Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Eidgenossen nach dem andern löste sich von der Heerlinie vor Mellingen, und bewegte sich auf der Straße von Lenzburg vorwärts. Von Zeit zu Zeit drang, von ihren abgeschossenen Flinten herrührend, ein weißgrauer Nebelstreif wolkenartig aus ihren Reihen und der Blitz der Feuerschlünde verkündete den nachfolgenden Donner.

      Addrich schüttelte den Kopf und sprach: »Fabian, es ist Zeit für uns, den Rückweg ins Lager anzutreten. Hier heißt's: wohlgeflohen, wohlgefochten! Den Gideon sollte man in eine Kartaune laden und in die Luft schießen. Wenn er nicht starken Rückhalt hatte, mußte er nicht mit einer Hand voll Menschen die ganze feindliche Kriegsmacht necken wollen, der Großprahler. Wir wollen dem Leuenberg treuen Bericht erstatten.«

      »Höre mich, Addrich!« erwiderte Fabian. »Laß uns den Rückweg ins Moos nehmen und, was uns daheim lieb ist, retten. Der schlimme Anfang deutet auf einen schlimmen Ausgang.«

      »Oho! Das heißt zu früh verzagen!« rief Addrich. »Das Ende liegt nicht im Anfange; sonst gäb's elende Musik, wenn's beim Geigenstimmen bliebe. Wir werden in wenigen Tagen anderes erleben; der Letzte hat noch nicht geschossen. Du mußt den Schybi nicht mit dem Gideon, diesem dummdreisten Beller, in Reihe und Glied stellen, oder diesen Vorposten mit unserer Armee vergleichen. Die Kugel wirft nicht nur einmal, es wird wohl noch Kegel geben.«

      Unter Fortsetzung dieses Gesprächs begaben sich beide eilfertiger, als sie gekommen waren, zum Lager.

      45.

       Das Treffen bei Wohlenschwyl.

       Inhaltsverzeichnis

      Bei ihrer Ankunft waren die bösen Botschaften vom Übergange Mellingens an Wertmüllers Kriegsvolk und von der Vertreibung der Vorposten aus Bädlikon und Wohlenschwyl schon ruchbar. Die Bauern standen in großen Haufen zusammen beratend auf den Feldern. Auf allen Gesichtern las man Bestürzung und Sorge. Selbst im Hauptquartier herrschte Verlegenheit; Leuenberg sprach kleinlaut, obwohl fort und fort Nachrichten vom Anwachsen seines Heeres durch frische Zuzüge einliefen. Nur Christen Schybi, lebhaft von Addrich unterstützt, hielt im Kriegsrat den erschütterten Mut der übrigen aufrecht, und man beschloß, auf die Verzweiflung und Übermacht des Volkes vertrauend, den Kampf zu bestehen.

      Man fürchtete, den Feind schon in der Nacht vor dem Lager erscheinen zu sehen. Alles blieb wach und unter den Waffen. Als die Nacht aber ruhig verstrich und auch der folgende Tag – es war ein Sonntag – vorüber ging, ohne daß ein Schuß fiel, genas alles vom ersten Schrecken, und der gesunkene Mut schwoll von neuem auf. Einer wollte es dem andern an Entschlossenheit zuvorthun. Die bewaffneten zahlreichen Haufen sandten Ausschüsse an Leuenberg, mit dem Verlangen, er solle sie gegen den Feind führen. Christen Schybi bestimmte den Dienstag zum allgemeinen Angriff, und machte dem Kriegsrate seine Entwürfe bekannt. Er selbst hatte Augenschein vom Lager der Eidgenossen genommen, und es zum Teil hinter aufgeworfnen Gräben, zum Teil mit Verhauen von gefällten Bäumen und durch zwölf Stücke groben Geschützes, zehn Feldstücke, zwei Feldschlangen und zwei halbe Kartaunen gedeckt gefunden. Nun ließ er die Höhen von Häglingen mit zahlreichem Volk besetzen, welches bestimmt war, am Dienstag über die Niegelweid und Tegerig das Lager des Feindes zu umgehen, während andere Haufen Bremgarten beobachten und berennen, der Hauptangriff aber gegen Wohlenschwyl gerichtet werden sollte.

      Noch war man am Montag zur Ausführung des Plans in vollster Thätigkeit, als von den Vorposten die Meldung einlief, der Feind sei im Anzuge. Plötzlich stand alles unter Waffen. Die verworrenen Haufen scharten sich zusammen und Leuenberg zählte eine Heeresmacht von sechszehn- bis zwanzigtausend Mann. Mit Trommelschlag und fliegenden Bannern zogen die Schlachthaufen vorwärts.

      Beim Anblick dieser Übermacht hielten die feindlichen Haufen still. Es waren ihrer kaum dreitausend Mann, welche unter Anführung des Obersten Wertmüller, eines Verwandten vom Oberfeldherrn der Züricher, vorgeschickt waren, die Stellung und Stärke der Empörten zu erkennen. Ein einzelner Trompeter als Herold des Züricher Befehlshabers sprengte, indem er die Trompete blies, auf der Landstraße allein gegen die vorrückenden Banden und begehrte eine Unterredung mit dem Kommandanten. Leuenberg, umringt von seinen vornehmsten Hauptleuten, gebot den Truppen, auf der ganzen Schlachtlinie Halt zu machen und vernahm das Vorbringen des Herolds. Im Namen seines Obersten lud dieser, um Blutvergießen zu vermeiden, ehe die Feindseligkeiten begännen, zu Unterhandlungen ein.

      »Nichts! Kein längeres Federlesen!« rief Addrich im Kriegsrat, den Leuenberg alsbald in einiger Entfernung hinter den Truppen hielt. »Vorwärts! Umzingelt diese wenigen tausend Mann, erdrückt sie und reibt sie auf! Das schwächt den Feind fast um die Hälfte seiner Streitkräfte, bringt Bestürzung und Schrecken in die andern, die im Lager vor Mellingen zurückblieben, und giebt unsern Leuten Siegesmut.«

      »Nein,« rief Schybi, dem das unerwartete Erscheinen des Feindes alle Pläne zu vereiteln drohte, »nein, nur Geduld! Nur vierundzwanzig Stunden gebt mir Frist, und morgen liefere ich Wertmüller mit seinem ganzen Lager in Eure Gewalt, denn ich habe ihn schon so gut wie im Garne. Seid Ihr zu voreilig, entschlüpft der Vogel und sieht sich besser vor. Macht ihn sicher, unterhandelt, versprecht ihm goldene Berge, Frieden, Unterwerfung, alles, was Ihr wollt; nur schaffet, daß ich Frist habe bis morgen acht Uhr.«

      Addrich verschwendete seine Beredsamkeit für ungesäumten Angriff vergebens. Schybi, welcher als Kriegskundiger allgemeines Vertrauen genoß, drang durch, und Addrich selbst, nebst einem anderen aus dem Kriegsrat, empfing den Auftrag, mit dem feindlichen Anführer über einen Waffenstillstand bis zum folgenden Tage zu unterhandeln. Die Abgeordneten hatten leichtes Spiel, diesen Waffenstillstand bewilligt zu erhalten. Oberst Wertmüller von Zürich und der Schaffhausener Oberst Rühums, die ihnen schon von weitem entgegengeritten waren, bewilligten, was sie forderten, mit großer Freundlichkeit; ermahnten eifrig zum Frieden und zur Niederlegung der Waffen, und versprachen dagegen unbedingte Verzeihung für alles schon angerichtete Unglück. Sie zogen darauf ihre Gruppen wirklich zurück, und auch das Bundesheer des Landvolkes kehrte wieder zum verlassenen Lager heim.

      Hier aber herrschte jetzt die größte Thätigkeit, um Schybis Entwürfe auszuführen: Wertmüllers linken Flügel zu umgehen, dessen Mitte in der Stirnseite über Büblikon und Wohlenschwyl anzugreifen und das ganze gegen die reißenden Fluten der Reuß zu werfen. Gleichzeitig sollten die weiter aufwärts bei Villmergen versammelten Schaaren des Aufstandes das Städtchen Bremgarten überfallen, und dort die Reußbrücke, wie die Stadt selbst erstürmen.

      Lange vor Tagesanbruch wurde zum Aufbruch gerüstet, aber die Sonne strahlte schon hell und warm durch die aufgestiegenen Nebel der Thäler, ehe die verworrenen Banden dieses ungelenken Kriegsvolkes auseinanderzogen und einzeln über ihre Richtungslinien, Angriffspunkte und diejenigen ihrer gegenseitigen Unterstützung belehrt worden waren. Bei solcher Langsamkeit der Bewegungen hatten die eidgenössischen Feldherren im Lager von Mellingen bequeme Zeit, sich vor Überraschung zu bewahren, auch wenn nicht schon am Abend zuvor die Botschaft eingetroffen wäre, daß der Paß von Bremgarten durch anrückende Massen der Aufständischen bedroht sei. Indessen hatten auch sie nicht geringe Arbeit, ihre in Waffen und Wendungen ungeübten Streiter gehörig zu ordnen, um die gesamte Reiterei, die fünfhundert Mann stark sein mochte, dreitausend Fußgänger und acht Feldstücke, dem bedrängten Bremgarten zum Beistande aus dem Lager zu ziehen.

      Gerade diese Schwerfälligkeit kam dem Oberbefehlshaber hier wohl zu statten, denn sein Verwandter, der Oberst Wertmüller, war kaum mit der Entsendung ausgerückt und seit einer Viertelstunde am linken Ufer des Reußstromes hinauf in Bewegung, als er auf die roten Schaaren des Aufstandes stieß, welche in der selben Zeit nach Schybis Anleitung daher zogen, das Lager von Mellingen von der Seite zu nehmen. Beide Heere schienen, als sie sich ganz unerwartet erblickten, gleich sehr vor einander zu erstaunen und machten Halt, ohne daß es erst geboten werden mußte. Christen Schybi, in dessen Begleitung auch Addrich mit Fabian war, weil auf dieser Seite besonders das Schicksal des Tages entschieden werden sollte, faßte sich schneller, als sein bestürzter Gegner. Er ließ die beiden Flügel seiner Schlachtreihen ihre Spitzen vorstrecken, während die Mitte ruhig blieb, um so den feindlichen Haufen wie zwischen eine Zange zu fassen, oder ganz zu umklammern und zu erdrücken.

      Das