sage ich Euch, von Zug, Uri und Schwyz und den Bündnerbergen sind sämtlich schlagfertig. Sie erwarten nur das Zeichen zum Aufbruch.«

      »He, wann, wie, wo sollen wir's geben?« schrie Leuenberg entzückt. »Morgen, heute, diesen Augenblick!«

      »Auf dem Schlachtfelde, auf dem Siegesfelde müßt Ihr's geben, wenn sie es hören sollen,« antwortete Addrich, »Kein Blitz leuchtet schneller und weiter, als nach gewonnener Schlacht der Kanonenblitz des Siegers im Nacken des flüchtigen Feindes. Ich sage Euch, führen wir den ersten großen Schwertstreich glücklich, dann ist alles entschieden; so stürzen die Ratsherrenstühle um; so erhebt sich alles Volk des Schweizerlandes in Berg und Thal für unsere Freiheitssache. Also nicht gezaudert, auch nichts übereilt. Wo steht der Feind?«

      »Auf der Schlierer Almend, an der Züricher Grenze, wie wir von den Kundschaftern genau wissen,« sagte Adam Zeltner. »Dem General Wertmüller ist nicht gar wohl zu Mute; er traut seinen Leuten nicht, die ihre Spieße lieber gegen die Stadt kehren mögen, zumal den Leuten vom See. Er will sich daher noch mit zwei Appenzeller Fähnchen von Außer-Rhoden, die unterwegs sind, verstärken.«

      »Vorwärts!« rief Addrich. »Ihm entgegen! Warum lagern wir wie Tagdiebe hinter der Reuß? Warum nicht zur Limmat und hinüber vor Zürich?«

      »Addrich, lasse die Hand von meinem Plane,« versetzte Schybi. »Ich habe mehr Pulver gerochen als Du. Hier haben wir eine feste Stellung, die Reuß vor uns, Mellingen und Bremgarten besetzt. Erst muß uns Wertmüller den Übergang über die Reuß teuer bezahlen, dann stehen wir vor ihm auf den Höhen, und er steht drunten, mit dem Strome im Rücken. Gehts nach Wunsch, so sprengen wir sie alle ins Wasser und lehren sie schwimmen. Es muß eine Hauptniederlage werden, und wer nicht ins Gras beißt, muß sich zu Tode saufen.«

      »Ihr Herren, davon mehr heute Nacht im Hauptquartier!« sagte der Bundesobmann. »Die tapfere Mannschaft, welche uns der Mooser herbeigeführt hat, wird der Ruhe bedürfen. Herr Kommandant Schybi, weist ihr in der Lagerordnung den Platz an. Herr Untervogt, sorget, als Oberproviantmeister, für ihre Verpflegung, daß den braven Vaterlandsmännern nichts abgehe. Nach vollzogenem Geschäft verfüget Ihr Euch zu mir ins Hauptquartier. Ich gehe mit dem Mooser und seinem Adjutanten – er deutete dabei auf Fabian – voraus. Es ist noch vieles abzumachen.«

      Ohne Widerrede gehorchten alle dem gebieterisch ausgesprochenen Befehle des Kriegsobersten. Der dichte Haufen der Bauern, welcher sich neugierig um die hier versammelten Anführer zusammengedrängt hatte, trennte sich, um den Weggehenden Platz zu machen. Addrich und Fabian empfingen ihre Herberge für diese Nacht in einem einzelnen großen Landhause, wo sich auch das Hauptlager des Obmanns und seiner Unter-Befehlshaber befand. Links und rechts war das Haus durch daneben gelagerte Truppen gedeckt, die ihre Gewehre und Spieße in Bündel zusammengestellt hatten und bei vielen einzelnen Feuern ihr Abendessen bereiteten. Vor dem Eingange des Gebäudes wanderten Schildwachen hin und her.

      Fabian