Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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den beiden Jurapässen des Hauensteins gelegen, hatte seine eigentümliche Anmut. Zu beiden Seiten erhoben sich die alpenartigen Wiesen zu den nahen Felsenkämmen des Gebirges. Im Hintergrunde hing ein armseliges Kirchlein malerisch am Berge, hoch über einem furchtbaren Abgrunde. Die wenigen beisammen liegenden elenden Hütten und einzelne im Gebirge umher zerstreute kleine Berghöfe bildeten die Gemeinde.

      Während Addrich in dieser Einsamkeit die einsamsten Stellen aufsuchte, dort tagelang auf einem verwitterten Felsblock des öden Bergrückens unbeweglich saß, selten sprach, und in diesem Falle, still grollend mit der Weltordnung, schreckenerregende Dinge ahnen ließ, schweifte Fabian ungeduldig durch das Gebirge. Gequält durch den schmerzlichen Gedanken an Epiphanias Schicksal, wurde ihm der Müßiggang und die einfache Lebensweise bald unerträglich. Er würde schon nach den ersten Wochen das Iffenthal verlassen haben, um seine verlorne Gattin, selbst mit Lebensgefahr, aufzusuchen, hätte ihn nicht eine geheime Bangigkeit um Addrich oder die Menge der Schreckensbotschaften zurückgehalten, welche der treue Schiffer jedesmal brachte, so oft er im Thale erschien. In jeder Woche gab dieser neue Berichte von der Strenge und Grausamkeit, mit welcher die Obrigkeit gegen die besiegten Rebellen verfuhr: wie täglich Verhaftungen erfolgten und jeder Verdächtige angehalten würde. Die Häupter und Rädelsführer der Empörung lagen fast sämtlich schon in Ketten und Banden. Leuenberg war zu Trachselwald, von einem seiner eigenen Helfershelfer und Nachbarn, Hans Bierri, verraten, nächtlicher Weile aufgehoben und nach Bern geschleppt worden. In Zofingen wurde ein Blutgericht von fünfzehn Personen niedergesetzt, die Eingefangenen abzuurteilen und die Schuldigen zu bestrafen. Christen Schybi, im Entlebuch ergriffen, wurde nach Zofingen gebracht, verurteilt und mit drei anderen Spießgesellen in Sursee enthauptet. Adam Zeltner, der kluge Untervogt von Buchsiten, empfing in Zofingen den Todesstreich vom Schwerte des Nachrichters, ungeachtet sich der französische Botschafter, Herr de la Barde, auf's dringendste für das Leben desselben verwendet hatte. Ulli Schad wurde vor dem Steinenthor bei Basel mit dem Strange vom Leben zum Tode gebracht, während sechs andere seiner Genossen beim Aufstande, sämtlich sonst achtbare Greise, alle mit grauen Köpfen und weißen Bärten, dort mit dem Schwerte hingerichtet wurden. Ein gleich trauriges Schicksal erlebte Leuenberg, von dem unter der Folter Geständnisse erpreßt werden konnten; ebenso sein ehemaliger Geheimschreiber Brömmer, und mancher andere zu Bern. Ein Schmied von Hochstätten wurde, weil er zur Volksbewaffnung Piken geschmiedet hatte, nach geschehener Enthauptung noch gevierteilt, und mit den vier Stücken seines Leibes an den Galgen genagelt. Als am Sonntage darauf (3. Juli) ein erschreckliches Ungewitter, von Sturmwind und Wolkenbrüchen begleitet, über Bern zog, die Stadt schwer beschädigte, das Hochgericht mit den angehefteten Köpfen der Rebellen niederwarf und zertrümmerte, erkannte der Aberglaube eines Volkes, welches unter dem obrigkeitlichen Zorne zitterte, wenigstens darin zu seinem Troste die Mißbilligung des Himmels gegenüber solchem blutdürstigen Wüten der gnädigen Herren und Obern.

      Die Zahl der Hingerichteten war groß; noch größer die Zahl derer, denen vom Henker ein Ohr abgeschnitten oder die Zunge aufgeschlitzt wurde, die man mit Ruten strich, aus dem Vaterlande verbannte, auf die venezianischen Galeeren verschickte, um ihren Tod in den Seeschlachten gegen die Ungläubigen zu finden, oder die man ehr- und wehrlos machte und durch schwere Geldbußen ungroßmütig an den Bettelstab brachte.

      50.

       Die letzten Erscheinungen.

       Inhaltsverzeichnis

      »Ich will lieber unter Menschenfressern und reißenden Tieren wohnen, die ihr Gebiß nur da einschlagen, wo Hunger und Notwehr Blut begehren,« schrie Fabian, »als unter diesen christlichen Obrigkeiten, die nun ihre Feigheit und überstandene Angst durch Grausamkeit verdecken; ihre Rache gleisnerisch hinter dem Schilde gesetzlicher Gerechtigkeit verbergen, das arme Volk erst durch Blutsaugerei und mit Frechheit zu Boden treten, dann die Verzweiflung desselben an Schuldigen und Unschuldigen in blinder Wut bestrafen, sich dabei gottesfürchtige, gnädige Obrigkeit und die armen, rechtlosen Unterthanen freie, glückselige Unterthanen nennen. Verruchte Unnatur!«

      »Warum tobst Du, Bursche, wider die Natur?« entgegnete Addrich gelassen oder vielmehr kalt. »Sie geht ihren bleiernen Schritt. Wir Ebenbilder Gottes haben kaum das Menschengesicht aus dem alten Felle der Bestialität hervorgestreckt. Wenn sich eine Nation mit der Kinderrute züchtigen, mit der Peitsche geißeln läßt, verdient sie nichts besseres als Rute und Peitsche.«

      »O Addrich, fesselte mich nichts mehr an diesen blutgetränkten Boden,« rief Fabian bewegt, mit der Thräne heiligen Grimmes im Auge, »ich möchte in eine Wüste ziehen, und mich mit den Tigern verbrüdern. Hast Du von unserm Fischer die Geschichte des alten Weibes von Olten gehört, welches nach Zofingen lief und vor den unbarmherzigen Richtern für das Leben des Ehemannes und Sohnes, endlich nur für das Leben eines einzigen von beiden den Fußfall wiederholte? Und als man ihr nun die schauerliche Wahl gestattete, als nach langem entsetzlichem Kampf des Mutterherzens und der Gattenliebe die eheliche Zärtlichkeit überwog . . . da hohnlächelte gefühlloser Witz über die Betrogene. Das scheint mir die höllische Krone auf das Haupt alles Frevels zu setzen . . .«

      »Still, Bursche!« erwiderte Addrich. »Trage Sorge für Deine junge Haut. Wo Tyrannen wohnen, haben die Steine Ohren.«

      Er hatte nicht unrecht, denn der Pfarrer des Iffenthales hatte den Aufenthalt der Flüchtlinge entdeckt, das Weib des Schiffers zu sich berufen und ausgeforscht, und demselben darauf geboten, reinen Mund zu halten über alles, was er gefragt und gesagt. Die junge Frau aber gehorchte mehr der Stimme ihres Mitleids als der des Beichtigers und warnte voller Angst die Fremdlinge. Da blieb die abgelegene Einöde kein Asyl mehr für sie.

      »Fort denn,« sagte Fabian, »um das Leben zu retten, muß das Leben gewagt sein. Versuchen wir's, durch das unwegsame Gebirge, an den bewohnten Höfen und Bergdörfern vorüber, das kaiserliche Gebiet am Rhein zu erreichen!«

      »Mir gilt's gleich,« entgegnen Addrich gleichgültig. »Mein Leben kannst Du nicht retten. Hätte ich mein Wort nicht gegeben, es wäre längst weggeworfen. Ich folge Dir. Die grüne Schale des Deinigen enthält noch einen Kern; der meinige ist vermodert.«

      Mit Dank und gerührtem Herzen schied Fabian, Addrich aber stumm, in der Frühe des folgenden Morgens, ehe der Tag graute, von der gastfreundlichen Berghütte. Dicker Nebel lag auf dem Thale und verbarg ihre Flucht, zugleich aber auch den Weg und die Gegend so sehr, daß sie erst mit Sonnenaufgang aus der Bergschlucht hervortraten, durch welche ihnen ein wilder Bach den Ausgang über den untern Hauenstein zur Heerstraße gezeigt hatte. Als sie den jähen Felsenweg zum Hauenstein emporgestiegen, dessen letzte Höhe längs den Klippen eine blaugraue Wolke bedeckte, wurden sie eines Wanderers gewahr, der in städtischer Tracht vor ihnen gemächlich bergauf schritt. Fabian drückte das braune Sammetbarett tiefer in die Augen, und das Gesicht abgewendet, eilte er an dem Manne vorbei, indem er trocken grüßte.

      »Heda! Halt!« rief der Wanderer. »Sonntag und Montag kommen alle Woche zusammen, aber nicht die Menschen. Es freut mich, Herr Freund, Euch hier zu treffen und mit Euch den gleichen Weg zu machen, wenn Ihr nicht wie ein Bürstenbinder lauft.«

      »Schon früh auf den Beinen?« antwortete Fabian, der den wohlgemuten Meistersinger von Aarau erkannte und sich nun von Herzen des alten Bekannten erfreute. »Was giebt's neues? Jetzt ist wieder Ruhe und Sicherheit im Lande und das Regiment frisch und wohl bestellt.«

      »Ja, ja, Herr Freund, es wird aufgeräumt, wie sich's gebührt. Nur sage ich, neue Besen kehren gut, doch gehen sie nicht in die Winkel. Den Haupträdelsführer Addrich haben sie noch nicht gefunden; wer weiß, wo er steckt? Hat aber der Teufel den Sattel, so holt er auch den Zaum. Ich wette, der trägt sein Kupfergeld nicht lange mehr auf der Nase herum. Heute oder morgen hängt er in Scharfrichters Dohnenstieg oder läuft wenigstens mit nacktem Rücken durch den Besenmarkt. Er hat's um mich allein schon verdient. Und säße er in einem Dachsloche, ich kröche hinein und holte ihn heraus.«

      »Kannst ihn wohlfeiler haben,« sagte Addrich, der jetzt von hinten herankam. »Hier bin ich. Wie viel hat man für mich geboten?«

      Meister Wirri stand still und starrte den Alten verblüfft