Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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zurück, dann erhob sie laut weinend die Arme und rief: »Fabi, ach, Fabi, Du selbst!« und sank an seine Brust. Er starrte unbeweglich auf sie nieder und stammelte totenblaß und mit zitternden Lippen: »Faneli, meine Seele, o mein Leben!«

      Indessen beide im Sturm der ersten Seligkeit, sich wiedergefunden zu haben und umfaßt zu halten, alles vergaßen, was um sie her geschah, kam Addrich atemlos den steilen Bergweg daher geeilt. Er hatte das Geschrei auf der Höhe vernommen und seine Schritte alsbald verdoppelt, weil er befürchtete, Fabian sei von aufgestellten Wachen im Nebel überfallen und gefangen genommen worden. Entschlossen, ihn zu befreien, und beim Anblick der Pferde und Menschen in der wolkigen Umdämmerung die Wahrheit seines Argwohns nicht mehr bezweifelnd, zückte er das Schwert und schwang es gegen den Ersten, der ihm aus dem Haufen entgegentrat, doch wie vom Schlage getroffen sank der erhobene Arm erschlafft zurück. Sein Gesicht war vom Entsetzen schrecklich entstellt. Die finsteren Augen starrten, als wollten sie ihre Höhlen verlassen, aus der roten Umfassung der Augenlider grausig hervor, wie eine Kohle aus der Glut. Er lallte mit bebender Zunge, unbewußt, halblaut: »Das ist mein toter Bruder Diethelm!«

      Auch der Herr von Groenkerkenbosch, den sonst nichts aus seinem stillen Gleichmut brachte, verlor hier die Fassung, fuhr bestürzt zurück und rief: »Addrich!« Doch der vielerfahrene Mann sammelte sich schnell zur Besonnenheit und sagte: »Unglücklicher, Du bist der Greuel des Landes geworden, weil Du keinen anderen Gott hattest als Dein schreckliches Ich. Dich allein wollte ich vermeiden, aber Du hast mich zu Deinem Schuldner gemacht durch das, was Du meinem Kinde gethan. Mir steht nicht zu, mit Dir zu rechten. Fliehe dieses Land, das Dich verflucht; mein Schloß am Rhein hat Raum und Freude für uns alle. Hier nimm die Hand! Wir sind versöhnt!«

      Addrich wich schaudernd vor der ausgestreckten Hand zurück und sagte mit leiser, heiserer Stimme: »Bist Du nicht unter dem Eise des Rawylgletschers begraben?«

      Don Nardo schüttelte mit traurigem Lächeln das Haupt und sagte:»Still davon, mein Bruder! Oder, wenn Du es denn willst, so höre alles in vier Worten. Gottes Barmherzigkeit und Vorsehung haben gewaltet. Deine wohl etwas unbrüderliche Härte wies mir nur den Weg über den Rawyl zu meinem Glücke hinüber nach Ostindien. Eine fromme, reiche Pflanzerin der Philippinen wurde meine Gemahlin und ich nach ihrem Tode der Erbe ihres Reichtums. Wir kehren auf der Stelle nach Basel um. Mein Ziel ist unerwartet erreicht . . . Die Hand her!«

      »Mensch, was habe ich mit Dir zu schaffen?« sagte Addrich und blieb unbeweglich in seiner Stellung. »Bist Du nicht der auserkorne Quälgeist meines Daseins? Hast Du dem verstoßenen Knaben nicht schon das Herz des Vaters geraubt, nicht dem Jüngling die Liebe der erwählten Braut? . . . Du und kein anderer hat mir Epiphania entwendet, mir und dem Gatten.«

      »Laß den alten Hader fahren!« rief der Stiefbruder mit besänftigendem Tone. »Das Herz der andern ist in keines andern, als in Gottes Gewalt; ihre Liebe war ja nicht meine Schuld, nicht mein Verdienst. Und dort steht Epiphania! Ich mußte sie entwenden, weil ich sie nicht fordern durfte. Du bist wegen Deines Unglaubens, ich wegen des alleinseligmachenden Glaubens geächtet. Ich darf nicht mehr ohne Gefahr in der Heimat meiner Väter wandeln, weil ich zur römisch-katholischen Kirche heimgekehrt bin. Ich stehe rechtlos vor Euren Richtern, und meine Tochter würde mir vom Glaubenshaß Eurer Obrigkeit verweigert worden sein. Selbst jener Landvogt, für den ich, Du weißt es, Vermögen, Würde und alles verlor . . . er, dem ich mich zuerst und einzig offenbarte, hatte nur so viel Dankbarkeit erübrigt, um mich, als wäre ich ein Aussätziger, zu warnen, nicht Berner Grund und Boden zu betreten.«

      Addrich schien der Worte seines Bruders nicht zu achten, sondern in anderen Gedanken vertieft, stand er mit zur Erde gewandtem Blicke da.

      »Nun, Alter,« fuhr Diethelm nach einigem Schweigen, in welchem er den finstern Greis mitleidsvoll beobachtete, fort: »Hand her! In den Wolken des Himmels, hoch über der Erde, führt uns die Hand Gottes auf der vaterländischen Höhe zusammen. Hand her. Das Vergangene sei vergangen. Ich will alle Deine Sorgen von Dir nehmen.«

      Hier richtete Addrich das Haupt empor und sprach: »Ich habe Deine Tochter, die Du verlassen hattest, jenem Jüngling Fabian von der Almen zum Weibe gegeben, daß sie nicht schirmlos bleibe.«

      Mit sanftem, billigendem Kopfneigen erwiderte Don Nardo: »Er will mein Sohn sein.«

      Addrich warf den Blick suchend durch den Nebel, schritt an seinem Bruder vorüber zu Fabian und Epiphania hin, die noch einander fest umschlungen hielten und bei seinem Erscheinen mit Seligkeit in Stimme und Blick riefen: »Addrich, o Addrich! Aller Schmerz und alles Weh hat nun sein Ende!«

      »Alles,« murmelte Addrich. Als sein Bruder herankam, wich er seitwärts langsam zurück in den Nebel, wo er wie ein düsterer Schatten zwischen den Felsen hinirrte.

      »O mein Fabi,« rief Epiphania, indem sie den zärtlichen, von Freudenthränen schweren Blick zu dem Geliebten erhob, »nimm meinen Vater an Deine Brust.«

      Fabian hielt mit einer Hand die schöne Gattin fest, als fürchte er, sie könne ihm noch einmal entrissen werden: mit der andern Hand entblößte er vor Don Nardo das Haupt und sagte: »Epiphania, Eure Tochter, ist mein mir anvermähltes Weib. Ich flehe um Euren Vatersegen.«

      »Du sollst mein Sohn sein,« antwortete mit gütigem Blick Don Nardo, indem er seine Hand wie zum Segen auf Fabians Scheitel legte. »Des Himmels Wille waltet hier unverkennbar. Dich, den ich nebst Addrich seit sieben Wochen von so viel ausgesandten Leuten vergebens suchen ließ; Dich, von dem nie eine Spur entdeckt wurde, Dich führt Gottes Hand mir selbst so wunderbar entgegen. Wir waren im Begriff, Deinetwegen nach Aarau zum Dekan Nüsperli . . .«

      »O wie viele Angst habe ich um Dich getragen, Fabi!« seufzte Epiphania und küßte ihres Lieblings Hand.

      »Verzeihet mir,« sagte Fabian zum Herrn von Groenkerkenbosch, »wenn ich Euch verkannt und im Irrtum beleidigt habe. Warum verhehltet Ihr mir auch, daß Ihr der Vater meiner Faneli wäret? Warum verbarget Ihr Euch, den ich wohl als Herrn Diethelm kannte, hinter falschem Namen?«

      »Mein Name ist echt aus der Taufe,« erwiderte jener. »Ich heiße Leonhard Diethelm. Unter fremden Himmel streifte ich alles ab, was mich an meine Unglückstage mahnte, selbst den Namen. Ich wurde als Leonardo glücklicher, wie ich als Diethelm je gewesen war; Dir aber, junger Freund, wie konnte ich Dir vertrauen, den ich nicht kannte. Ich wußte nur durch Sagen von einem leichtfertigen Gesellen, der bei Addrich um meine Tochter würbe, einem lockeren Kriegsknecht. Lange hielt ich Dich für ihn.«

      Fabian umarmte den Vater Epiphanias und sagte mit Herzlichkeit in Geberde und Ton: »Seid mein Vater, ich will euer gehorsamer Sohn sein. Gehet nicht nach Aarau! Euer harret kein freundlicher Empfang.«

      Don Nardo küßte des Jünglings Stirn mit sichtbarer Rührung und legte Epiphania an des Jünglings Herz: »Hier ist Dein Weib!«

      In diesem Augenblick zerriß der graue Nebel, der sie wie ein Vorhang des Himmels umgab, und schlang sich goldbesäumt um die Scheitel der Berge. Die Sonne überstrahlte mit blendender Pracht die schroffen Felsen und grünen Gebüsche der hoch gelegenen Einöde, und von jedem Halme blitzte, in wechselnden Farben, ein flüssiger Diamant im reinsten Morgenlicht. Wie liebende Seelen, die sich nach dem Tode des Leibes im Elysium begegnen, standen Fabian und Epiphania, einander umfangend, da, sich still bewundernd, mit stummer Zärtlichkeit um Liebe fragend. Des Vaters Blick ruhte lange Zeit mit Wohlgefallen auf dem schönen Paare, das dem Überirdischen glich. Endlich wandte er sich zu seinen Dienern, welche in einiger Entfernung bei den Pferden warteten, und rief: Wendet um, wir kehren nach Basel zurück. Wo aber ist mein Bruder?«

      Addrich war im Nebel verschwunden; keiner von den Dienern hatte ihn gesehen. Von allen Seiten wurde er gerufen, doch es erfolgte keine Antwort. Er wurde von allen gesucht; nach zwei Stunden hatte ihn niemand gefunden.

      »Lasset ab!« sagte Fabian. »Den Unglücklichen drückt die Seligkeit der Glücklichen. Er ist allein hinüber, wohin wir heute Beide wollten, durchs Gebirge in des Kaisers Gebiet.«

      Also stieg der ganze Zug auf der anderen Seite des Hauensteins hinab, wo sich der Weg minder steil zum einsamen Bergdorf Läufelfingen niederzog. Auch hier bot Don Nardo Geld aus, und sandte Leute aus, den Verlorenen im Gebirge zu suchen oder ihm durch