Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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sie gesagt, würdet Ihr beide, ich kenne Euch, noch lange nicht, vielleicht nimmer vor Gott verbunden worden sein, und Gideons Ruchlosigkeit hätte Macht über Euch beide behalten, Euch vielleicht ewig zu trennen.

      Ferner berichtete Änneli, wie Epiphania seitdem nie wieder frohen Sinnes geworden, oft heimlich geweint und bis zum Tode Leonorens nie das Haus verladen hätte. Dieser wäre am zwölften Tage nach der Abreise Addrichs erfolgt und ein ruhiges Entschlummern gewesen. Niemand wäre aber, außer den Bewohnern des Mooses, dem Sarge der Verstorbenen zur ewigen Ruhestätte gefolgt. Selbst als der Leichenzug durchs Dorf gekommen, hätte sich, außer Pfarrer und Sigrist, niemand angeschlossen. Jeden Morgen nachher wäre Epiphania, in tiefer Trauer, mit frischen Blumen zum Grabe der Schwester gewallfahrtet, bis sie nicht mehr zurückgekehrt sei.

      Fabian, um sich das Verschwinden seiner jungen Gattin zu enträtseln, hatte auf Raub und Entführung geargwöhnt, und abwechselnd seinen Verdacht bald auf den Mann gerichtet, dem Epiphania einst auf der Bampf so viele Liebe und Vertrauen gewähren wollte, bald auf den Hauptmann Renold, dessen Leidenschaft für Epiphania und dessen Gewalttätigkeit er kannte, dessen ausgestoßene Drohungen ihm in frischer Erinnerung waren, die durch das Entsetzen des bösen Gewissens, welches Gideon in der Waldbruderhütte nicht verhehlt hatte, eine schreckliche Glaubwürdigkeit erhielten. Da erinnerte er sich der damaligen Worte des Schweden. »Du sollst noch sehen, wie ich Deine Dirne meiner ganzen Mannschaft preisgebe!«

      »Das hat der Schurke nicht aus der Luft gegriffen,« dachte Fabian, in sich schaudernd. »Damit konnte der Schurke nicht drohen, wenn er sie nicht schon in seinen Klauen hatte.«

      Mit hundert Fragen an Änneli forschte er nun, ob sich der Hauptmann nach Addrichs Abreise nie im Hause gezeigt, ob man nicht dort, oder im Moose, oder ringsum in der Gegend, unbekannte, verdächtige Leute gesehen habe.

      »Nein,« erwiderte das Mädchen, »nie, erst am gestrigen Unglückstage, wo das Volk aus der Schlacht kam, in's Haus drang und alles raubte. Mich aber machte der Schrecken flink, als ich die brüllenden Haufen hörte, und ich war in den Wald entsprungen, ehe die wilden Bauern einbrachen. Wie alles brannte und Baschi mit blutigem Gesicht in den Wald floh und mir begegnete, – ich erkannte ihn kaum an den Kleidern, – sagte er: allesamt wären es Fremde, doch er glaube, sogar den Schweden bei ihnen gesehen zu haben. Doch thut er dem freundlichen. hübschen Hauptmann, der uns so lieb war, den wir ja auf den Händen getragen haben, offenbar Unrecht. O, wäre er nur erschienen in der gräßlichen Stunde, wäre er nur gekommen. Ach, alles würde noch ungeschehen sein. Nun . . . o, wie wird Addrich sein graues Haar über Lorelis Grab, über dem Schutt seines Hauses zerreißen, wenn er lebt, wenn er das Erschreckliche mit seinen wunden Augen schauen muß!«

      Lange noch klagte und jammerte Änneli erzählend weiter. Fabian achtete nicht mehr auf ihre Worte, er hatte genug gehört. Denn daß Baschi den Schweden im Gewühl der mordbrennerischen Bande erkannt zu haben glaubte, war ihm ein unverwerfliches Zeugnis, daß Gideon Renold der Anstifter des Gräuels gewesen sei. Er sprang auf und wollte den verlassenen greisen Addrich suchen; er wollte weitum nach Epiphanias Spuren spähen, er wollte dem Hauptmann Renold nachsetzen, bis er ihn gefunden habe. Hundert Vorsätze drängten sich in ihm durcheinander, und jeder schien dringender zur Ausführung aufzufordern, als die andern.

      »Aber ich,« schrie das junge Mädchen kläglich, und warf sich, ihn mit Angst umklammernd, an seine Brust, als er, dankend und Lebewohl rufend, davon wollte, »aber ich – um der himmlischen Barmherzigkeit willen! – muß ich arme Waise im Elende verderben und sterben? Ich stehe allein unter'm Himmel, mich kennt und mich will ja niemand mehr!«

      Fabian, voller Mitleiden, nahm einige Silberstücke, gab sie ihr und sprach: »Wähle Deinen Weg nach Aarau; bringe dem frommen Dekan Nüsperli meinen Gruß, die Botschaft unseres ungeheuren Unglücks und die Bitte, sich Deiner anzunehmen. Er wird Dein Helfer sein. Gehe, Kind, gehe mit Gott!«

      Er riß sich los, eilte zur Hütte hinaus und die Höhe hinauf, von der er vergangene Nacht in Verzweiflung und Verwirrung seines Gemütes herabgekommen war.

      48.

       Das Gefecht bei Herzogenbuchsee.

       Inhaltsverzeichnis

      Sein Gang war in's Moos; ihn rief das Mitleiden für Addrich dahin.

      Doch Addrich war nirgends zu erblicken. Als Fabian die Umgegend durchstreifte, und den schmalen Pfad vom Moos nach Teufenthal im Tannenhain verfolgte, fand er am Wege Addrich's runden hochgespitzten Hut, daneben das dünne Gras des Rasens eingedrückt, wie von einem Menschen, der dort gelegen hatte. Mit heimlichem Schauder hob der Jüngling den noch vom Regen schweren Hut auf, der ihm anzudeuten schien, daß diese Stätte wohl eine der Stationen des Greises am Kalvarienberge des Leidens gewesen sein möge. Er ließ sich durch eine dunkle Ahnung auf dem Fußwege bis zum Dorfe führen.

      Und wirklich vernahm er schon bei der ersten Teufenthaler Hütte, wie Addrich, bei Tagesanbruch, die schlafenden Bewohner derselben mit Pochen und Rufen erschreckt und um das Unglück seines Hauses befragt habe. Schweigend, ja, ohne daß er einen Seufzer ausgestoßen hätte, sei von ihm angehört worden, was man vom Tode seines Kindes, vom Verschwinden seiner Nichte, vom Untergange seines ganzen Hauses zu erzählen wußte. Dann habe er sich schweigend entfernt und, soviel sich in der Dämmerung des Morgens erkennen ließ, die Richtung nach Kulm genommen.

      Auch dahin eilte ihm der Jüngling mit großen Schritten nach. Einige Kinder und Weiber, welche still lauschend am Eingange des Kirchhofes standen und das Antlitz gegen die Gräber gerichtet hatten, verhießen schon durch ihre furchtsame Neugierde in den Gesichtern die Nähe des Gesuchten. Fabian erblickte ihn wirklich, sobald er auf den Kirchhof trat. Der Unglückliche lag mit zur Erde gekehrtem Gesichte unbeweglich über den jüngsten der Totenhügel hingestreckt. Fabian, zitternd für das gebrechliche Leben des Greises, umfaßte ihn leise und richtete ihn auf. Addrich öffnete die Augen, einem Schlaftrunkenen gleich, nahm, an das Grab gelehnt, eine sitzende Stellung, sah halb träumend auf den jungen Mann, auf die ganze Umgebung, auf den Erdhügel, der ihn stützte; er beantwortete aber keine von Fabians mit kummervoller Zärtlichkeit wiederholten Fragen.

      »Es schläft sich bei den Toten süß,« sagte er endlich wie für sich.

      Fabian redete ihn von neuem an. Addrich ließ ihn aber, wie vorhin, vergebens Antwort erwarten, während dessen der Jüngling einige der verblichenen Blumen, die Epiphanias Hand berührt und zu Totenopfern geweiht hatte, sammelte und bewahrte. Endlich führte Fabian den halb erstarrten und entkräfteten Alten mit einiger Gewalt zum Wirtshause, wo er ihn mit einer kräftigen Weinsuppe erquickte, dann entkleiden half und in ein Bett brachte. Addrich hielt einen totenähnlichen Schlaf von beinahe vierundzwanzig Stunden und erwachte erst am folgenden Morgen, gestärkt und mit voller Besonnenheit. Fabian, der ihn voll kindlichen Mitleidens bewachte, hatte indessen die traurige Muße mit Säuberung des verdorbenen Reisegewandes und mit Nachforschungen über die Ereignisse im Moose so gut er konnte verkürzt. Alle Nachrichten bestätigten den schrecklichen Verdacht, daß Hauptmann Gideon Renold Epiphanias Entführung und den Mordbrand veranstaltet habe.

      »Ich bin reisefertig,« sagte Addrich. »Für mich ist alles in der Welt abgethan. Ich lebe noch und lebe doch nicht mehr. Es widert mich an, im Grabe Bewußtsein zu behalten. Doch fürchte nichts von mir, Fabian, fürchte nichts. Du bist treu geblieben, darum erfülle ich meine Verheißung und scheide nicht, bis ich Dir Dein Weib gegeben habe. Komm! Gideon ist mit seinem Haufen der Oberländer gezogen. Ich setze ihm die Degenspitze aufs Herz; er soll mir Epiphanias Aufenthalt nennen. Komm, früher ruhen wir nicht; dann soll Feierabend sein. Komm'!«

      Sie gingen. Weil man erzählte, daß sich der Schlachthaufen der Oberländer, etwa zweitausend Mann stark, nach der Gegend von Langenthal zurückziehe, an ihrer Spitze Leuenberg mit den anderen Häuptern des Aufstandes, schlugen Addrich und Fabian ebenfalls den Weg dahin ein. Doch machten sie nur eine kleine Tagereise, denn Addrichs Kraft, in dem riesigen, nun unter eigener Last zusammensinkenden Körper, schien gebrochen; selbst sein Geist verändert. Nichts erregte seine Teilnahme mehr. Selbst die Botschaft, daß am Tage vorher Schybi mit den Entlebuchern bei Roor am