Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Hauptes, die Blicke unter finster zusammengezogenen Augenbrauen auf das noch im Tode schöne Antlitz des Soldaten geheftet, rauschten Schritte hinter ihm durchs Buschwerk. Fabian wandte das Gesicht zurück und erblickte mit froher Verwunderung den lange vermißten Addrich. Er ging ihm entgegen.

      »Ich hörte Deine Stimme schon in der Ferne, Fabian,« sagte der Alte. »Mit wem sprachest Du?«

      »Gott Lob!« rief der Jüngling, »daß uns der Himmel wieder zusammenführt. Ich suchte Dich lange mit vergeblicher Mühe und hielt Dich für gefangen oder getötet.«

      »Leere Sorge!« versetzte Addrich. »Der Tod verlangt mich nicht, und das Leben will mich nicht. So muß ich wie der ewige Jude über die Erde wandern. Mir sind die Kugeln ausgewichen; ich wich nur den Klauen der Berner und ihrer Henkersknechte aus. Gut, daß Du lebst; mit wem sprachst Du?« Addrich trat langsam hinzu, blieb in stummer Beschauung stehen, und kein Zug seines Gesichtes veränderte sich. Zuweilen brummte er ein: Hm! Hm! in sich hinein, wie wenn ihm etwas Unerwartetes eine letzte Verwunderung verursache. Nach einiger Zeit murmelte er, halblaut singend:

      Vom rosenfarb'nen Munde

       Erlischt die Lebensglut;

       Die Jünglings-Purpurwunde

       Betaut das Gras mit Blut.

      Zu spät eilt deine Hülfe,

       Er fühlt nun keine Pein;

       Er schläft auf dürrem Schilfe;

       Sein Kissen ist der Stein.

      Fabian erschrak und fürchtete für den Verstand des Alten. »Auf, auf! Laß uns von hinnen eilen, Addrich,« rief er, »denn für uns ist keine Sicherheit in der Nähe des Schlachtfeldes!«

      49.

       Rettung.

       Inhaltsverzeichnis

      Er ergriff ihn am Arme und führte ihn eilend, ohne Rast, mit sich hinweg, durch Wald und Feld, Weg und Steg weder meidend noch suchend. aber in gerader Richtung nordwärts, um den Aarfluß zu erreichen. Unterwegs erzählte er mit vielen Hinzufügungen von dem letzten und kurzen Gespräche, das er mit Gideon Renold gehalten; dann entwarf er Pläne, wie sie durchs Münsterthal oder die österreichischen Waldstädte am Rhein nach Frankreich oder Deutschland entkommen könnten, und wie er, sobald für Addrich eine geborgene Stätte gefunden sein würde, in das Schweizerland heimkehren und Epiphanias Spur aufsuchen wolle. Addrich schien das alles kaum zu hören und ließ nur zuweilen ein trockenes »Ja« oder »Nein« oder »Wohl möglich« vernehmen, mehr aus Gefälligkeit, oder um den Frager zufrieden zu stellen, als aus Lust an der Unterhaltung.

      Als beide nach einer Stunde durch ein stilles Wiesenthal hervortraten, erblickten sie das Ufer der Aar und einzelne Fischerhütten; vor einer derselben flickte ein junger Mann aufgespannte Netze. Fabian redete ihn wegen der Überfahrt zum jenseitigen Ufer an und versprach ihm ein gutes Trinkgeld. Der Fischer betrachtete abwechselnd beide mit besonderer Aufmerksamkeit und sagte: »Nicht wahr, Ihr kommt von Herzogenbuchsee, und der Boden hier brennt Euch unter den Füßen? – Jesus, Maria und Josef! Das ist übel ausgegangen. Folget mir nach!«

      Er warf eilig das Garn zur Erde, sprang zur Aar, rüstete einen Kahn und ließ die Wanderer einsteigen. Als er vom Lande gestoßen war, sagte er: »Ihr Herren, ist Euch zu raten, so fahret stromabwärts, je weiter, desto besser, bis die Nacht auf dem Lande liegt. Das Tageslicht ist Euer Freund nicht.«

      »Du bist ein Ehrenmann,« sagte Fabian. »Fahre uns so weit Du magst; um den Fährlohn wollen wir nicht hadern. Du wirst mit uns zufrieden sein.«

      »Danket der Mutter Gottes hunderttausendmal, daß Ihr mich am Staad gefunden,« erwiderte der Schiffer. »Ich setze meinen Kopf daran. Du heißest Fabian von der Almen, und der Alte dort Addrich der Mooser. Jesus Maria! Nun gehts Manchem an den Hals.«

      Fabian erblaßte vor Schrecken, sich von einem Unbekannten und in unbekannter Gegend gekannt zu wissen. »Was weißt Du von uns?« fragte er den Schiffer.

      »Daß man nach Euch beiden aller Orten das Netz ausgeworfen hat,« antwortete dieser; »daß man des Leuenberg kaum so sehr als Eurer habhaft zu werden trachtet, daß ich armer Geselle mit geringer Mühe ein paar Dublonen gewinnen könnte, wenn ich zu Olten, im Leuen, Nachricht von Euch brächte. Das wäre jedoch Blutgeld. Behüte uns Gott! Ich erkannte Euch beide augenblicklich an Kleid und Geberde, als Ihr vorhin am Staad zu mir tratet, denn der Steckbriefträger hat Euch aufs Haar genau beschrieben.«

      Obwohl sich Fabian unschuldig fühlte, pochte ihm doch das Herz gewaltig bei dieser unerwarteten Botschaft, nicht minder aus Besorgnis für Addrich als um sich selbst, da man ihn überall als dessen unzertrennlichen Gefährten im Aufruhr gesehen hatte. Der Fischer bemerkte Fabians Unruhe und sagte: »Sei Du ohne Furcht; hast nicht allein im verbotenen Wasser gefischt; ich war auch dabei, als wir Landleute den Zug nach Solothurn machten und die Stadthechte fangen wollten. Seitdem hielt ich mich aber mäuschenstill am Staad und ging nicht einmal wie die anderen auf die Höhe, die Schlacht von Herzogenbuchsee zu schauen. Ich habe meine guten Gründe. Als diesen Morgen der Kerl von Bipp mit dem verdächtigen Gesichte kam und Euch beschrieb und bekannt machte, wie viel für Euch geboten wäre, wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte. Mich soll niemand dumm machen.«

      Unter diesen und ähnlichen Gesprächen des Schiffers mit dem geängstigten Fabian brach die Abenddämmerung herein. Der Kahn glitt rasch über den Fluß dahin.

      »Es soll Dich nicht gereuen,« sagte Fabian. »Ich zahle Dir eine Dublone in blankem Golde, wenn Du die ganze Nacht durch mit uns fährst; bis morgen sind wir da, wo die Aar in den Rhein fällt.«

      »Nimmermehr!« entgegnete der Fischer. »Ich kenne das Wasser nicht weiter als bis Brugg, und nächtlicher Zeit ist mit dem Strome übel spaßen. Soll's aber gelten, so begleite ich Euch um das halbe Angebot über den Berg zu meiner Base ins Iffenthal. Dort seid Ihr geborgen, besser als in Abrahams Schoße. Und ehe der Tag kommt, bin ich wieder am Staad.«

      Fabian willigte in alles, um für sich und seinen Unglücksgefährten einen Schlupfwinkel zu finden. Der Schiffer steuerte endlich dem linken Ufer und einem Erlengebüsche zu, wo er die Wanderer ans Land gehen ließ, während er den Kahn befestigte; dann schritt er als Wegweiser voran über Wiesen und Äcker, bis in die Nähe eines Dorfes an der Landstraße nach Olten. Hier wurde eine Stunde unter freiem Himmel gerastet, um sich mit Speise und Trank zu stärken, und dann der Weg ins Gebirge genommen. Es ging durch Thäler und über Hügel, durch Tannenwälder und Schluchten, in allerlei Krümmungen bei dunkler Nacht. Nach zwei langen Stunden erreichen die Wanderer um Mitternacht eine einsame Hütte. »Hier sind wir zur Stelle!« rief der Schiffer. »Drinnen liegt alles im Schlafe, wartet deshalb, ich will das Seppli wecken.« Er schwang sich auf eine am Hause befindliche Holzbeige und verschwand in einer fensterartigen Öffnung des Estrichs. Nach geraumer Zeit wurde es im Innern der Hütte lebendig; man sah Licht, die Thür wurde geöffnet, und mit einem brennenden Kienspan in der Hand leuchtete der Schiffer seinen Freunden in eine Stube hinein. Ein junges, halbbekleidetes Weib, und bald darauf auch ein altes Mütterchen, traten herein, hießen die Fremdlinge willkommen und bedauerten, ihnen für die Nacht kein besseres Lager, als auf Ofen und Bank, anweisen zu können. Dankbar entrichtete Fabian dem braven Schiffer seinen verheißenen Lohn. »Nun denn,« rief dieser, nachdem noch vieles über einen geheimen Aufenthalt und über die nach allen Seiten nötige Vorsicht verhandelt worden war, »›dem Hungrigen ist bald gekocht, dem Müden leicht gebettet.‹ Ihr seid ins Trockene gebracht. Wartet geduldig, bis der Sturm ausgetobt hat. Gelobt sei Jesus Christ!«

      Fabian, froh, sich und den Oheim Epiphanias in Sicherheit zu wissen, bequemte sich ohne Mühe in die ärmlichen Verhältnisse der Berghütte und fand, wie in dieser Nacht das Lager auf der Holzbank, so in den folgenden die Ruhestätte auf dem Heu, wie auch die Bewirtung mit den einfachsten Erzeugnissen des Herdes unendlich besser als den Aufenthalt in einer Felshöhle, an den er in der ersten Angst schon gedacht hatte. Die Flüchtlinge hätten kaum ein angenehmeres Asyl wählen können als diese hochgelegene, grüne Einöde, in welcher monatelang kein