Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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zum kriegerischen Abzuge, auf. Ebenso sah man die Oberländer auf einer andern Seite, weit entfernt von Unterwerfung, sich zum bewaffneten Zuge nach ihren heimatlichen Gebirgen rüsten.

      Noch pflog Leuenberg mit den übrigen Häuptern Rat, als die Bauern schon vor seinem Quartier die weiße Fahne aufsteckten und durch einige Kanonenschüsse den Eidgenossen verkündeten, daß die Bedingungen angekommen wären.

      46.

       Die Nacht auf der Bampf.

       Inhaltsverzeichnis

      »Brich auf! Auf!« rief Addrich seinem jungen Freunde zu, als er diesen, nach langem Suchen, in einer großen Scheune hilfeleistend zwischen den Reihen auf Stroh gelagerter Verwundeten fand. »Quäle diese armen Sünder nicht länger mit Deiner Kunst. Selig sind die Toten!«

      Fabian erwiderte, ohne aufzusehen: »Dein Feierabend, Addrich, ist vorhanden: nun beginnt meine Arbeit. Ich verlasse diese Unglücklichen nicht, bevor ich nicht den letzten Verband angelegt habe,«

      »Gieb Dir nicht die Mühe, Bursche,« sagte Addrich, »Gottes Ebenbilder ausflicken zu wollen. Du hast im Himmel und auf Erden keinen Dank dafür. Komm, lasse ihren armen Seelen die Thore offen, durch die sie zur ewigen Freiheit entrinnen können. Komm, alle unsere Helden laufen davon und denken: weit vom Geschütz giebt alte Kriegsleute. In wenigen Stunden wirst Du mit Raben und Geiern noch allein bei Toten und Sterbenden sein. Morgen feiert der Henker seinen Ehrentag. Gehe ihm aus dem Wege!«

      Der Alte fuhr noch lange fort, den jungen Arzt in diesem Ton zu mahnen, in welchem die Verzweiflung über sich selbst sich belustigen zu wollen schien. Fabian antwortete zuletzt nicht mehr, sondern von mehreren Gehilfen umringt, setzte er sein menschenfreundliches Geschäft fort, bis der letzte Mann versorgt und die Dämmerung schon eingebrochen war. Dann wandte er sich zum Alten und sagte: »Nun folge ich Dir. Sprich, wohin? Das Schweizerland hat keine Freistätte für Dich, flüchte über den Rhein.«

      »Tropf!« rief Addrich, ergriff ihn beim Arme und riß ihn mit sich fort, zum Dorfe hinaus, auf die Straße nach Lenzburg. »Ein freier Mann hat überall seine Freistätte. Ich und der Tod fürchten weder Kerker noch Henker; wir sind aller Orten Meister. Ich gehe nicht über den Rhein. Komme mit mir hinaus ins Moos, daß ich meine sterbende Tochter noch einmal sehe. Du bleibst mit Deinem Weibe an Lorelis Lager und pflegst die Leidende, bis sie ausgerungen hat. Dann gebe ich Dir und Epiphania das Recht, über Haus und Hof nach Gefallen zu schalten. Ich werde nie dahin zurückkehren. Ich scheide von Euch, möge niemand mehr nach mir fragen.«

      »Das ist ein böser Ausgang,« seufzte Fabian und verdoppelte seinen Schritt, denn der Alte ging rasch. »Ich hatte ihn geweissagt. Warum mußtest Du meine Warnung in den Wind schlagen? Es ist alles verloren! Die Städte werden Rache nehmen und auf ihren Richtplätzen so viel Hemden mit Blut tränken, als sie auf dem Schlachtfelde bei Mellingen Scharlachhemden sahen.«

      »Es ist manchmal eine Sau im Kartenspiel,« versetzte Addrich, »und diesmal war's der Leuenberger, an dem selbst der Name unehrlich ist, weil er lügt. Der Hase kann Männchen machen, und bleibt doch ein Hase. Er hat uns alles verdorben. Fresse er nun, was er sich einbrockte. Gieb Acht, der wird ganz gottesfürchtig zwischen Pfaffen und Scharfrichtern sterben. Ganz recht so. Auf dem Schlachtfelde eine Kugel durch den Kopf, hätte nur eine neue Lüge in die Welt gesetzt und das alte Weib in Hosen zum Freiheitsmärtyrer gestempelt.«

      »Wenn Du ihn kanntest, Addrich, warum hieltest Du's mit ihm?«

      »Weil man auch mit Koth mauern kann, wo der Kalk teurer ist. Aber vorwärts, wir Beide haben Eile. Ich muß mein Wort lösen und Dich Deinem jungen Weibe wieder einhändigen. Magst von Glück reden, daß Du nicht schon an einem Mägenwyler Apfelbaum hängst; Bolzen und Scheibe waren nicht mehr weit voneinander. Es verlautete unter den Bauern allgemein, ein Doktor habe dem Wertmüller Schybis Plan verraten und den Anschlag auf Mellingen vereitelt. Schybi nannte geradezu Dich, bis ich ihm bewies, daß Du mich nie verlassen habest. Ich denke, Gideon, der niederträchtige Prahlhans, hat das ausgestreut.«

      Unter diesen Gesprächen eilten beide an dem Felsen vorüber, auf welchem die Mauern des Schlosses Lenzburg ruhen, über Äcker und Wiesen nach Seon. Die Sonne war längst untergegangen, aber noch glühte vom Abendrot der Saum einiger Wolken hinter den Solothurner Juragipfeln. Der Himmel war schwarz behangen. Im Westen sah man Wetterleuchten, in welchem die Umrisse der schwarzen Zacken und Zinken des Gebirges plötzlich heller hervortraten und verschwanden, Einzelne Windstöße verkündeten den Anstoß des Gewitters und durchtobten die Wälder umher, daß sie wie fallende Bergströme brausten. Das Gespräch der nächtlichen Wanderer verstummte endlich, als sie hinter Seon den steilen Weg zur Bampf hinabstiegen, Addrich murmelte im düstern Selbstgespräch zuweilen unverständliche Worte; Fabian war im Geist bei Epiphania. Es schienen ihm sechs Jahre, nicht sechs Wochen, seit er sie nicht gesehen. So oft er der Trauung in der Kirche von Kulm gedachte, durchdrang ihn ein wunderbarer Schauer. Er konnte sich nicht au den Gedanken gewöhnen, daß Epiphania sein ihm anvermähltes Weib geworden. Aber je näher er der Höhe des Berges und der Gegend kam, wo er die schönsten und schrecklichsten Augenblicke seines Lebens gefunden hatte, desto ungestümer und ängstlicher wurde die Sehnsucht des Jünglings. Er vergaß die traurigen Geschichten des Tages; er fühlte die Wildheit des Wetters nicht; seine Seele war bei Epiphania.

      Es herrschte schon eine so große Finsternis, daß Addrich selbst den wohlbekannten Weg einigemale verlor und seinem Begleiter von Zeit zu Zeit zurufen mußte, damit sie nicht von einander getrennt wurden. Blendende Blitzstrahlen, in deren falbem Scheine unter ihren Füßen das weite Thal mit Dörfern, Seeen und Wäldern plötzlich aus der Tiefe der Nacht wie ein Traum auftauchte, vermehrten anscheinend die Dunkelheit. Sturm und Schlagregen fuhren ihnen immer heftiger ins Gesicht, je höher sie zur Bampf gelangten.

      »Ists doch, als wollten die Elemente uns den Weg ins Moos verwehren oder uns zurückjagen,« sagte Addrich.

      Fabian erwiderte: »Mir wird banger um Herz, je näher wir der Heimat kommen. Ich bin nicht abergläubisch, aber was kann nicht alles in so vielen Wochen geschehen sein, während welcher wir in der Ferne umhergezogen sind? Addrich, ich fühle mich schwer beklommen, Himmel und Erde sind wider uns, als wollten sie wehren oder warnen.«

      »Vielleicht ist sie schon zur ewigen Ruhe,« seufzte Addrich.

      »Wie?« schrie Fabian erschrocken und blieb stehen. »Warum sagst Du mir das? Weil der Halmenkranz vor der Kirche zu Kulm auseinanderfiel? Weil Epiphania daraus Böses deutete? Epiphania gestorben? Warum redest Du so abscheuliche Dinge, wenn sie Dir nicht ernst sind?«

      »Komm!« rief Addrichs Stimme in einiger Entfernung.

      »Ich habe Dich verloren, wo gehst Du?« fragte Fabian.

      »Überall den Weg zum Tode!« war die Antwort.

      In diesem Augenblick fuhr ein Blitzstrahl knatternd, sprühend und betäubend vom Himmel in die Tiefe. Alles war ein Feuer, dann plötzlich schwarze Nacht. Die Erde erbebte im Donner, als wäre die ewige Feste des Himmels zusammengebrochen.

      »Hollah!« rief Fabian, »Das traf fast zu nahe.« Er wollte seinen Weg verfolgen, als er seitwärts mit Entsetzen ein ängstliches Stöhnen vernahm. Im ersten Augenblicke glaubte er, Addrich sei erschlagen. Er fühlte, die Haare seines Hauptes sträubten sich im Entsetzen aufwärts. Dies Entsetzen wuchs, als er in dem Stöhnen und Wimmern eine weibliche Stimme zu erkennen glaubte, die ihm wie Epiphanias Stimme klang. Er ging, durch die Gebüsche der Bampf tappend, dem Tone nach. Beim neuen Wetterlicht sah er unter einem alten Ahorn, mit gefalteten Händen betend und weinend, ein Weib sitzen, welches vor der Erscheinung des bewaffneten Jünglings, erschrockener noch als vor dem Blitze selbst, zurückprallte und einen Schrei ausstieß,

      »Ist Dir ein Unglück widerfahren?« fragte Fabian bekümmert.

      »Unglück?« seufzte das Weib. »O, meine Kinder, die armen Würmer! Des Herrgotts Gerichte sind erschrecklich. Nun habe ich den Tag seines Zornes erlebt. Ich will ja Buße thun mein Leben lang, wenn dies Stündlein nicht das letzte der Welt und seine Gnadenpforte