Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Wetterleuchtens aus dem Abgrunde der Nacht in die volle Klarheit des Tages, um wieder zu verschwinden,

      Addrich sah zum Himmel auf, zur glimmenden Stätte nieder und streifte mit den Augen längs den dunkeln Rändern der Berghöhen am Himmel hin, als wollte er an ihren bekannten Umrissen erkennen, ob er nicht in ein fremdes Thal geraten sei? Dann ließ er sein widerliches innerliches Lachen hören. »Glaubst Du es nun, Bursche?« sagte er, »oder denkst Du noch immer, es sei schwermütige Einbildung, daß das Schuldloseste und Edelste dem unentrinnbaren Verderben geweiht sei, wenn ich es berühre? Hier stand meine arme Hütte. Das Schicksal hat sein Halsgericht gehalten, und mir den Stab gebrochen und die Stücke zu meinen Füßen geworfen. Was mir angehört, soll von der Erde vertilgt werden. Ich bin auf dieser Brandstätte wieder so arm, als da ich aus Indien kam und mich der Mann aus Algier in Ketten geschlagen hatte. Meinst Du, Bursche, es schmerze mich? Du irrest; ich lache und verachte den Kot des Reichtums, der mich nicht ergötzt hat, als er noch prangen konnte. Fahre hin!«

      Er spie, indem er es sprach, in die Asche, und die Funken knisterten.

      »Aber warum mir das?« fuhr er, nach einiger Ruhe, mit schrecklicher Stimme und aufgehobenen Armen fort. »Aus dem Schutt meiner Habe und meines elenden Lebens bleibt mir das Recht zur Frage: Warum verfolgst Du mich, finstere Faust des Verhängnisses, mich, von der Wiege rastlos bis zur Gruft? Was habe ich verbrochen? Ist's Verbrechen, daß ich bin, so ist's das Deine. Warum schlägst Du mich? Ich trage ein Zeugnis in meiner Brust, in allen meinem Tagen habe ich nachgejagt dem Heiligen und Wahren, dem Gerechten und Guten. Mein Bewußtsein spricht mich von Verdammung los, warum schlägst Du mich? Ich habe, was göttlich heißt, höher gestellt als das Leben, und bin dem Teufel gleichgestellt. Ich habe Segen gestreut, und mir erwuchs Fluch; ich habe Freuden gesäet, und mir erwuchs Schmerz daraus; ich habe, was Recht ist, geschirmt, und verruchte Willkür zog daraus den Triumph; ich half zur Freiheit des niedergetretenen Volkes, und die Sklaverei ist fester und blutiger geworden. Wie? Bin ich wahnsinnig, so haben die reißenden Bestien Vernunft. Und dieser Wahnsinn ist nicht mein, sondern Dein Verbrechen! Warum verfolgst Du mich? Du hast mir den Sinn der Wahrheit und Gerechtigkeit, wie das Licht des Auges, gegeben, warum wütest Du wieder mich? Du gabst mir das Herz voll Liebe, warum zerreißest Du es? O mein armes Kind! O Du Engel inmitten dieser Hölle! Loreli! Loreli!«

      Hier verflossen die Worte des Greises in schmerzliches Wimmern. In schwerer Betäubung, unbeweglich, stand unweit der Jüngling. Es rauschte wie Stromesbrausen durch seine Ohren, und zwischen dem Brausen erschollen die Klagen und der Hader des Alten mit seinem Schicksal. Das erschütternde, nächtliche Schauspiel des großen Verderbens hatte einen wahren Stillstand alles eigenen Denkens und Empfindens in ihm bewirkt. Aber Addrichs wiederholtes, leises Rufen von Eleonorens Namen schreckte ihn plötzlich auf. »Und Epiphania,« rief er, »wohin ist sie geraten? Entflohen? Erschlagen? Verbrannt?«

      Er schwieg, über eine schauerliche Reihe von Möglichkeiten Musterung haltend; stieß einen heftigen Schrei aus und rannte dann mitten durch die Brandstätte, daß Glut und Funken unter seinen Fersen hoch aufstoben, gegen die Berghalde aufwärts. Er schrie durch Wald und Nacht Epiphanias Namen. Er würde am Tage einem Rasenden geglichen haben. Er irrte durch die Wildnis umher, bis der Morgenhimmel dämmerte, bis er atemlos und entkräftet eine Hütte an den Dürrenäscher Bergen erblickte, wohin er, um Menschen zu finden, die Richtung nahm. Noch lag in der Hütte, wenn etwas darin lebte, alles vom Schlaf umfangen. Er wollte die Glücklichen nicht stören, und lieber unter dem vorhangenden Strohdach, auf einer Bank, den Tag erwarten, bis wohin er besonnener mit sich zu Rate gehen konnte, was er beginnen müsse? Und er sank bei seiner großen Ermüdung bald in Bewußtlosigkeit zusammen. Der Schlummer, mit seiner weichen Hand, raubte ihm Erinnerung und Schmerz.

      Die Sonne durchdrang schon, als er erwachte, seine feuchten Kleider mit wohlthätiger Wärme, und seinen Augen erschien das stille Thal von Aesch, mit dem Wiesengrunde zwischen den waldigen Halden, wie ein blendendes grünes Luftgebilde. In diesem Bilde bewegte sich, um einen Holzpfeiler der Hütte, zwischen wilden Rosen ein Mädchen, neugierig nach dem Schläfer schauend. Er erkannte augenblicklich das regsame Änneli aus dem Moose, und sprang, den Schmerz der halberstarrten Glieder vergessend, zu ihr hin. Änneli trippelte ihm langsam entgegen und weinte laut, indem sie ihm zum traulichen Gruße die Hand reichte.

      »Und Epiphania?« fragte Fabian sogleich und auf eine Art, als hätte er die Antwort schon vor der Frage erwartet.

      »Sieben Tage nach dem Begräbnis von Addrichs Tochter war sie ja – wißt Ihr's denn nicht? – verschwunden,« schluchzte die Kleine. »Aber noch gestern erschien das Volk, von der verlorenen Schlacht zuückkehrend, und plünderte und zerstörte im Moos alles, was da war; schlug Addrichs Knechte blutrünstig und zündete Haus, Stall und Scheuer an. Ich rettete mein Leben in den Wald. Zwei Stunden nur, und alles lag grausam zur Erde gebrannt. Keine helfende Hand der Nachbarn streckte sich aus, kein Eimer Wasser wurde gereicht. Die Flammen flackerten himmelhoch; aber keine Glocke stürmte. Das hat ein Ende mit Schrecken genommen. Bewahre uns Gott vor bösen Nachbarn! Nichts habe ich gerettet, ich armes Kind, als das Leben und die Lumpen, die ich am Leibe trage. Keine Hütte in Aesch wollte mich barmherzig aufnehmen. Hätte nicht die alte Mutter Walti ein Christenherz gehabt, ich wäre im Unwetter unter freiem Himmel gestorben.«

      »Und Epiphania?« rief der leichenblasse Jüngling, der am ganzen Leibe zitterte und das Mädchen mit seinen starren Augen zu durchforschen suchte.

      »Alle Tage war sie nach Kulm hinab zu Lorelis Grab gegangen; am siebenten kam sie nicht wieder,« antwortete Änneli. »Wißt Ihr noch, wie der Halmkranz vor der Trauung auseinanderfiel, und Fanelis Worte beim Abschiede? O mein Lebtage vergesse ich die thränenvolle Hochzeit nicht. Begräbnisse sind fröhlicher. Wäre ich nicht so traurig, ich müßte über den Bettelschmuck der Brautjungfer noch heute lachen. Aber auch der ist verbrannt, oder vom Volke geplündert. Mag es ihnen Gott verzeihen!«

      »Und Epiphania!« rief der junge Mann heftiger. »Wo ist sie? Rede doch!«

      »Das fraget den allwissenden Himmel,« erwiderte das Mädchen. »Wir haben sie gesucht, ihren Namen von Höhen und Wäldern gerufen den ganzen Tag, die ganze Nacht, dann wochenlang, und kein Stäubchen von ihr gefunden. Wir haben alle Thäler, alle Höfe durchfragt, die Dörfer bis Aarau, die Stadt selbst. Sie war von niemandem gesehen worden. Niemand hat sie am siebenten Tage wie sonst auf dem Wege nach Kulm, niemand im Dorfe, oder wie sonst auf dem Kirchhofe bemerkt. Die Leute sprechen üble Dinge. Faneli war ein heiliger Engel, o gewiß, ein ganz heiliger Engel. Es sind nicht alle Heilige, die in der Kirche beten und singen, und unter Addrichs Dach sind wir nicht allesamt Kinder der Finsternis gewesen. Als ich gestern aus der Feuersbrunst vor dem Kriegsvolke zu den Äschern floh, stießen sie mich von ihren Thüren hinweg und riefen: Poch' an das Höllenpförtchen, da wird Dir aufgethan, da wartet man Deiner. Es ist der Wirtschaft des Teufels im Moose der Garaus gemacht. Erst holte er die Besessene ab, dann sieben Tage darauf die Kräutersucherin; nach sieben Tagen nimmt er Dich beim Genick. Und wie sie mich aus ihrem Dorfe trieben, schrieen Buben und Mädchen: Satansbuhle! Belialsmagd! Hexen-Änni!«

      Der ungeduldige Jüngling wiederholte seine Fragen nach Epiphania vergebens. Er erfuhr nicht mehr als er schon wußte, wie geläufig ihm auch das junge Mädchen alle übrigen Begebenheiten mit den unwichtigsten Nebenumständen, um sich das Herz zu erleichtern, erzählte.

      Während dieser traurigen Unterhaltung vor der Hütte war auch Mutter Walti, die Eigentümerin derselben, hervorgetreten. Die alte Frau weinte laut über das Los ihrer beiden Söhne, welche in die Mellinger Schlacht gezogen und noch nicht zurückgekehrt waren. Indessen vergaß sie über ihr Leid die Sorge der Gastfreundlichkeit nicht, und lud den Jüngling, sowie Addrichs gewesene Magd, zur Teilnahme am bereiten Frühstück ins Stübchen ein. Hier vernahm er bei der warmen Milchsuppe und dem groben Brote durch Ännelis Geplauder wenn auch nicht das, was ihm das wichtigste blieb, doch vieles, was ihm von nicht geringer Bedeutung war. Er hörte, daß Addrichs Tochter schon seit Jahr und Tag den Hauptmann Renold heimlich geliebt habe; auch da noch, als sie sein verdorbenes Gemüt erkannt und ihn nie mehr vor sich gelassen hatte. Er hörte, daß sie ihrem Vater, der für das geliebte Kind alles gern that, bei seinem Abschiede zur Pflicht gemacht habe, Fabian nicht mit sich zu nehmen, ohne ihn zuvor mit Epiphania in der Kirche zu Kulm trauen zu lassen. Sie hatte die Neuvermählte bei deren Heimkehr von