Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Unterwaldner und Zuger geweigert hätten, gegen die tapferen Landleute die Waffen zu kehren; daß Leuenberg und die Oberländer entschlossen wären, aufs neue den Kampf gegen die Städte aufzunehmen . . . nichts erweckte Addrichs Teilnahme und alte Hoffnung. Er glich einer am Tage wandelnden Leiche. Lust und Schrecken hatten ihre Gewalt über ihn verloren. Er sprach nichts, selbst Fabians freundliche Worte fanden keine Erwiderung.

      Den schrecklichsten Beweis seiner Abgestorbenheit aber gab er folgenden Tages. Beide waren durch das Flachland von Langenthal, wo man nur im Hintergrunde niedrige Hügel erblickte, zwischen den lebendigen Hagen der Matten, schweigend an dem Dorfe Herzogenbuchsee vorübergegangen, um nach Wangen zu wandern, denn dahin sollte sich Leuenberg gewendet haben. Als sie aber vor Herzogenbuchsee auf das Feld kamen, erblickten sie dort schon einzelne Schildwachen der Oberländer mit Hellebarden bewaffnet, und in geringer Entfernung vor sich die Scharen des bernischen Heeres mit wehenden Fahnen aufgestellt. Fabian erschrak; Addrich warf einen gleichgültigen Blick auf das Schauspiel und setzte seinen Weg gelassen gegen die feindlichen Schlachthaufen fort. Da riß ihn der Jüngling zurück nach dem Dorfe, wohin gerade eben auch der bernische Feldherr Erlach mit seinem Gefolge vorsprengte, weil ihm die Schildwachen gesagt hatten, es sei dort frei von Rebellen. Aber schon bei den ersten Häusern empfing ein so mörderisches Feuer den General und seine Begleiter, daß sie in stürmischer Eile zu den Ihrigen zurückjagten. Während Fabian seitwärts sprang, schritt Addrich gelassen mitten durch den Kugelregen in das Dorf hinein. Fabian suchte ihn sogleich wieder zu finden, allein das Dorf, in welchem noch kurz vorher die tiefste Stille geherrscht hatte, war so plötzlich mit einigen Tausenden von bewaffneten Oberländern angefüllt, als wären sie durch ein Wunder hierher gezaubert. In geschlossenen Haufen drangen sie hervor, dem Feinde entgegen.

      Mit Ungestüm warfen sie sich auf die Vorhut der Berner und trieben sie zurück, während Erlach seine Streitmassen langsam entfaltete. Nach einer Stunde sahen die Oberländer nicht nur vor sich, sondern auch links und rechts über die Wiesen hin, lange blaßgraue Streifen von Pulverdampf, in denen sich Erlachs Schlachtreihen näherten. Da bemächtigten sich die Überflügelten eines nahen Gehölzes und setzten das Gefecht mit Wut fort. Endlich auch hier fast von allen Seiten umzingelt und zusammengedrängt, eilten sie wieder hervor, den Rückzug ins Dorf nehmend. Schritt für Schritt machten sie dem Sieger streitig. Von Hag zu Hag wurde gekämpft, bis das Dorf erreicht war. Verteilt in den Häusern, zerstreut hinter den Hütten und in den Gärten, unterhielten sie verzweiflungsvoll den Kampf, bis Haus für Haus in Rauch und Flammen aufging. Nun getrennt, behauptete sich ein Teil von ihnen noch lange auf dem hoch gelegenen Kirchhofe, hinter der Mauer, die als Brustwehr diente. Ein Teil wandte sich langsam, in voller Ordnung. stets kämpfend, gegen den Wald; andere liefen zerstreut, doch fechtend, abwärts durch die Baumgärten nach den Gebüschen und Wiesen von Oenz.

      Dahin hatte der Ausgang des Treffens und die Gewalt der Umstände auch den Liebling Epiphanias geführt, der anfangs lange Zeit den verlorenen Alten vergebens gesucht, nachher aber den Tag über seinen menschenfreundlichen Beruf als Wundarzt ohne Unterschied an Freund und Feind geübt hatte, wenn sie verwundet seiner bedurften. Er wandelte, unentschlossen, ob er in der Nähe des Dorfes bleiben oder sich entfernen solle, durch eine üppige Matte. Man sah und hörte hier nichts mehr, weder von Verfolgern, noch von Verfolgten, aber seitwärts, hinter niedrigem Weidengebüsch, ließ sich das Stöhnen einer menschlichen Stimme vernehmen. Er drang durch das Buschwerk dem Klagetone nach, und erblickte jenseits desselben, am schilfigen Ufer eines klaren Weihers, längs welchem ein Fußpfad hinlief, einen Kriegsmann am Boden liegend, der sich vergebens aufzurichten suchte. Das stark mit Blut benetzte Gewand desselben ließ an der Traurigkeit seiner Lage nicht zweifeln. Fabian griff, indem er sich näherte, zu seinem Besteck, welches er stets bei sich führte, und rief, indem er neben den Verwundeten niederkniete: »Mut, Kamerad! Wo fehlts?«

      »Zum mindesten nicht an Courage,« erwiderte der Kriegsmann und wandte den Kopf, um den Frager zu sehen. Fabian erschrak, als er in das bleiche Gesicht blickte und den Hauptmann Renold erkannte. »Du hier?« rief er voller Bestürzung und Zorn, setzte aber, indem er auf die blutige Brust des schönen Mannes die Augen warf, mitleidig hinzu: »Es scheint, um Dich stehts übel.«

      Gideon aber verzog den Mund mit höhnischem Stolz und sagte: »Nicht wahr, ein gefundenes Fressen für Deines Gleichen! Kannst Rache üben, ohne Widerstand zu fürchten. Jetzt sind wir quitt. Machs ohne lange Umstände mit mir ab.«

      »Zeige mir Deine Wunden,« versetzte Fabian, ohne auf ihn zu hören, netzte einen Schwamm im Wasser des Weihers, kniete wieder bei ihm nieder und rollte das wundärztliche Besteck aus einander.

      »Kommst zu spät, Herr Medikus,« rief Gideon. »Habe die Pillen schon aus Büchsenschmieds Apotheke empfangen, und sie purgieren mir die Seele richtig zum Leibe hinaus. So will ich als tapferer Soldat auf dem Felde der Ehren dieser Welt Ade sagen; krepieret Ihr unterdessen am Schnellgalgen!«

      »Ich hoffe, Renold, Du bist noch zu retten,« sagte Fabian. »Lasse Dich untersuchen!«

      »Mit Gunst, bleibe mir vom Halse,« erwiderte der Verwundete. »Ich begehre keine Untersuchung: zwei Kugeln fuhren mir in den Leib, und zweifelsohne hinten wieder heraus. denn ich stand den welschen Teufeln nahe genug vor der Mündung. Unsere Sache ist fehlgeschlagen; sie hätte einen glorreicheren Ausgang verdient. Aber der Feind hatte uns mit listigen Händeln und Anschlägen schon bei Mellingen ruiniert. Heute, während der Bataille, schlug sich unsere Mannschaft heldenmütig. Der Feind, welcher eine wohl ausgerüstete Reiterei, Fußvolk und Artillerie gegen uns ins Feld stellte, hätte noch lange nicht Viktoria schießen können, doch uns fehlte die Grundlage aller sicheren Kriegsoperationen: verständige Kriegsräte und streng aufrecht gehaltene Disziplin.«

      Fabian, der unterdessen Gideons Wams geöffnet und mit dem Schwamm das Blut von dessen Brust gewaschen hatte, sagte: »Spare Deine Worte für nötigere Dinge, denn Du hast nicht viele Atemzüge mehr zu verschwenden.«

      »Danke der Glücksgöttin dafür, Du schelmischer Abenteurer,« sagte Gideon mit matter Stimme, während ihm Fabian zwei Schußwunden in der Brust mit Leinwand und Pflaster bedeckte, um das hervorquellende Blut zurückzuhalten. Der Soldat schien nichts davon zu empfinden, denn ohne auf Fabians Beschäftigung zu achten, fuhr er fort: »Beim ersten Begegnen hätte ich Dich niedergesäbelt und in Gegenwart Deiner Dirne umgebracht.«

      »Schweige mit Deinen Prahlereien, Renold,« rief Fabian. »Dein letztes Stündlein hat geschlagen. Der Tod steht vor Dir. Fürchte die Ewigkeit!«

      »Was fürchten, was?« entgegnete Gideon. »Ich habe andere Majestäten gesehen. Ich sterbe ehrenvoll, wie ich es jederzeit gewünscht habe. Unterfange Dich nicht, die Verleumdung auszustreuen, daß ich nicht bis an mein Ende ein herzhafter Kriegsmann geblieben sei.«

      »Renold, Du stehst bald vor dem Richterstuhl des Allwissenden, bekenne die Wahrheit, erfülle meine letzte Bitte. sage mir noch . . .«

      Gideon unterbrach ihn und sagte: »Belästige mich nicht. So schwindet der Ruhm . . . Alles vorbei.«

      »Bekenne, Du hast Epiphania aus dem Moose entführt; bekenne, wohin Du die Unglückliche geschleppt hast . . .«

      »Wäre das Vöglein nicht ausgeflogen gewesen, ich hätte es, Dir zum Possen und Ärger, in den Sack gesteckt. Aber das Nest war leer.«

      »Epiphania ist verschwunden,« rief Fabian mit wachsender Angst, denn er bemerkte Renolds zunehmende Schwäche und fürchtete dessen ewiges Verstummen, ehe das Geheimnis von Epiphanias Lose enthüllt wäre. »Ich beschwöre Dich, rede! Läugne nicht! Versöhne Dich mit Gott und den Menschen durch das Geständnis der Wahrheit. Welches ist der Aufenthalt des unglücklichen Wesens?«

      Renold schloß die Augen und versetzte mit leiser Stimme. »Das Weibsbild ist . . . ich weiß es nicht . . .«

      »Nenne, Gideon Renold, nenne mir den Ort, um Gottes willen, nenne ihn!«

      »Ich weiß es nicht,« antwortete Jener leise stöhnend, während sich die Züge seines bleichen Gesichtes plötzlich entstellten und nach einigen Zuckungen in die kalte Ruhe des Todes zusammensanken.

      Fabian wiederholte sein verzweifeltes Rufen; Gideon antwortete nicht mehr. Da trat der Frager schauernd vor der schweigenden Leiche zurück.