Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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sich rasch ab und rief: »Fort von der Pestilenz! Was habe ich mit diesem Bösewicht?« Die Heftigkeit, mit welcher er die Worte ausstieß, weckte den Schläfer. Er fuhr mit halbem Leibe plötzlich vom Lager auf und starrte, ungewissen, ratenden Blickes, die vor ihm stehenden Gestalten an. Je deutlicher diese wurden, desto starrer wurden seine Mienen und Augen, wie die eines Menschen der, voller Entsetzen, Gespenster wahrnimmt. Sein erblaßtes Antlitz wurde durch das totenartige Veilchenblau, welches sich um seine Augen und Lippen legte, schauerlich.

      Addrich, der ihn jetzt in der That für krank hielt, fühlte bei dem Anblick eine Art Anwandlung von Mitleid und sprach mit sanfter Stimme und erzwungenem Scherz: »Du hier, Gideon? Was treibst Du, Faulpelz? Zum Müßiggang gehören entweder große Zinsen oder hohe Galgen.«

      »Was? Galgen?« sagte halblaut und unverständlich, wie aus trockener Kehle die Töne drängend und ohne seine Stellung zu ändern, der Hauptmann. Dann aber schrie er nach einigem Besinnen plötzlich laut und wiederholt: »Mörder! Wache! Schildwache! Hilfe!«

      »Menschenkind, rasest Du?« sprach Addrich. »Kennst Du mich nicht?«

      »Warum überfallet Ihr mich im Schlafe?« entgegnete Gideon, indem er aufsprang, beide mißtrauisch beobachtete und links und rechts mit den Augen umherfuhr. »Wehe dem, der Hand an mich legt! Wisset, ich bin der Vorpostenkommandant und jedes Haar meines Hauptes ist bewacht, wenn ich schon im Augenblicke wehrlos bin.«

      Er bewegte sich während dieser und ähnlicher Reden, ohne die Beiden aus den Augen zu lassen, rückwärts, und allmählich, wie wenn jene es nicht merken sollten, nach einem Hüttenwinkel im Hintergrunde, bückte sich dort rasch seitwärts, raffte ein am Boden liegendes Schwert auf, warf dessen Gehenk über die Schulter, bedeckte das Haupt mit seinem daneben gelegenen Hut und drückte denselben tief in die Stirn nieder.

      »Jetzt, Ihr Herren,« sprach er mit jener stolzen Haltung und Festigkeit der Stimme, worin sich das Gefühl seiner Sicherheit verkündete, »jetzt will ich Euch wohlgemeint raten, auf der Stelle das Feld zu räumen und mich nicht länger zu belästigen, widrigenfalls einem wie dem andern, wegen des schnöden Überfalles, üble Belohnung bevorsteht.«

      »Höre an,« sagte Addrich, »Du arger Geselle, ich vermute, Du hast Dein Quentchen Verstand beim Mordbrande am Thuner See verloren . . und wahrhaftig! . . . das allein würde Dir noch zur größten Ehre gereichen, denn sonst wäre keine ehrliche Faser an Dir. Man müßte Dich dann nicht aufhängen, sondern nur bedauern. Auf jeden Fall hat der das Roß hinter den Wagen gespannt, der Dich als Kommandant der Vorposten hierher stellte. Ein Narr muß bewacht werden, aber nicht Wache halten, und ein Bösewicht gehört nicht unter ehrliche Leute.«

      »Schweig mit Deinen schändlichen Reden, Du meineidiger Betrüger,« versetzte Gideon, »oder ich operiere Dir die Zunge im Halse, daß sie nie wieder falsch schwören soll. Ich darf allezeit mit gutem Gewissen vor ehrlichen Leuten stehen, aber Du . . .«

      »O ja!« unterbrach ihn der Alte mit bitterm Lächeln, »Du darfst Dich sehen lassen, wenns finster ist, und darfst mit Deinem Gewissen prahlen, denn es ist groß genug, daß man mit einem Fuder Heu hindurchfahren könnte. Aber die Leute riechen den Brand an Dir.«

      »Den Brand!« schrie der Hauptmann auffahrend. »Daß Dich hunderttausend Teufel zerreißen, denen Du Deine arme Sünderseele längst verpfändet hast! Was Brand? Und wenn man Dir einen roten Hahn über die Baracke im Moos schickt, hast Du Besseres verdient? Meinst Du, ich lasse mir von des Satans Gaukelsack, wie Du einer bist, Nasen drehen und mir pochen? Hast Du mir nicht Epiphania verheißen, und das Weibsbild dem Schnapphahn dort angehängt? Gottes Marter, Wunden und Blut! Mache Dich fort, oder ich jage Dir die Klinge durch die Gedärme!«

      Addrich schüttelte den Kopf und erwiderte gelassen: »Vor Deinen schwedischen Flüchen ergreift unser einer das Hasenpanier nicht. Doch Antwort will ich Dir geben. Meine Nichte ist dieses Ehrenmannes Weib geworden, weil es der letzte Wunsch meiner sterbenden Tochter und der eigne Wille Epiphanias war. Ich hatte Dir nichts wider Epiphanias Willen zugesagt; sie aber haßte Dich von ganzem Herzen. Und wäre alles das nicht gewesen, ich hätte meines Bruders Kind eher einem Steckenknecht und Sauhirten an den Hals geworfen, als um Tonnen Goldes einem Mordbrenner gegeben; und der bist Du!«

      »Gut, gut,« erwiderte Gideon höhnisch, »triumphiert nur! Ihr sollt Euren Hochzeitsschmaus mit Teufelsdreck geschmalzen finden, Nesseln im Bette und vielfüßige Lanzknechtstierchen auf der Weide haben. Du sollst wissen, was es heißt, einem tapfern Offizier nicht Wort halten. Ich habe andere Majestäten gesehen!«

      »Ich deren auch,« versetzte Addrich. »Ich bin weit in der Welt herumgekommen, aber diesseits und jenseits des Meeres sah ich – auf Ehre! – keinen verdorbeneren Buschklepper und Taugenichts als Dich!«

      »Mit Gunst, lasse die Ehre aus dem Spiele!« schrie Gideon bitter lachend. »Es führt heutzutage manche Ehre über das Meer und ersäuft nicht, weil sie gehängt sein will. Und jetzt macht Euch aus dem Staube . . . oder ich – hier zog er den Degen – auf Kavalierswort! Ich schicke Euch in des Teufels Rachen hinab!«

      Er hatte die Worte noch nicht vollendet, als Fabian, der bisher unter der Thür schweigend dem Wortwechsel zugehört hatte, mit gezückter Klinge hervorsprang, den Alten hinter sich zurückdrängte und ausrief: »Du Molch! So stelle Dich zur Wehr!«

      »O mit nichten!« erwiderte Gideon verächtlich. »Dich schone ich, denn Du bist zum Hahnrei geboren und sollst sehen, wie ich Deine Dirne meiner ganzen tapfern Mannschaft preisgebe.«

      Addrich riß den Jüngling zurück und hielt ihm den Arm, indem er rief: »Fabian, beflecke Dein Schwert nicht an diesem räudigen Hunde!«

      Während sie noch unter einander stritten, hörte man draußen nach dem Hauptmann schreien. Ein Haufen bewaffneter Bauern eilte herbei und drängte zur Thür mit dem Rufe: »Kommet, Hauptmann, heraus! Der Feind ist im Anzuge, der Feind!«

      44.

       Das Gefecht bei Mellingen.

       Inhaltsverzeichnis

      Diese unerwartete Dazwischenkunft veränderte plötzlich die Gestalt der Dinge zwischen den drei Männern in der Waldbruderhütte. Obschon der Hauptmann noch gegen Addrich und Fabian, denen man die Degen entreißen und beide als Gefangene fortführen sollte, und zwar mit allen Flüchen wütete, die er in den deutschen Kriegen gesammelt hatte, wie nicht minder über die schlechte Disziplin seiner Soldaten, über die strafbare Entweichung seiner Schildwache, die man vierundzwanzig Stunden lang bei Wasser und Brot krumm schließen müsse . . . so hörte doch niemand auf ihn. Einer überschrie den andern mit der Botschaft, der Feind ziehe gegen Mellingen, die Stadt sei überrumpelt; man müsse ihr zu Hülfe eilen . . . Die Menge und das Gedränge vor der Hütte mehrten sich. Es kamen neue Bauernhaufen mit dem erneuten Geschrei: »Hauptmann, heraus! Mellingen ist über: wir sind verraten! Hört nur, hört, in der Stadt wird geschossen! Alles ist an die Züricher verraten und verkauft!«

      Botschaften dieser Art waren allerdings ganz geeignet, den Zorn des Hauptmanns schnell abzukühlen und seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, zumal einige Stimmen aus dem Getümmel Drohungen gegen den saumseligen Kommandanten ausstießen: »Will er nicht heraus, so machen wir einen andern Hauptmann. Nun es heißt: Vogel friß oder stirb! verbirgt er sich hinter dem Zaune. Hat er vielleicht auch schon Hand und Haftgeld von den Zürichern genommen? Er soll heraus! Heraus!«

      Gideon stieß den Trupp der in die Hütte Gedrungenen hastig zurück, und auch Addrich und Fabian gelangten mit dem Strome, der zur Thür hinausging, ins Freie. Gideon stellte sich dem Haufen entgegen und befahl wiederholt, zu schweigen. »Was ist das für eine Mannszucht?« schrie er. »Wisset Ihr nicht einmal, wie Ihr das Amt des Befehlshabers zu respektieren habt, daß Ihr ohne Geheiß des Offiziers alle aus dem Lager und von dem Posten laufet? Bei solcher liederlichen Wirtschaft und unziemlichen Frechheit hat der Feind beim ersten Begegnen und Scharmützel die Oberhand. Euch Gesellen muß man noch besser zu Gehorsam, Mut und Kriegsmanier gewöhnen.«

      »Aber, Kommandant,« rief einer aus dem Haufen, »mache den Mund