Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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lege man es darauf an, einander durch das Getöse in Furcht zu setzen, welches der Widerhall der Berge und Wälder ringsum hervorrief. Bald hörte man auch seitwärts, hinter den Hügeln, vom Dorfe Wohlenschwyl her, das Knattern der Flintenschüsse. Der Zeiger an der Uhr bewegte sich schneller, als das Vorschieben der Spitzen der Schlachtordnung geschah, die der befehligende Entlebucher an beiden Seiten seines Heeres sich bilden ließ. Auf der anderen Seite machte die Reiterei der Züricher seltsame Sprünge, als sie einigemal abgeschickt wurde, in die langsam nahenden Flügel des Feindes einzuhauen. Vom Flattern der Fahnen, dem Gebrülle der Schlachthaufen und dem Knattern der Schüsse auf allen Seiten wurden die Pferde scheu, welche, dem friedfertigen Gewerbe der Müller, Wirte, Ackerbürger und Fuhrleute entzogen, des Lärmens ungewohnter als die Reiter waren. Die letzteren hatten mit der Widerspenstigkeit ihrer Tiere weit mehr, als mit der Tapferkeit ihres Feindes zu schaffen. Daher sah man die Geschwader gewöhnlich schon auf halbem Wege auseinanderprallen und, einer erschrockenen Herde gleich, zurückrennen.

      Indessen schien sich mit der Dauer des Treffens in beiden Heeren der Mut zu vergrößern; besonders, da jeder Teil auf seiner Seite weder Tote noch Verwundete erblickte, aber deren desto mehr in den gegenüber stehenden Schlachtreihen vermutete. Schybis Banden, die durch ihre Kriegstracht, in roten wollenen Hemden, auf dem Grün der Wiesen einen weiten, blutfarbenen Halbzirkel bildeten, rückten jetzt beherzter heran.

      »Siehe Schybis glühende Zange!« rief Addrich, der mit Fabian seitwärts auf einer Höhe stand, von der er die Bewegung beider Heere überschaute. »Jetzt legt er sie an und wird die Stadtjunker garstig zusammenklemmen.«

      Das Gefecht wurde wilder; die Schüsse fielen schneller. Eine weite Dampfwolke, vom Blitze der Feuerrohre und Feldstücke beständig durchzuckt, breitete sich über beide Heere aus und erfüllte den Raum zwischen ihnen. Während dessen stieg auch in nicht großer Entfernung. seitwärts, ein ungeheurer, braungrauer Rauchschwall zum Himmel. Das Dorf Wohenschwyl stand in Flammen, Thäler und Berge hallten wieder von den Donnerschlägen des Geschützes.

      Addrich stand in tiefer Erwartung, ohne Bewegung, den Blick starr auf die weißlichen Nebel des Pulverdampfes und die Rotten der Kämpfenden gerichtet, welche von Zeit zu Zeit, auf Augenblicke, dazwischen sichtbar wurden und wieder verschwanden. Er empfand in dem gellenden Getöse ein Klingen in den Ohren, dessen Ton ihn an Leonorens Stimme mahnte, wie sie im kranken Traume sang, und unwillkürlich und mit heimlichem Grausen erinnerte er sich der Worte:

      Sie ziehn den roten Bogen,

       Ihn bricht das böse Glück.

       Vor geh'n nun Feuerwogen,

       Ein Blutstrom geht zurück.

      In der That, der Bogen oder die glühende Zange des Entlebuchers war gebrochen, und zwar durch Wertmüllers Kartaunen und Feuerschlünde. Schybis Heerbanden waren durch ihre eigenen Bewegungen in einander verwickelt worden, während dessen Wertmüllers Schlachtlinie stillstehend ihre unveränderte Ordnung behalten hatte. Die Stückschüsse der Züricher und Schaffhausener schlugen daher verheerend in die dichten, zusammengedrängten Haufen der Bauern ein, und diese, beim Anblick der Verwüstung und des Todes, flohen mit panischem Schrecken auseinander. Als die übrigen Schlachthaufen des Aufstandes links und rechts hinter sich Äcker und Wiesen mit unzähligen Flüchtlingen überstreut sahen, wandten auch sie den Rücken, doch mit geringerer Gefahr als die Zerstreuten, denn diese wurden von den feindlichen Reitergeschwadern verfolgt, niedergehauen und gefangen. An zusammengebliebene Heerbanden wagten sich die einzelnen umherjagenden Reiter nicht, und von der unbehülflichen Masse des Fußvolkes ihrer Überwinder hatten die Eilfertigen wenig zu fürchten. Auch verfolgte Wertmüller seinen Sieg nicht weit, indem er sich entweder vor der Schwerfälligkeit seiner Scharen oder vor einem Hinterhalte des Feindes scheute.

      Das Treffen hatte beinahe drei Stunden gedauert. Wohlenschwyl und einzelne Höfe und Wohnungen, wo man sich geschlagen hatte, standen in Flammen. Sieger und Besiegte kehrten in ihre vorigen Lagerstätten zurück.

      Während Fabian mit wenig Gehilfen seinen menschenfreundlichen Beruf an den Verwundeten übte, durchstrich Addrich finster die ganze Strecke des Feldlagers und fand die Bauern überall in Verzagtheit und Schrecken. Sie beratschlagten in großen Haufen, was zu thun sei? Viele verzweifelten am Gedeihen des Unternehmens, an der Möglichkeit des Widerstandes. Andere meinten, man müsse die Hände noch nicht in den Schoß legen; der Riß wäre klein und ginge noch nicht bis an den Hals, doch keiner der Hauptleute wagte mehr zu befehlen; nirgends wurde Gehorsam gefordert oder geleistet. Addrich schalt die Feigherzigen, aber seine heisere Stimme wurde kaum verstanden. Jeder dachte nur, wie er sich selbst helfen könne.

      Spät abends kam Addrich zu Leuenberg ins Hauptlager, wo die Häupter des Aufstandes um den Obmann versammelt standen. Alle begrüßten ihn kleinlaut und fragten ihn um seine Meinung.

      »Guter Rat ist beinahe teuer,« sagte Leuenberg. »Rede, Mooser, Du triffst immer den Nagel aus den Kopf.«

      »Und gerade jetzt,« erwiderte Addrich ärgerlich, »kann der Hammer nicht fehl treffen. Entweder vorwärts zum Sieg, oder rückwärts zum Galgen; das bleibt Eure Wahl. Wir haben das Spiel nicht eher verloren, als bis wir's aufgeben. Die Memmen bekommen nur darum Schläge, weil sie dem Feinde den Rücken selbst darbieten.«

      »Beim Sanniklaus, Mooser,« rief Schybi, »Du bist der einzige Mann von Herz. Ich sage, wir wollen das Junkerlager vor Mellingen noch diese Nacht mit dem Degen in der Faust erstürmen und niedermetzeln, was drin lebt.«

      Addrich stimmte ihm bei und bewies die Wahrscheinlichkeit des guten Erfolges. Man haderte darüber, ohne einig zu werden, bis tief in die Nacht, und beschloß, den folgenden Morgen zu erwarten, da alsdann auch das Kriegsvolk geruht und frischere Zuversicht gewonnen haben werde. Am folgenden Tage indessen folgte eine böse Nachricht der andern. Man erfuhr, daß während der Nacht viele Bauern einzeln das Lager verlassen und den Weg in ihre Heimat angetreten hätten. Dann, daß nach langen Beratungen ein Ausschuß von vierzig Männern im Namen der Berner, Luzerner, Solothurner und Baseler Landleute früh schon den Pfarrer Hemman auf dem Dorfe Ammerswyl herbeigeholt und von ihm begleitet sich ins Lager der Eidgenossen begeben hätte, wohin auch der Bürgermeister Waser von Zürich gekommen sei. Der Ausschuß sollte reuige Unterwerfung versprechen, wenn man billige Bedingungen gestatten und künftig mit dem geplagten Landvolke so umgehen würde, daß es zu ertragen wäre.

      »Da haben wir den Unglückstopf voll!« rief Addrich erbost, als er zum Obmann und den übrigen Anführern in den Saal trat. »Es ist alles aufgelöst, und daran ist Dein Hasenherz schuld, Leuenberg. Warum ließest Du den Schybi nicht in der Nacht das feindliche Lager überfallen? Jetzt säßen wir zu Mellingen oder im Paradiese beim Frühstück. Nun aber kriechen die feigen Hunde mit gesenktem Schwanz zu Kreuz.«

      Leuenberg antwortete nicht, sondern ging nachdenkend und ernst im Zimmer auf und nieder.

      »So fahret insgesamt zur Hölle!« rief Christen Schybi. »Glückliche Reise! Ich gehe zu meinen Entlebuchern und Luzernern; die bringe ich mit drei Worten herum. Wir kapitulieren nicht und ziehen heim.«

      Damit entfernte er sich. Leuenberg erblaßte; Addrichs Augen funkelten von innerem Grimme und sein Gesicht glühte im Zorne dunkelrot. Er drückte sich mit geballter Faust den Hut über die Stirn und rief: »He, Obmann des festen Bundes, hast Du noch einen Entschluß im Sack, wie er dem Manne geziemt, oder nur breite Worte nach Deiner Art im Munde?«

      »Wenn einer verderben soll, so muß alles dazu helfen,« sagte Leuenberg mit schwacher Stimme.

      »So verdirb und stirb!« schrie Addrich mit Verachtung und Unwillen. »Ich gehe zu meinen Oberländern; sie werden keine Lust haben, sich vor den Thoren von Mellingen aufknüpfen zu lassen. Die Männer aus Saanenland haben Mark in den Knochen.« Damit ging er und schmetterte die Thür hinter sich zu, daß das Haus bebte.

      Mittags kamen die Abgeordneten aus Wertmüllers Lager zurück. Sie sagten, man müsse die Waffen niederlegen, auseinander gehen und die Bundesbriefe ausliefern. Alle Beschwerde solle gütlich abgethan oder zu rechtlichem Urteil gestellt werden. Wer Gehorsam leiste, komme ohne Strafe davon.

      Die bewaffneten Haufen, je nach den verschiedenen Gegenden und Kantonen geordnet, traten beratend zusammen. Nach langem Geschrei erklärte